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Industrial-Rock, dieses zäh und
kompromißlos lärmende Musikbiest, ist aus dem Schatten des Untergrunds
getreten. Das liegt nicht nur an Ministry. Zum Großteil halfen die NINE INCH
NAILS bei der Öffnung mit. Was zunächst niemand erwartete. Das Debütalbum
„Pretty Hate Machine“ kam mit seinem schwarz-pink-violett-farbenen Cover
kommentarlos in die Läden, und Medien im allgemeinen sowie MTV im speziellen
interessierten sich nicht sonderlich dafür. Trotzdem wurde das Werk zum
Selbstläufer, weil die Band riesigen Erfolg auf der ersten Lollapalooza-Tour
hatte. Eine nachvollziehbare Reaktion, ist es doch gar nicht so schwierig, sich
mit NINE INCH NAILS anzufreunden. Als eine der wenigen Bands in diesem Genre
streben sie nach differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten und setzen Lärm - wenn
überhaupt - bewußt ein. Manchmal kann man sogar mitsingen, auch zu den Tracks
auf dem neuen, inzwischen dritten Longplayer „The Downward Spiral einem
Meisterwerk moderner Rockmusik. Mit kunstvoller Sicherheit stürzt sich Bandchef
Trent Reznor in ein mitreißendes Auf und Ab der Klänge. Es ist unmöglich,
einzelne Titel heraus- zugreifen - „The Downward Spiral“ ist als geschlossenes
Hörspiel angelegt, das nicht zerrissen wer den darf. Zu seiner Entstehung
äußerte sich der scheue, aber gerade deshalb interessante Reznor in einem raren
Interview.
Auf dem Cover von „Pretty Hate Machine“
stand, daß NINE INCH NAILS gleich Trent Reznor seien. Ist das heute immer noch
so?
„Im Augenblick
ja. Auf der ersten Platte machte ich alles selbst, weil es in meiner damaligen
Heimatstadt Ohio, nur Industrie, nicht aber geeignete Mitmusiker für mich gab.
Ich traf auf keine Szene, aus der Leute zu rekrutieren waren. Mit der Zeit
wuchs die Herausforderung, mich an Instrumenten zu versuchen, die eigentlich
für andere reserviert waren. Als ich „Broken“ aufnahm, stellte sich heraus, daß
die Band, mit der ich zuvor tourte, am Songschreibeprozeß nicht zu beteiligen
war. Also arbeitete ich wieder allein. Für „The Downward Spiral“ hingegen
wollte ich schon Leute hinzunehmen, weil ich Hilfe brauchte und müde war, alles
auf eigene Faust durchzuziehen, also neben dem Schreiben der Songs auch die
Aufnahmen und Arrangements allein zu gestalten. Doch ich ließ mich alles neu
überdenken. Mir dämmerte, es wieder alleine machen zu müssen, weil sich eine
echte Banddemokratie nicht so einfach aus dem Hut zaubern läßt. Erst jetzt habe
ich eine neue Band beisammen, die zu mehr in der Lage sein wird. Aber das muß
sich noch herausstellen.“
Alle drei NIN-Alben klingen verschieden.
Gibt es Gründe dafür und würdest Du zustimmen, daß „The Downward Spiral“ ob
seiner Geschlossenheit wie ein Konzeptalbum wirkt?
„In der Regel
gehe ich mit den Ideen ins Studie und lasse sie erst dort nach reiflicher Überlegung
zu richtiger Musik werden. Im Falle von „The Downward Spiral“ verhält es sich
anders. Das Album ist inspiriert von Rock-Werken, durch die sich ein roter
Faden zieht, und die wie ein ganzes Stück, anstatt wie eine Aneinanderreihung
von Songs klingen. So etwas gezielt zu versuchen, war für mich etwas neues.
Manche meinten, „Pretty Hate Machine“ hätte diese Qualität gehabt. Wenn dem so
sein sollte, ist es blanker Zufall. Erst „Downward Spiral“ war von vorneherein
als Noise Oper geplant.“
Gibt es auch ein textliches Konzept?
„Auf jeden Fall. Ich erzähle die Geschichte
eines Menschen, der den Kentakt zur Umwelt systematisch aufgibt. Er verliert
das Vertrauen in die Karriere, verstößt andere Menschen, mißbilligt Gott und sogar
sein eigenes Ich. Er braucht diese Anspannung, um herauszufinden, wer er
wirklich ist. Während des gesamten Prozesses macht er aber auch Erfahrungen mit
Sex, Drogen und Selbstzerstörung, um den Schmerz zu töten, der durch die
Isolierungssituation aufbricht. OK..., weil die Story aus meinem Kopf stammt,
bin diese Person zum gewissen Teil ich selbst.“
Wo führt denn die Spirale hin, die sich da
so bedrohlich nach unten neigt?
„Zuerst
spielte ich mit Selbstmordphantasien herum. Aber das hätte ein zu berechenbares
Ende ergeben. Mir fiel auf, daß ich während der ganzen Zeit zuvor keinen Platz
für etwas Optimismus ließ; für ein Gefühl, eigentlich gar nicht so fertig zu
sein, wie es den Anschein hat. Manchmal empfindet man Reue und Verletzbarkeit,
worum es im Abschlußtrack „Hurt‘ dann auch tatsächlich geht.“
Wie würdest Du denn Deine Entwicklung mit
NINE INCH NAILS über die Jahre hinweg beschreiben?
