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Viel
Lärm um nichts, könnte man unken angesichts des ungeheuren Aufruhrs, in dem
sich die gesamte Musikpresse seit einiger Zeit befindet. All das
"nur" wegen eines neuen Nine Inch Nails-Albums, von "Alternative
Press" als "eine der am meisten erwarteten Platten des Jahrzehnts"
bezeichnet. Begonnen hatte der Trubel bereits Anfang letzten Jahres. Zunächst
gab es nur Gerüchte. Die einen behaupteten zu wissen, dass Reznor jetzt Hip Hop
machen würde. Die anderen wollten gehört haben, dass Nine Inch Nails jetzt
Rockmusik spielten. Dann die Spekulationen um den Termin: Wann kommt es denn
nun, kommt es überhaupt, das neue Album? Irgendwann hörte man dann aus
zuverlässiger überseeischer Quelle, dass die Platte "The Fragile"
heißen und am 21. September mit dreiundzwanzig Tracks und über einhundert
Minuten Spielzeit, auf einmal schon als Import in den hiesigen Läden, noch
bevor die Journaille auch nur einen Ton gehört hatte, geschweige denn Trent
Reznor in Interviews zur Lage der Dinge im Hause NIN befragen konnte.
Irgendwann ist es dann schließlich soweit und der Mann, den "Time
Magazine" als einen der einflussreichsten Menschen in Amerika bezeichnete,
findet sich zum Gespräch mit der Presse bereit - und zeigt sich verblüfft
darüber, dass das Album hier vor dem eigentlichen Veröffentlichungstermin als
Import zu erwerben war. Hat Reznor wirklich so wenig Einblick in die Dinge, die
sich um ihn und seine Band herum zutragen? Noch einmal überrascht davon, dass
man dies alles dahingehend interpretieren könnte, dass dem deutschen Markt bei
weitem nicht soviel Bedeutung beigemessen wird wie dem amerikanischen,
kommentiert Reznor: "Soweit mir bekannt war, wurde das Album überall zur
selben Zeit veröffentlicht. Es kann gut sein, dass es in Deutschland drei oder
vier Tage später herauskam. Wir hatten diesbezüglich schon immer einige
Probleme, da die Plattenfirma hier es nicht auf die Reihe zu bekommen schein.
Ich kann dir versichern, ob du es glaubst oder nicht, dass es nicht meine
Absicht war, die Leute hier auszutricksen."
Dann
wollen wir ihm mal Glauben schenken, dem dunklen Prinzen des Industrial, der
sich auf seinen Platten gerne als ein der Welt entrückter Künstler porträtiert,
der sich in seiner ganz eigenen, düsteren Märchenwelt zu befinden scheint. Zu
dem Bild, welches Reznor auf "The Fragile" von sich zeichnet, meint
er: "Es gibt keinen Unterschied nach außen hin auf meinen Platten zeige,
vielleicht zeigt Letzteres das, was ich fühle, in einer verstärkten Form. Auf
´The Fragile', spüre ich das jedoch nicht. Alles ist insgesamt viel ehrlicher
und mehr ich. Und noch etwas: Es fällt mir schwer, diese Dinge zu sagen, aber
ich weiß, was ich sage. Ich habe erkannt, dass die beste Kunst, dich ich
erschaffen kann, die ist, die ehrlich ist. Ich habe versucht, das
herauszulassen, was ich bezüglich einer Vielzahl von Dingen fühlte."
In
dem Sinn ist "The Fragile" genau das, was sein Titel andeutet, ein
Album über verschiedenste, zumeist schmerzliche Gefühle, die in
unterschiedliche musikalische Stimmungsbilder umgewandelt werden. "Ich
hätte eine Platte aus all meinem Selbstzerstörertum machen können, einen lauten
Industrial-Schlag ins Gesicht, der jedoch niemanden überraschen würde", so
Reznor. "Niemand würde sich über mich lustig machen, und es wäre das
Sicherste, aber auch Fadeste gewesen, was ich hätte machen können". Er fährt
fort: "Ich kann aber auch eine Platte machen, die verschiedene Dinge
erforscht und unterschiedliche Stimmungen ausprobieret, andere als die, die
einen Schlag ins Gesicht darstellen würden. Bei dieser Platte passierte eines
nach dem anderen. Zunächst musste ich den Mut finden, anderen Spuren zu folgen
und zu sehen, wohin sie mich führen würden. Ich hoffte, dass alles am Ende
einen Sinn ergeben würde."
Mit
dem Schluss von "The Fragile" wird deutlich, was Reznor meint. Das zentrale
Thema des Albums offenbart sich - das Zerbrechen und Zerfallen von Dingen,
Gefühlen, Systemen. Bald wird ersichtlich, dass sich die musikalische Umsetzung
des Themas daran festmacht, der Platte einen zerbrechlichen und teilweise auch
zerbrochenen Sound zu geben. Alles wir manipuliert, um dieser Idee zu
entsprechen. Reznor erzählt von dem harten Weg von der Idee über die Erkenntnis
bis hin zum Sinn: "Als wir mit der Platte anfingen, erkannte ich, dass ich
dazu neigte, vieles zu sehr analysieren, zu sehr über alles nachzudenken. Als
ich dann einfach alles fließen lies, kamen viele Dinge aus meinem
Unterbewusstsein hervor. Das Stück ´La Mer', einer der ersten Songs, den wir
für dieses Album aufgenommen hatten, hörte sich zunächst nicht nach Nine Inch Nails
an. Ich weiß noch heute nicht, was zum Teufel dieses Stück ist, aber es gefällt
mir. Da erkannte ich, dass das Konzept von Nine Inch Nails das sein kann, was
immer ich möchte, und dass ich lediglich dafür verantwortlich bin, dass es Sinn
ergibt. Indem du Risiken eingehst, kannst du natürlich auch leichter scheitern.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass nicht alles, was auf mir hervorgeht, gut oder
wertvoll ist."
