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Jahr 1995

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Metal Hammer

 

Februar 1995

 

Trent Reznors einsame Suche

 

Autor: Lilli Wilde

Fotos: Joseph Cultice

Trent Reznor trägt Fischnetzstrümpfe, zelebriert elektronische Sounds und nimmt mit den NINE INCH NAILS Konzeptalben auf. Völlig vorbei am Zeitgeist, oder ist es jetzt endgültig da, das Jahr eins nach Grundge?

 Die Frage, ob Trent Reznor ein ´Workaholic' sei, kann man sich getrost sparen, weiß man um seine zahlreichen Aktivitäten, die vor allem in der letzten Zeit ein für die meisten Normalsterblichen nicht zu bewältigendes Ausmaß angenommen haben: die langwierigen Aufnahmen zu THE DOWNWARD SPIRAL, dem Album, mit dem er in den Staaten mittlerweile über eine Million Einheiten verkauft hat, das Betreiben seiner eigenen Plattenfirma Nothing Records, die Produktion des NATURAL BORN KILLERS-Soundtracks und des Nothing-Acts Marilyn Manson, Nine Inch Nails spektakulärer Auftritt auf dem Woodstock II-Festival und eine Tour, die im Februar letzten Jahres begann und mit kurzen Unterbrechungen bis ins Frühjahr 1995 hineingehen wird.

 Insofern überrascht es nicht, dass man uns sagt, Reznor sei ausgepumpt, zu viele Interviews in den letzten Monaten. Eigentlich hatten wir ihn ja in New York treffen wollen, wo Nine Inch Nails zwei ausverkaufte Konzerte im Madison Square Garden spielten. Jedoch sei dort erfahrungsgemäß immer so viel hinter den Kulissen los, dass jeder zusätzliche Aufwand vermieden werden soll. Von daher befinden wir uns nun im eher provinziellen Baltimore, Maryland. Die Nine Inch Nails sind zur Zeit auf Tour mit Marilyn Manson und dem Jim Rose Circus, und während Marilyn Manson sich gerade auf der Bühne abmühen, heißt es dass Reznor bereit ist, Audienz zu gewähren.

 Die Szenerie im Backstageraum der Balitmore Arena ist geschmacksvoll: Trent Reznor gebadet im blauen Licht, das seine vornehme Blässe noch vorteilhafter unterstreicht. Trotz seiner Müdigkeit sieht er überraschend gesund und fit aus. In natura sogar noch besser als man anhand der sorgfältig ausgeleuchteten Photographien, die von ihm existieren, bereits vermutet hatte. Mit seinem länglichen Gesicht, den halblangen schwarzen Haaren und den dunklen Augen, die anrührend melancholisch, aber hellwach in die Welt schauen, ist er der ideale Posterboy für die nicht mehr ganz so jungen Neunziger: Ewig im Hader mit der Welt, aber mit dem unbändigen Willen, sich von dieser nicht unterkriegen zu lassen. Kürzlich wurde er von den Lesern des renommierten US-Magazins ´Spin' zum Sexsymbol und (zusammen mit Kurt Cobain) zum Künstler des Jahres gewählt, und Cobains lustige Witwe Courtney Love weiß die Reize des beinahe dreißigjährigen (geboren am 17. Mai 1965) ebenfalls zu schätzen und wird nicht müde, ihm hinterherzustellen.

 Ein Grund für diese Euphorie könnte sein, dass mit Reznor ein Künstler ans Licht der Öffentlichkeit getreten ist, der einer Generation, die bislang als eine völlig orientierungslose dargestellt wurde, neue Konturen zu geben vermag. In einer Zeit, in der Jugendidole wie Eddie Vedder öffentlich zugeben, dass sie nicht mal ihre "eigenen Scheißprobleme im Griff" haben, fasziniert jemand wie Reznor, der sich nichts aus der Hand nehmen lässt und seine Karriere von Anfang an alleine konstruiert hat, umso mehr. Reznor ist kein Mann für nachdenkliche ´MTV unplugged'-Sessions, die sich schon rein technisch  niemals mit den Nine Inch Nails verwirklichen lassen würden. Darauf legt er auch keinen Wert. Er liebt Bombast und Kostümierungen ("Kiss waren damals die Größten!"), und Nine Inch Nails Bühnenauftritte gleichen viel eher perfekt inszenierten Theateraufführungen, die geprägt sind von der kontrolliert zur Schau gestellten Gefühlswelt ihres Hauptdarstellers. Studioaufnahmen und Songwritig sind in Reznors Fall mehr oder weniger ein Ein-Mann-Projekt, auf der Bühne hat er mit seinem langjährigen Wegbegleiter Chris Vrenna (dr), Gitarrist Robin Finck, Bassist Danny Lohner (Ex-Skrew) und Keyboarder James Wolley ein Line-Up gefunden, das seine Lieder live zu mitunter völlig neuen Gebilden umzusetzen vermag. Auftritte in Deutschland gab es bislang nur wenige, und diese standen zu allem Überfluss auch meist noch unter einem schlechten Stern. An Mannheim, wo die Nine Inch Nails damals im Vorprogramm von Guns N'Roses auftraten, erinnert Reznor sich Jahre später noch mit Entsetzen: "Die Leute haben uns einfach gehasst. Ich weiß gar nicht, was sie alles geschmissen haben, auf jeden Fall waren auch Würstchen dabei…"

