Fünf Jahre Gerüchte über das neue Nine Inch Nails-Album und dann das:
Blumen auf dem Cover! Gitarren statt Keyboards. Romantik statt Rohheit. IQ
erfuhr, warum sich „The Fragile“
gegen aktuelle Trends so sperrt.
Musik als gnadenlose Selbsttherapie
- so könnte man Nine Inch Nails endlich erschienenes Doppelalbum „The Fragile“ umschreiben. Das ist kein neuer
Ansatz aber Industrialmogul Trent Reznor ging die Sache entschieden konsequenter
an als andere zuvor: 5 Jahre verbrachte er in Isolationshaft im Studio, fernab
aktueller musikalischer Einflusse. Die Idee sich selbst zu erneuern und zu
reinigen und als Abfallprodukt noch ein bombastisches Konzeptalbum im Stil von
Pink Floyds „The Wall“ für die
ausgehenden 90er zu erschaffen. Ein Megaopus zwischen radikalen, subkulturellen
Bruchstucken und hemmungsloser Zuckerwatte für die Ohren. Der Mann mit den
vielen Ambitionen beeindruckt in persona zunächst einmal mit höflicher Zurückhaltung.
Kein potentieller Hotelzimmer-Zertrümmerer oder pseudomorbider Gruftie sitzt IQ
da gegenüber. Statt dessen ein gut erhaltener Thirtysomething, im einheitlich
schwarzen, aber superschlichten Jeans-Outfit, der das lautstarke Posieren
längst Zöglingen wie Marilyn Manson überlässt. Trent Reznor steht heute über
den Dingen, was er nicht zuletzt, wie er betont, „The Fragile“ verdankt. Nur on stage werden noch regelmäßig Dämonen
mittels Urschreitherapie ausgetrieben.
IQ: War „The Fragile“ nicht
viel elektronischer geplant? Schließlich bist du doch als Rockmusik Hasser
bekannt, oder?
Nach der Veröffentlichung von The Downward Spiral 1994 gingen wir 2
Jahre auf Tour. Danach wusste ich erstmal nicht wie es weitergehen sollte. Ich
war vom Ende des Rock überzeugt und das bin ich immer noch - Rock ist
grauenhaft im Moment. Er berührt mich in keinster Weise, geht bei einem
Ohr rein und beim andern raus. Aber als ich dann endlich so weit war und mich
der Einsamkeit des Schreibens aussetzte, kam alles ein bisschen anders. Ich fühlte
mich plötzlich von Gitarren und „echten“ Instrumenten angezogen. Mich reizte
die Idee von Fehlern, Brüchen und diese Naivität im Umgang mit Instrumenten,
die ich eben nicht so beherrsche. Ein Keyboard
kann ich spielen, eine Gitarre schon viel weniger.
IQ: Deswegen also die vielen Gitarren?
Am Ende waren wir, Produzent Alan
Mulder und ich, erstaunt von den Sounds. Es klingt alles so organisch und tatsächlich
startete 90 Prozent des Materials mit einer Gitarre, mit Streichern Ukuleles.
Jede Verstimmung jeder Fehler waren essentiell. Darum ging es und nicht darum
eine langweilige Gitarre-Bass-Schlagzeug_Platte zu machen.
IQ: „The Fragile‘ scheint frei von aktuellen Dance-Einflüssen zu sein,
die du früher noch, auf Tracks wie ‚The Perfect Drug’, verfolgt hast. Wehrst du
dich dagegen, Teil eines Genres in zu sein?
Zu „Perfect Drug‘-Zeiten wusste
ich nicht genau, was ich wollte, und das hört man auch. Damals hat es mich
wirklich interessiert, was so in den Clubs läuft, habe Sachen wie Goldie gemocht.
Ich erlaubte mir den Luxus, mich ein bisschen gehen zu lassen, weil es ja nur
für einen Soundtrack (Lost Highway, Anm.) war. Wenn ich das heute höre, klingt
es völlig veraltet. Bei „The Fragile‘ habe ich mich absichtlich von allen Einflüssen
ferngehalten und stattdessen in meinem Unterbewußtsein nachgegraben. ‚The
Fragile“ soll nicht nach 1999 klingen. Das kann man gut oder schlecht sehen: Tatsache
ist, dass ich jahrelang in einem Raum eingesperrt war und man
nichts von dem Sound der Außenwelt hört. Das kann auch schlecht sein, weil jeder
Künstler irgendwie auf die Gegenwart reagiert. Ich war dagegen von Rockalben
aus den Siebzigern beeinflusst.