„Jede Platte,
die ich bisher gemacht habe, reflektiert einen bestimmten Punkt in meinem
Leben. „Pretty Hate Machine“ war von der Naivität geprägt, die man als
unerfahrener Musiker zwangsläufig hat. „Broken“ ist die Reaktion auf Probleme
mit der Plattenfirma TVT. Die wollten mich über den gesamten Erdball schicken,
um die Band zu promoten. Das aber ist nicht mein Ding. Also schreie ich die
Firma mit heftigem Lärm indirekt an und sage: Ich scheiß‘ auf euch! Ich weiß,
es klingt irgendwie banal, aber solche Businessgeschichten können einen zur
Weißglut treiben. Bei mir war es jedenfalls so. Das neue Album reflektiert das
beruhigende Gefühl, daß der ganze Trouble vorbei ist."
Wie man hört, hast Du eine eigene
Plattenfirma gegründet.
„Richtig. Sie
heißt Nothing und hat keinen programmatischen Anspruch. Zuerst einmal wirst du
garantiert keine Kopien der NINE INCH NAILS zu hören kriegen. Ein weiteres
Prinzip ist, daß ich mich nicht als megawichtiger Plattenboß aufspielen will.
Im Gegenteil, ich bleibe im Hintergrund. Aufgenommen werden natürlich Bands
nach meinem Geschmack. Die erhalten dafür mein Versprechen, fair behandelt zu
werden. Wenn sie keine Lust mehr haben oder nicht mehr zu den lockeren
Bedingungen stehen, können sie anstandslos gehen. Es wird keine Verträge
geben.“
Diese Regeln sind also eine Reaktion auf
eigene Erfahrungen?
„Ganz genau.
Das Label bietet Nischen für Leute, denen Ideale wichtig sind und ermöglicht
grundlegende Arbeitsbedingungen. Nimm etwa Coil. Ich liebe sie, denn sie machen
die besten Videos der Welt. Leider haben sie nur wenig Geld dafür. Nothing
erlaubt es ihnen, Alben in den USA zum günstigen Preis zu veröffentlichen, auf
Tournee zu gehen und Anzeigen zu schalten. Daneben erscheinen z.B. die Sachen
von Pop Will Eat Itself, eine Band, um die sich bei uns niemand richtig
kümmerte. Und es wird Material von einer politisch etwas inkorrekten Band
namens Marilyn Manson geben. Deren Musik basiert auf einer Menge Keyboards und
einem Zeitlupenrhythmus im Stile der frühen Swans oder Godflesh.“
Mir wurde im Vorfeld davon abgeraten, Dir
bestimmte Fragen zu stellen. Trotz alledem: Stimmt es, daß Du das Haus gekauft
hast, in dem Sharon Tate ermordet wurde?
„In diesem Punkt gab es viele Mißverständnisse
und Falschmeldungen, also werde ich das einmal klarstellen. Vor anderthalb
Jahren begann ich, ein Haus zu suchen, in dem man proben und aufnehmen kann,
ohne daß gleich die Nachbarn anklopfen. In New Orleans, wo ich damals wohnte,
fand sich kein passendes Objekt. Durch Freunde wurde ich animiert, es in L.A.
zu versuchen, schon der Nähe zu den Technikern wegen. Dort bot man mir zehn bis
zwölf Häuser an. Eines davon war das Tate-Haus, was ich zuerst gar nicht wußte.
Es erfüllte meine Grundbedingungen, ist zu dem nicht klobig gebaut und
gestattet einen wunderbaren Blick auf die weite Stadt. In der Nacht vor dem
Kaufvertrag wunderte sich ein Bekannter über die Adresse. Er holte ein Buch
über den Mordfall mit allen möglichen Hausskizzen hervor. Das war kein Problem,
gehört der Fall in Amerika eigentlich zum Allgemeinwissen für jeden Haushalt.
Jedenfalls lief mir ein Schauer über den Rücken, als ich merkte, worum es sich
bei dem Haus wirklich handelt. Die Verkäufer bestätigten diesen Umstand tags
darauf und nahmen die Information mit in den Kontrakt auf. Ich habe trotz alle
dem zugegriffen, weil ich der Suche nach einem Platz überdrüssig war und dieses
eine Haus einfach perfekt schien. Ich würde heute wieder so entscheiden, obwohl
es immer wieder verwirrte Touristen gibt, die Charles Manson für eine Kultfigur
halten und nun bei mir anklopfen.“
Überrascht Dich der große NINE INCH
NAILS-Erfolg in den USA eigentlich?
„Das ist schon
eine seltsame Sache. Es ist wohl die Industrial-Band, auf die sich auch
Industrial-Gegner einigen können. Mich beruhigt es ungemein, Anerkennung für
die Mühen zu Erhalten. Und es sind Mühen. Ein Jahr lang tüftelte ich in meinem
Haus an dem Album, schottete mich dabei radikal von der Außenwelt ab. In dieser
Zeit habe ich noch nicht einmal jemanden angerufen. Ich merke, wie die Zeit im
Flug vergeht und weiß eigentlich gar nicht, warum. Trotz dem: Ich werde erst
einmal weiter machen und die Möglichkeiten, die sich der Band bieten,
ausschöpfen. Irgendwann aber wird der Punkt kommen, wo ich endlich mal wieder
eine richtige Beziehung führen will. Und dann ist Schluß.“
Thomas
Weiland
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