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Die Welt

 

27.11. 1999

 

Gitarrenmänner in der Krise

 

  Autor: Michael Pilz

 

 

Laut und doch lau: Der Post-Grunge hat nichts zu verlieren, außer seiner Langeweile

Woodstock fand im Sommer 99 statt. Zum dritten Mal nach 1969 und 1994. Die Kinder stellten die überlieferten Szenen der Eltern nach. Sie hinterließen viel Müll und steckten den Abfall am Ende in Brand. Als Zeichen der Freude. Musik wurde auch gespielt.

Man hat nur die Namen der meisten Gruppen, die dabei waren, inzwischen vergessen. Auch Korn und Creed waren da, Bush und Rage Against The Machine. Und keine der Bands hat im Juli versäumt, auf ihr eigenes Album im Herbst zu verweisen. Der Herbst ist im Pop die Vorweihnachtszeit.

Es ist der Herbst der Gitarrenrockmusik mit neuen Platten von Korn und Creed. Von Bush und Rage Against The Machine. Von den Foo Fighters, Therapy?, den Stone Temple Pilots.

Der alternative Rock 'n' Roll aus Amerika betritt nun noch einmal die Bühnen. Als hielte er einen Abgesang auf sein großes Jahrzehnt. Denn diese neunziger Jahre haben "Independent" im grotesken Rummel zum eigenen Marktplatz erklärt. Doch nun sind diese Neunziger schon lange vorbei - 1994 war die Dekade vorüber. Das Album "Nevermind" von Nirvana ist die Gründungslegende dieser Epoche.

1994 schoss sich Kurt Cobain Schrot in den Kopf. Auch weil die eigene Märtyrermusik zu sehr nach "Teen Spirit" roch. Cobain war ein begnadeter Songschreiber, und er warf einen Schatten, in dem alles verschwand, was nach ihm kam und so klingen wollte wie er.

1994 erschien auch "The Downward Spiral" von den Nine Inch Nails. Auf dieser Platte setzte der Sänger Trent Reznor die Welt in Kenntnis, dass er sich selbst zu vernichten gedenke. Die Lieder waren in den Hollywood Hills am Cielo Drive 10050 entstanden. In dem Haus, in dem Charles Manson und sein Trupp im Sommer 69 "Helter Skelter" an die Wände geschrieben und fünf Menschen massakriert hatten. 1994 waren die Nine Inch Nails in Woodstock dabei. 1999 hat sich Trent Reznor im Studio versteckt und das Revival zum "Gipfeltreffen von allem, was derzeit schlecht ist" erklärt.

"Der Rock 'n' Roll hat seinen Biss verloren, und es gibt nun mal nichts Schlimmeres als Unterhaltung für die ganze Familie", sagt Trent Reznor auch. Er sieht, wie dieser Rock 'n' Roll sich im Kreis dreht und sein Doppelalbum "Fragile" (Interscope/Universal) ist nur das aufgeblasenste Werk dieses lauwarmen Herbstes geworden. Ein Werk verirrter Hybris für die ganze Familie. Als Trent Reznor noch Satan sein wollte, als er den Soundtrack für "Natural Born Killers" und "Antichrist Superstar" für Marilyn Manson gemacht hat, war keiner so unterhaltsam wie er.

Sein "Fragile" hat Steve Albini produziert, eine zentrale Figur dieser Szene. Albini stand bei Nirvanas Vermächtnis "In Utero" an den Reglern. Zuletzt hat Albini auch Bush produziert - Briten, die in Amerika ihre Platten verkaufen und die Nirvana noch beerben wollen als wichtigste Band dieser Zeit.

"Ich erinnere an das Wesentliche", singt Gavin Rossdale von Bush auf " The Science of Things" (Trauma/Universal). Und das sind die Klischees. Dass man "Born to Lose" in die Texte schreibt. Dass der Sänger sich selber meint und weiß, wie das eigene Leid zu vertonen ist. "Ich bin niemals allein", klagt Rossdale: "So bin ich immer allein." Ein rehäugiger Prinz, ein Narziss mit Schmollmund.

Die Larmoyanz dieses Zeitgeists schlägt sich nicht mehr in schönen Liedern nieder. Die "Generation X" war die Erfindung des kanadischen Autors Douglas Coupland. Diese Generation, der der Blick in die Zukunft von Marken und Pop verstellt worden war. Das hatte auch etwas Romantisches an sich. Es ließ sich gut davon singen. Grunge, sagte man damals. Post-Grunge, sagt man heute dazu. Alle Post-Wörter sind so hilflos wie das, was sie meinen.

