Die englische Version dieses Artikels unterscheidet
sich geringfügig von der deutschen Fassung.
Trent
Reznor ist NINE INCH NAILS. Er schreibt alles, singt alles und spielt (fast)
alles allein. Weshalb sein neues Werk, "The Fragile", nach über zwei
Jahren immer noch auf sich warten lässt.
Von David Fricke
Trent
Reznor ist bereit. Leicht in der Hüfte geknickt, das Mikro fest in der Hand,
als wollte er ihm das metallene Hälschen umdrehen, steht er im Nothing Studio
in New Orleans und wartet darauf, dass ihm das Playback zugespielt wird. Als
dann das Band läuft, singt er mit einer Stimme, die von ganz unten zu kommen
scheint, aus den Tiefen einer verzweifelten Seele. "Ive
become impossible/Holding on to when everything seemed to matter more",
wütet er zum martialischen Lärm von "We're In This Together". Es ist einer von über zwei Dutzend
neuen Songs, die unter dem Titel "The Fragile" demnächst (bei der
Universal Group) als Doppel-CD Nine Inch Nails' erscheinen werden.
Reznor
ist Nine Inch Nails, er hat jeden ton auf "The Fragile" geschrieben,
produziert und - von ein paar Riffs abgesehen - auch selbst gespielt.
Aber so verzweifelt, wie sein Gesang vermuten lässt, ist er nicht. Eher ruhig
und gesammelt, er hat alles im Griff. Nun, fast alles: Take für Take wird
gestoppt. Mal intoniert er unsauber, mal fehlt ein Stück Text, mal stürzt
mittendrin ein Computer ab. Frustriert legt Reznor eine kurze Pause ein, dann
nimmt er den nächsten Anlauf. Lässt die erste Strophe von "We're In This
Together' als Schleife laufen und probiert diverse Keyboards und Gitarreneffekte
aus: kaltes Synthesizer-Heulen, Kraftwerk-artige bleeps, schmierige
Slide-Gitarre, Wah-Wah, einen Verzerreffekt, den er launig "Jesus and Mary
Chain distortion" nennt. "Das wird nix", sagt er schließlich zu
Programmierer Keith Hillebrandt und Co-Produzent Dave Ogilvie. "Lasst uns
einfach weiter ‚rumspielen und gucken, was dabei rauskommt."
Als
Reznor um Mitternacht endlich Schluss macht, ist "We're In This
Together" immer noch nicht fertig. Er hat keinen einzigen neuen Part
hinbekommen, den er behalten will - jedenfalls keinen, von dem er richtig
begeistert wäre. Allerdings sind noch massenhaft Ideen auf diversen Festplatten
und DAT-Bändern gespeichert. Muss er alles nur noch auswerten.
"Am
wichtigsten ist, dass man das Band immer laufen lässt", sagt Hillebrandt
und schwenkt ein Blatt Papier - Notizen über all das, was Reznnor in den
letzten Stunden eingespielt hat. "Man weiß ja nie, ob ihm später nicht
doch noch was gefällt, was er benutzen will. Dieser Song z.B. ist aus einem
kleinen Motiv entstanden, das er mal am Ende eines ganz anderen Stückes
gespielt hatte."
"Es
war der Wahnsinn", hat Reznor früher am Tag gesagt und die zwei Jahre
gemeint, die er nun schon an dem Album sitzt. Die Räume der Nothing Studios hat
er anno ´95 gekauft - früher war hier ein Beerdigungsinstitut.
"Das
Gros der neuen Sachen habe ich in diesem Raum geschrieben", sagt er.
"Aber so, wie ich arbeite, macht man halt kein schnelles Album." Die
Platte sei im Zickzackflug entstanden, sagt er. "Man fängt hier an, die
Flaumfeder schwebt woanders hin, man folgt ihr. Beginnt dort dann mit dem
nächsten Song. Schaut zu, wohin der einen wohl führt." Und um das zu
illustrieren, legt er die fertig gemixte erste Single auf: "The Day The
World Went Away". Hundert Black-Sabbath-Gitarren treiben auf einer
Echowolke, gesäumt von dezenter Elektronik und einer etwas schiefen Ukulele.
Danach wird es noch luftiger, ein sehr düsteres Piano, akustischer Bass,
klarer, intimer Gesang von Reznor, gerade mal acht Zeilen Text. Verglichen mit
der brutalen Dichte von Nine Inch Nails' 92er EP "Broken" und dem
94er smash "The Downward Spiral" klingt "The Day The World Went
Away" zwar auch biestig, gleichzeitig aber irgendwie erhebend. Viel Raum.