 Reznor ist bekannt als Perfektionist. Chris Vrenna weiß ein Lied davon zu singen:

 "Wenn beispielsweise etwas mit der PA nicht stimmt, dann heißt das für ihn, dass sie abgebaut und wieder aufgestellt werden muss, bis es stimmt. Ganz egal, und wen es die ganze Nacht dauert."

 Auf solche Zitate angesprochen zuckt Reznor leicht mit den Schultern und schaut einen aus großen Augen an, als sein eine solche Vorgehensweise die natürlichste von der Welt.

 "Mein einzigstes Ziel ist es, alles so gut zu machen, wie es nur eben möglich ist. Von den Leuten, die mit mir arbeiten, erwarte ich die gleiche Einstellung, und wenn das nicht der Fall ist, was manchmal leider vorkommt, werde ich zum Arschloch." Er überlegt kurz, dann: "Aber ich bin bei weitem nicht so schrecklich, wie es vielleicht manchmal den Anschein hat."

 In akribischer Kleinstarbeit entstand innerhalb eines Jahres sein letztes Album, THE DOWNWARD SPRAL, das in eben jenem berühmten Haus aufgenommen wurde, in dem vor mehr als 25 Jahren die Schauspielerin Sharon Tate und ihre Gäste von Anhängern der Manson Family ermordet wurden (s.a. MH 12/94). Ein Thema , über das Reznor gar nicht mehr gerne spricht. Jedoch, selbst wenn es ein guter Publicitygag gewesen sein mag, hätte die Platte einen solchen sicher nicht nötig gehabt. Reznor hat dort am Cielo Drive in Los Angeles, Kalifornien, ein bedrückendes und vielschichtiges Werk geschaffen, das eine düstere Vorstellung davon hinterlässt, wie ein Franz Kafka-Roman musikalisch umgesetzt klingen könnte. Getäuscht sahen sich hingegen diejenigen, die nach dem gitarrenorientierten BROKEN-Mini-Album eine noch eindeutigere Zuwendung in diese Richtung erwartet hatten. Immerhin hatte Reznor damals einen Grammy in der Sparte ´beste Metal-Band' damit gewonnen.

 "Oh ja," , lacht er, "dieses Business geht manchmal seltsame Wege. Für mich war es aber interessanter, wieder mehr mit dem Computer zu arbeiten. Ich wollte ein für mich erreichbares Maximum an Komplexibilität konstruieren, eine Platte mit Höhen und Tiefen schaffen. Zu Beginn  der Aufnahmen hatte ich keinen einzigen Song, und es war ein sehr langer, aber interessanter Weg, dieses Album zu machen. Einige Monate habe ich nicht einmal ansatzweise an Songs gedacht, sondern nur an unfertigen Ideen gearbeitet."

 Zur Hilfe standen ihm, neben Vrenna und Produzent Flood, der Ex-Jane's Addiction-Drummer Stephen Perkins und der ehemalige Bowie-Gitarrist Adrian Belew, deren Parts unendlich viele Male gesampelt und in völlig entfremdeter Form in bereits bestehende Songgefüge eingearbeitet wurden. David Bowie, und vor allem dessen LOW-Album, war "einer der Haupteinflüsse auf dieser Platte." THE DOWNWARD SPIRAL ist ein Konzeptalbum, das, wie ach die vorangegangenen Veröffentlichungen BROKEN und PRETTY HATE MACHINE, autobiographische Züge seines Schöpfers trägt.