Diese Larmoynaz wandelt sich jetzt in puritanisches Pathos. "Keine Kompromisse mehr. Jetzt wird nur noch gerockt." Das sagt Andy Cairns von Therapy?, deren "Suicide Pact - You First" (ARK 21/Universal) am Kompromiss zwischen Jazzrock, Punk und Metal scheitert. Die Tatsache, dass auch Therapy? Briten sind, macht ihren Rock nicht charmanter als das verwandte Crossover der Kalifornier von Rage Against The Machine. Deren Sänger Zack De La Rocha erklärt: "Im Verhältnis zu unserem Erfolg haben wir sehr atypische Lebensstandards. Wir leben, wie wir früher gelebt haben."

Ehrlichkeit, Bescheidenheit und der bühnenreife Verzicht auf Ruhm und Pop.

Auf ihrem Album "The Battle of Los Angeles" wollen Rage Against The Machine (Epic/Sony) wieder klingen wie damals in der Garage der Eltern. Dafür haben sie Guerilla-Kappen auf und Kampfanzüge an. Es geht in den Songs um das ganze Unrecht der westlichen Welt. "In der Mainstream-Pop-Konsumenten-Kultur gibt es die Tendenz, revolutionäre Thesen und Ideen aufzusaugen und zu verwässern", hat Zack De La Rocha erkannt. Ohne zu ahnen, dass seine Band seit Jahren zum großen und trägen Strom gehört.

Auch die Kenntnis vom lyrischen Ich ist den Sängern entfallen. Die Kunst der Distanz zu sich selbst. "No. 4" (Atlantic/Eastwest) von den Stone Temple Pilots ist die lautstarke Platte zum Drogenproblem ihres Leiters. Scott Stapp von Creed erklärt den biederen Hardrock auf "Human Clay" mit dem Trauma der eigenen Kindheit unter strengen Baptisten: als Folge des Rockmusikverbots, das ihm sein Vater auferlegt habe, als er mit der Platte "Pyromania" von Def Leppard erwischt worden sei. Und die Musiker von Korn haben "Issue" (Sony/Epic) gemacht, ein beherztes Konzeptwerk über ihre Neigung zum Suff.

Männermusik. Die Frauen sehen zu, und irgendwie wird man beim Hören dieser Platten den frischen Erfolgsfilm "Fight Club" nicht los. Diesen Männertraum am Ende des Jahrtausends über die karthatische Wirkung des Schmerzes. Tyler, gespielt von Brad Pitt, sagt im Film: "Wir sind vom Fernsehen großgezogen worden. Im festen Glauben, dass wir eines Tages Millionäre sein werden, Film- oder Rockstars." Doch auch Rockstars leiden unter der "Modern male Malaise", die die Psychologie in Amerika entdeckt haben will. Männer suchen sich selbst und beklagen den Verlust ihrer Männlichkeit. Manchmal schreiben sie Lieder und spielen Gitarre dazu.

Nun ist "Fight Club" ein großartiger Film. Während die Platten von Korn und Creed und allen anderen nichts mehr zu sagen und zu erzählen haben. Es ist das Schlimmste, was Rock 'n' Roll noch passieren kann: verzichtbar zu sein.

Sein Feindbild ist blond und weiblich und heißt Courtney Love. Sie ist die Witwe des heiligen Kurt Cobain, und sie hat auch auf seine Kosten Karriere gemacht. Courtney Love ist ein Popstar in einer schöneren Glitzerwelt, ist glamourös und berechnend. Böse, singt Trent Reznor. Böse, singt Dave Grohl von den Foo Fighters. Grohl war der Schlagzeuger hinter Nirvana. Auch er hat jetzt Lieder für Band und Gitarre geschrieben, und seine neue Platte heißt "There Is Nothing Left To Lose": Es gibt nichts zu verlieren (RCA/BMG). "Ein Gefühl", sagt Grohl, "mit dem du die ganze Welt erobern kannst."

Das hätten sie in Woodstock schon gern unterschrieben. 1969, 1994 und 1999 erst recht. Wir haben nichts zu verlieren als unsere Ketten und Ringe, unsere Khakis und unsere Turnschuhe.

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