Kein Schlagzeug. Reznor lässt noch ein paar Elektrometall-Kracher laufen -
"The Wretched" und "Starfuckers Inc." (letzteres die
B-Seite zur Single), die eindeutig nach Nine Inch Nails klingen. Aber mit dem
größten Stolz - und noch viel größerer Nervosität - präsentiert er doch die
Stücke, die aus dem bekannten Sound ausscheren: "La Mer" baut sich im
ein endlos kreiselndes Klaviermotiv auf, das in "Into The Void", um
Drums und Samples ergänzt, zu fiesem Maschinenfunk mutiert - eine Kreuzung aus
Prince, Einstürzende Neubauten und Kiss.
"Es
fällt mir äußerst schwer, auch nur ansatzweise objektive zu sein", sagt
Reznor, nach Worten über sein Werk suchend. "Alle fragen: ´Na, wie
klingt's denn?', aber ich habe keine Ahnung. Mir gefällt's. Es ist mit Abstand
die beste Platte, die ich je gemacht hab. Aber offenbar keine von der Sorte,
die einem sofort aus den Boxen entgegenspringt."
Trent
Reznor hatte für dieses erste Nine Inch Nails-Album seit fünf Jahren ganz
verschiedene Ansätze im sinn. Bevor er im September 1997 mit seinem
Toningenieur und Coproduzenten Alan Moulder an die Arbeit ging, wollte er
zuerst mit einer kompletten Band aufnehmen. Dann werkelte er doch wieder lieber
als Ein-Mann-Combo. (Zu den Gästen auf "The Fragile" gehören David
Bowies Pianist Mike Garson, Gitarrist Adrian Belew und William Rieflin, der Drummer
von Minstry.) "Wenn mit etwas einfällt, dann sind es immer 20 Ideen
aufeinmal", erklärt er. "Da will ich dann nicht auf jemanden warten,
der noch nicht kapiert hat, was ich will."
"Um
ehrlich zu sein: Wir haben schon so einige Zeit verschwendet bei diesem Projekt",
räumt Reznor ein. Es habe auch deswegen so lange gedauert, weil ihm
vorübergehend das Vertrauen in seine Fähigkeiten verlorenging - er dachte, er
habe nichts zu sagen, und die Mittel, mit denen er etwas sagen wollte, taugten
auch nichts. 1997 starb, mit 85, seine Großmutter. Die hatte ihn großgezogen,
seit sich seine Eltern, als er fünf war, getrennt hatten. "Ich hab mich
überhaupt nicht damit auseinandergesetzt", sagt Reznor über ihren Tod.
"Ich tat einfach so, als wär's nie passiert."
"Es
dauerte eine Weile, bis ich wieder geradeaus denken konnte", fährt er
fort. "Ironischerweise war es dann gerade die Arbeit an der Platte, die
mich aus diesem Tief herausholte. Das war schon in der Vergangenheit immer so.
Hätte ich auch gleich wissen können. Ich war halt nur zu blöd."
Moulder,
der schon bei "The Downward Spiral" dabei war, kennt Reznors wacklige
Balance zwischen Ehrgeiz und Unsicherheit: "Es ist schnell gefrustet -
etwa, wenn er eine Idee hat, und kann die dann auf der Gitarre nicht so
spielen, wie er sich das vorstellt. Aber er steckt sich halt gern hohe Ziele.
Er weicht keiner Herausforderung aus. Das Beste, was ´nem Song passieren kann,
ist, wenn ich sage: ´Das bringt's nicht' Dann kniet er sich so lange rein, bis
es funktioniert."
Nine
Inch Nails werden auf jeden Fall touren, um die Platte zu promoten, verspricht
Reznor. "Nicht so exzessiv wie früher, aber schon ´ne Weile. Zehnmal quer
durch Arkansas - das mach ich nicht mehr." Er werde ungefähr 700 Sänger
brauchen so schätzt er: "einige der neuen Songs sind ja zu regelrechten
Freddie-Mercury-Tributes geraten". Wenn "The Fragile" fertig
ist, will er sich aber noch vor der Tour Zeit für ein Gemeinschaftsobjekt
nehmen: Aufnahmen mit dem HipHop-Meister Dr. Der. "Er hat einen Track der
Platte gemixt", erklärt Reznor. "Da hab ich gesehen, wie er arbeitet.
Nämlich ganz anders. Viel, viel weniger Knöpfe."
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