 "Ich habe für mich selbst realisiert, dass ich viele Dinge erreicht habt, an die ich früher im Traum nicht gedacht hätte, ich aber trotzdem nicht glücklicher bin deswegen. Ich habe zwar viel geschafft, fühle mich auf der anderen Seite aber isolierter von meiner Umwelt, entfernt von den Menschen um mich herum. Ich wollte die Geschichte einer Person schreiben, die ihre Situation analysiert, das, was sie erreicht hat, ihre Beziehung zu anderen Menschen, zu Sex, zu Drogen, zu Religion. Es war mit von vorneherein klar, dass es keine fröhliche Platte werden würde; und zum Schluss wusste ich nicht, wie ich sie angemessen beenden sollte, ob es eine Lösung gibt…"

 Beendet wurde sie letztendlich mit ´Hurt', jenem Lied, das mit der markerschütternden Textzeile ´I hurt myself today, to see if I still feel' beginnt. Ist das die Lösung? Reznor rutscht unruhig auf seinem Hinterteil hin und her und schweigt eine ganze Weile, bevor er antwortet:

 "Ich habe ´Hurt' ganz zum Schluss geschrieben, weil… Ich war so verdammt traurig. Ich wusste erst nicht, ob ich den Song überhaupt auf die Platte tun sollte. Ob das eine Lösung ist?" Abrupt steht er auf, fragt, ob ich was trinken möchte und meint, dass er fast geweint habe, als das Stück aufgenommen wurde. Umso merkwürdiger muss es für ihn gewesen sein, genau diesen Song in einer Strip Bar zu hören. "In diesem Song stecken so viele Emotionen von mir, und dann siehst du, wie sich eine Frau dazu auszieht…"

In solchen Momenten offenbart sich vielleicht am besten, was Reznor bzw. die Nine Inch Nails so anders erscheinen lässt als andere Electronic-Bands; der krasse Gegensatz zwischen lebloser Computer Soft Ware und dem Menschen Trent Reznor, der niemals zur Maschine mutiert, sondern immer ein Wesen aus Fleisch und Blut bleibt und dessen Verletzlichkeit, Ängste und Aggressionen auf diese Art noch offensichtlicher heraustreten. Reznors emotionaler Input in seine Musik ist ein ganz entscheidender, der weit über das normale Maß hinausgeht. Salopp formuliert könnte man behaupten, dass er sich diese Art den Weg zum Psychotherapeuten spart.

 "Ich bin Zeit meines Lebens bis zu einem gewissen Grad deprimiert", sinniert er, "aber irgendwie habe ich es geschafft, eine Karriere drauf aufzubauen. Nicht schlecht oder?"

 Insofern dürfte die Arbeit zum NATURAL BORN KILLERS-Soundtrack, die er zusammen mit Vrenna während der Tour(!) erledigt hat, um einiges einfach gewesen sein, da hier lediglich Reznors Qualitäten als Produzent gefordert wurden.

 "Ich habe wesentlich mehr Anerkennung dafür erhalten, als ich eigentlich verdient habe", hält er den Ball flach. "Die Songs waren bereits ausgesucht worden, und meine Idee war, einige Dialoge dazwischen zu schneiden, damit ein Bezug zu der Handlung des Films hergestellt wird. Das gibt's sicher schon, aber ich habe so etwas noch nie zuvor gehört." Äh, der Soundtrack zu ´Pulp Fiction vielleicht? "Das war später", lacht er, "die haben mich kopiert!"

 Angesichts der Fülle von Aktivitäten fragt man sich unweigerlich, woran Reznors Herz momentan am meisten hängt.

 "An der Musik, Nine Inch Nails. Mit dem Label und meiner Arbeit als Produzent habe ich mit jedoch Möglichkeiten für ein Leben nach Nine Inch Nails geschaffen. Irgendwann, das kann schon in einem, vielleicht aber auch erst in ein paar Jahren sein, werde ich mit Nine Inch Nails aufhören und mehr produzieren. Vielleicht schaffe ich es dann ja, ein einigermaßen normales Leben zu führen, etwas anderes zu machen als ewig im Bus zu sitzen, müde zu sein, über mich selbst zu reden…"

 Hast du im Moment ein Privatleben?

 "Nein, im Moment führe ich überhaupt kein Leben. Es gab mal eine Zeit, da hatte ich so etwas, aber im Moment habe ich überhaupt nichts." Vermisst du das? "Und wie. Gerade in diesem Moment wünsche ich mir, eine Heimat zu haben, eine Adresse, Freunde…" Klingt schrecklich. "Aber es stimmt. Die wenigen Freunde die ich habe, sehe ich monatelang nicht, weil einfach keine Zeit dazu ist. Für mich ist jeden Tag in einer anderen Stadt eine Party. Ich spiele eine Show, werde von den achttausend Leuten, die zu unserer Show kommen, als Freak behandelt, und am nächsten Tag das gleiche Spiel in einer anderen Stadt. Irgendwann verlierst du unweigerlich den Bezug zumal ich zugegebenermaßen nicht sehr gut darin bin, Privatleben mit Arbeit zu verbinden. Wenn ich etwa ein Album aufnehme, bin ich unfähig, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, weil ich mit meinen Gedanken ständig bei der Arbeit bin."

