Trent Reznor, Sänger der Nine Inch Nails, gilt als amerikanisches
Rock-Idol der neunziger Jahre. Aus Verehrung stecken ihm seine Fans sogar tote
Ratten in den Briefkasten.
Das Haus, das ihm dieser
Immobilienmakler draußen in den Hollywood Hills anbot, sei „eine Perle“: im
Ranchstyle gebaut, idyllisch, und von der Terrasse aus habe man einen
phantastischen Panoramablick über die Hügel. Und was Trent Reznor, damals ein
zwar in Indie-Kreisen angesehener, aber weithin unbekannter Rockmusiker, am
meisten überzeugte, war die verblüffend niedrige Miete für das Häuschen am
Cielo Drive 10050. Mit der ganzen Wahrheit rückte der Immobilienmakler erst am
Ende heraus. „In diesem Haus hatte Charles Mansons Family die Schauspielerin
Sharon Tate und deren Freunde umgebracht“, sagt Reznor.
Er zog trotzdem ein, baute im
Wohnzimmer, in dem die Morde begangen wurden, ein Studio ein und produzierte
dort Musik, die klingt, als wenn er in jener Horror-Nacht vor 30 Jahren von
draußen heimlich zugeschaut habe: „Ich hätte diese Platte nicht in irgendeinem
Reihen haus machen können!“
„The Downward Spiral“ heißt diese
CD, und sie hört sich auch heute noch an wie ein wüster Ritt durch die Hölle:
Die Electro-Rhythmen rasen, die Gitarren dröhnen, und Reznor singt so finstere
Texte, dass sich sogar unverbesserlichen Frohnaturen dunkle Schatten über die
Seele schieben.
Fünf Millionen Mal hat sich die
Platte, die das amerikanische Nachrichtenmagazin „Time“ zum „Meilenstein der
Neunziger“ erkor, seitdem verkauft, und Reznor gilt heute als Idol
amerikanischer US-Teen ager. Der Preis, den Reznor für den Erfolg zahlen
musste, war hoch: Draußen auf dem Cielo Drive fuhren Sightseeing-Busse vorbei,
schwarzgewandte Fans steckten ihrem Idol tote Ratten als Ausdruck ihrer
Verehrung in den Briefkasten. „Nichts ist so unheimlich wie Erfolg, du traust
keiner Seele mehr, am wenigsten dir selbst!“ Die Schaffenskrise überbrückte er
mit Arbeiten für geistesverwandte Auftraggeber: Er produzierte das Erfolgsalbum
des Gruftie-Idols Marilyn Manson und Soundtracks für David Lynch (,‚Lost
Highway“) und Oliver Stone („Natural Born Killers“). Und weil auch danach die
Ideen fehlten, kam es, dass zum zweiten Mal ein Immobilienmakler in den Lauf
der Rockgeschichte eingreifen musste.
Diesmal verschlug es Reznor nach
langer Suche in ein Bestattungsinstitut in New Orleans, nicht weit entfernt vom
Haus der amerikanischen Vampir-Dichterin Anne Rice. „Zugegeben, das klingt wie
ein billiger PR Trick“, erklärt Reznor, „aber der Schnitt des Hauses kommt
meinen Ansprüchen sehr entgegen — außerdem sind die Räume herrlich kühl.“
Dort konnte endlich auch das
dritte Nine-Inch-Nails-Album entstehen. Vielleicht liegt es an den Räumen,
vielleicht auch nur an der gemächlichen Atmosphäre der Stadt — „The Fragile“
jedenfalls ist ein überraschend zahmes und ruhiges Werk geworden. Dass es trotz
dem sofort die Spitze der amerikanischen Hitparade eroberte, sei, sagt Reznor,
vor allem der zahmen, also drögen Konkurrenz zu verdanken. „Die
Rock‘n‘Roll-Kultur hat den Biss verloren, und es gibt nun mal nichts
schlimmeres als Unterhaltung für die ganze Familie.“
Christoph Dallach
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