IQ: Kann man als Godfather des extremen Rock in Würde alteern? Anders
gefragt: Ist die Wut auf deinem Album immer authentisch?
Ehrlichkeit war mir das
Wichtigste an diesem Album. Es geht mir nicht um mein Publikum, was sich die von mir erwarten.
Ich bin jetzt einfach 10 Jahre älter als zu meinen Anfängen, und wenn ich
ehrlich bin, fühle ich mich weniger zornig als bei meinen früheren Platten. Ich
bin jetzt 34 und habe versucht, ganz ehrlich das auszudrücken, was ich im
Moment fühle. Ich frage mich oft, was passiert, wenn mein ganzer Zorn in ein
paar Jahren plötzlich magisch hinweggeblasen wäre - würde ich dann immer noch
ein typisches Nine Inch Nails-Album machen? Schließlich steht der
Name für ein bestimmtes Markenzeichen. Ich denke aber, ich werde mir selbst
treu bleiben, so wie ich es auf diesem Album gehandhabt habe.
IQ: Es gibt sehr viele Lovesonqs auf ‚The Fragile“, geht es dabei um
eine konkrete Person oder projizierst du nur deine Phantasien in die Texte?
Es sind hauptsächlich Ideen, die
aus meinem Unterbewusstsein kommen. Ich wollte nicht zu viel über die Texte
nachdenken, ein Fehler, den ich früher oft begangen habe. Gegen Ende habe ich
meine Texte jenem Starproduzenten geschickt, der auch schon für ‚The Wall’ von
Pink Floyd verantwortlich zeichnete. Es war, als wenn man seinem Professor eine
Arbeit abgibt, und ich habe eine Eins minus von ihm bekommen. Sein Fazit: Alles
auf „The Fragile dreht sich um mich, aber von ganz
verschiedenen Perspektiven betrachtet. Es ist mein Versuch, Sinn und Respekt im
Leben zu finden. Ich freute mich über diese hohe Einschätzung eines Mannes, den
ich extrem respektiere. Ohne „The Wall“ würde ich gar nicht hier sitzen.
IQ: Ein absolutes Hasslied ist aber inmitten all der Romantik - geht es
bei „Starfuckers Inc.“ um jene Personen ans deinem engen Umfeld (Marilyn Manson
und Courtney Love, Amm.) die ich vermute?
Natürlich geht es um diese Personen
(lacht). Offensichtlich wurde ich von Leuten angegiffen, die mir einmal sehr
nahe gestanden haben. Ich leugne nicht, dass mir das total an die Substanz
gegangen ist. Alles ist schiefgelaufen. Aber du kannst diesen Song auf viele
Personen beziehen. Ab einer bestimmten
Zeile werden sie schon wissen dass es um sie geht.
IQ: Wenn du mit wenigen Worten die Gefühle auf „The Fragile!
Beschreiben müsstest, was würdest du sagen?
Wenn „The Downward Spiral‘ einen
Abstieg in den Wahnsinn und Verfall beschrieben hat, dann fängt diese Platte
dort unten an, aber sie ist viel bescheidener und weniger prätentiös. Es steht
keine Antwort oder Lösung am Ende, aber allein der Akt das konstanten Suchens
ist positiv.
IQ: Es hat sich also bei diesem Album um die reinste Selbsttherapie
gehandelt?
Ja, dieses Werk hat mir geholfen,
mich selbst wiederherzustellen. Mein Leben war außer Kontrolle geraten. Ich
weiß noch immer nicht, wer ich bin, aber es ist besser geworden. Ich weiß, dass
ich jetzt wie ein prätentiöses Arschloch klinge, aber es geht mir wirklich um
Kunst und um Konsequenz. Ich habe mich nicht selbst verraten, deswegen schlafe
ich nachts sehr gut. Ich freue mich, Nummer 1 in
Amerika geworden zu sein, trotz so langer Pause. Aber das Wichtigste ist, daß ich
etwas für mich Bedeutsames geschaffen habe.
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