 Umso tragischer ist es für ihn seinen Hund, eine Retrieverhündin namens Masie, durch einen Unfall verloren zu haben. "Sie war  mit auf der Tour dabei, ich hatte sie immer bei mir. Es ist schrecklich, ich vermisse sie so sehr."

 Langsam wird es für ihn Zeit, sich für die Show umzukleiden, aber eins möchte er vorher noch loswerden: "Hast du schon einmal den Jim Rose Circus gesehen? Nein? Komm mit, musst du einfach." Er führt mich an den Bühnenrand, und während ich da so neben ihm stehe und kreidebleich und mühsam um meine Fassung ringend beobachte, wie sich ein Mensch Ziegelsteine an die durch seine Brustwarzen gepiercten Haken hängt, tippt Reznor mir auf die Schulter. "Weißt du, Masie, sie war meine Freundin…"

 Ich kann das nur zu gut verstehen, muss aber dennoch, nachdem er sich umkleiden gegangen ist, ersteinmal vor die Halle an die frische Luft und eine Zigarette rauchen. Als er später selbst da oben steht und als letzte Zugabe das herzzerreißende `Something I can never have' singt, kann ich ihn vielleicht sogar noch besser verstehen. "Manchmal denke ich, dass ich mein ganzes Leben damit verbringe, einen Platz zu finden, wo ich hingehöre", hat er mal gesagt und damit ein uns allen nur allzu vertrautes Gefühl wiedergespiegelt. Während die meisten von uns jedoch an einen Punkt ankommen, an dem sie einem Kompromiss vorlieb nehmen, geht seine Suche unaufhörlich weiter, offenbart sich gerade darin der eigentliche Antrieb seines kreativen Schaffens.

 Andrea Nieradzik

 

Im Text eingestreute Zitate:

 "Ich weiß gar nicht, was sie alles nach uns geschmissen haben, auf jeden Fall waren auch Würstchen dabei…"

(Trent Reznor erinnert sich an seine ersten Auftritte in Deutschland)

 "Ich habe für mich selbst realisiert, dass ich viele Dinge erreicht habe, an die ich früher im Traum nicht gedacht hätte, ich aber trotzdem nicht glücklicher deswegen bin."

  

 

Ein extra Kasten:

 Die Alben kommentiert von Trent Reznor:

 PRETTY HATE MACHINE (1989)

 "PRETTY HATE MACHINE ist eine sehr naive Platte, viel offensichtlicher als alles, was ich danach gemacht habe. Ich mag das Album immer noch, würde so etwas aber nie mehr aufnehmen, weil ich nicht mehr die Person bin, die ich damals war. Manche Ideen darauf sind ein wenig dumm, aber alles in allem bin ich noch recht stolz darauf. Für viele Leute ist es immer noch die beste NIN-Platte, weil sie die eingängigsten Songs enthält."

 BROKEN(1992)

 "Damals hatten wir geraden den Ärger mit unserer ersten Platten Firma TVT und ich war ziemlich frustriert und wütend zu diesem Zeitpunkt. BROKEN ist auf der Gitarre komponiert, weil ich mich erstmals sicher genug an diesem Instrument fühlte. Es ist nur ein Mini-Album geworden, weil wir einen kurzen, aber lauten Wutschrei ausstoßen wollten. Ironie des Schicksals, dass wir dafür mit einem Grammy als die ´beste Metal-Band` ausgezeichnet wurden."

 THE DOWNWARD SPIRAL (1994)

 "Nach BROKEN wollte ich wieder etwas am Computer komponieren. Mein Ziel war es, ein sehr komplexes Album aufzunehmen, sowohl sehr hart, stellenweise aber eben auch sehr soft. Ich bin wirklich zufrieden mit dieser Platte, ehrlich gesagt sogar wahnsinnig stolz drauf."

 

 Außerdem im Heft:

 Rubrik "Hardfax" (so etwas ähnliches wie eine "News-Abteilung")

 Was passierte nachdem Andrea N. Nine Inch Nails interviewte?

 Auf der Fahrt von Baltimore nach New York rammte ein Auto den Tourbus, der darob auf den Seitenstreifen schlitterte. Gitarrist Robin, der gerade im Gang stand, wurde so durch den Bus geschleudert, dass er sich dabei einen Finger brach. Ergebnis: die New Yorker Konzerte mussten um einen Tag verschoben werden. Weiteres Ergebnis: Die Band stürzte in einer Bar vor lauter Langeweile total ab.

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