Obwohl
sich Reznor selber dessen bewusst ist, scheint die Welt ihn auch angesichts von
"The Fragile" noch immer gerne als den Übermusiker des Industrial
sehen. "Die Medien sind offenbar immer sehr bestrebt, die Dinge zu
kategorisieren. Diese Platte klingt in meinen Ohren ganz anders. Ich denke
nicht, dass ´Industrial' notwendigerweise das richtige dafür ist. Aus meiner
eigenen Perspektive als Künstler heraus, habe ich jetzt mehr Selbstvertrauen
und bin nicht mehr so besorgt darum, ob bestimmte Leute meine Arbeit gutheißen
oder nicht". Dennoch scheint die Presse, besonders in Amerika, Reznor gleich
einem Gott zu huldigen, einem sehr dunklen, versteht sich. "Ich habe
gerade die Lebenskrise hinter mich gebracht, aus der ´The Downward Spiral'
hervorging. Wir betourten das Album zwei Jahre lang. Alles war so verwirrend,
und wir waren inzwischen in Amerika zu einer großen Band gewachsen. Viele Leute
umschwärmten uns und leckten unsere Stiefel. Jeder behandelte uns
plötzlich anders, wir hatten auf einmal Geld, und eine ganz andere Art von
Verantwortung lastete auf unseren Schultern. Ich erkannte, dass ich aufgrund
meines jahrelangen Tourbus-Daseins von dieser Art von Energie und Bewunderung
sowie seltsamen Erfahrungen umgeben war. Mein Charakter veränderte sich. Wenn
man Macht erhält, kann einem das korrumpieren und verändern. Ich stellte fest,
dass das Bild, was ich selber von mir hatte, anfing, auf dem zu basieren, was
über mich geschrieben wurde oder darauf, was die Leute meiner Meinung nach von
mir dachten. Ich habe mich immer als eine Person gesehen, die sich selber
kennt. Aufgrund der Tatsache, dass die Musik, die ich mache, keine fröhliche
Musik ist und zumeist von negativen Dingen handelt, die mir Sorgen oder
Schmerzen bereiten, beschreiben mich die Leute gerne als jemanden, bei dem sich
alles nur ums Düstere dreht, jemanden, der depressiv veranlagt ist."
Reznor
wird leicht defensiv, sobald er mit den Vorstellungen konfrontiert wird, die
die Öffentlichkeit von ihm hat. Wie immer im Fall von Menschen, deren
Charakter und Lebensauffassung nicht der konventionellen Definition von
Normalität entsprechen, scheint es auch im Fall von Trent Reznor so, dass die
Leerstellen nach dem Gutdünken des jeweiligen Richters aufgefüllt werden.
"Dass wir beispielsweise ´The Downward Spiral' in dem Haus aufnahmen, in
dem Sharon Tate ermordet wurde, hatte nichts mit einer Art von morbider
Faszination zu tun, die ich für einen Ort empfand, an dem extreme Gewalttaten
vollbracht wurden. Andere zeigen sich beeindruckt davon, dass ich in New
Orleans in einem Haus wohne, in dem früher der Sitz eines
Bestattungsunternehmens war. Jedoch ging es mir auch hier lediglich darum, ein
Haus zu finden, das groß und geeignet genug war, um darin ein Studio
unterzubringen. Warum sollte ich also nicht dort einziehen? Es hatte nichts
damit zu tun, dass ich mich bemühen wollte, dieser angsteinflößender Typ zu
sein, hinter dessen Fassade jeder zu schauen versucht und der einen morbiden
Lebensstil innehat."
Nicht
nur die Presse, auch ein ehemals freundlich gesinnter Musikerkollege und
Mediendiktator hat in der Vergangenheit seinen Teil dazu beigetragen, ein wenig
schmeichelhaftes öffentliches Meinungsbild von Reznor zu zeichnen. Was fühlte
Reznor. Als er die ihm zugedachte Passagen aus Marilyn Mansons buch zu Augen
bekam? "Ich war verärgert und traurig über die Art und Weise, wie sich die
Dinge entwickelt hatten. Offensichtlich gab es einen Bruch auf einer
freundschaftlichen Ebene, der nur ihn und mich betraf. Seine Entscheidung,
darüber ein Buch zu schreiben, macht das Ganze nun zu einer öffentlichen
Angelegenheit, zu der ich mich äußern muss. Ich denke, dass Ruhm und Geld
manches verdrehen können. Es überrascht mich immer wieder, zu sehen, wozu
manche Leute in der Lage sind, aber so etwas hätte ich ehrlich gesagt nicht
erwartet. Es tut weh."
Interview: Mike Turner
Artikel: Anja Lochner |