Laut und doch lau: Der Post-Grunge hat nichts zu verlieren, außer
seiner Langeweile
Woodstock fand im Sommer 99
statt. Zum dritten Mal nach 1969 und 1994. Die Kinder stellten die überlieferten
Szenen der Eltern nach. Sie hinterließen viel Müll und steckten den Abfall am
Ende in Brand. Als Zeichen der Freude. Musik wurde auch gespielt.
Man hat nur die Namen der meisten
Gruppen, die dabei waren, inzwischen vergessen. Auch Korn und Creed waren da,
Bush und Rage Against The Machine. Und keine der Bands hat im Juli versäumt,
auf ihr eigenes Album im Herbst zu verweisen. Der Herbst ist im Pop die
Vorweihnachtszeit.
Es ist der Herbst der
Gitarrenrockmusik mit neuen Platten von Korn und Creed. Von Bush und Rage
Against The Machine. Von den Foo Fighters, Therapy?, den Stone Temple Pilots.
Der alternative Rock 'n' Roll aus
Amerika betritt nun noch einmal die Bühnen. Als hielte er einen Abgesang auf
sein großes Jahrzehnt. Denn diese neunziger Jahre haben "Independent"
im grotesken Rummel zum eigenen Marktplatz erklärt. Doch nun sind diese
Neunziger schon lange vorbei - 1994 war die Dekade vorüber. Das Album
"Nevermind" von Nirvana ist die Gründungslegende dieser Epoche.
1994 schoss sich Kurt Cobain
Schrot in den Kopf. Auch weil die eigene Märtyrermusik zu sehr nach "Teen
Spirit" roch. Cobain war ein begnadeter Songschreiber, und er warf einen
Schatten, in dem alles verschwand, was nach ihm kam und so klingen wollte wie
er.
1994 erschien auch "The
Downward Spiral" von den Nine Inch Nails. Auf dieser Platte setzte der
Sänger Trent Reznor die Welt in Kenntnis, dass er sich selbst zu vernichten
gedenke. Die Lieder waren in den Hollywood Hills am Cielo Drive 10050
entstanden. In dem Haus, in dem Charles Manson und sein Trupp im Sommer 69
"Helter Skelter" an die Wände geschrieben und fünf Menschen
massakriert hatten. 1994 waren die Nine Inch Nails in Woodstock dabei. 1999 hat
sich Trent Reznor im Studio versteckt und das Revival zum "Gipfeltreffen
von allem, was derzeit schlecht ist" erklärt.
"Der Rock 'n' Roll hat
seinen Biss verloren, und es gibt nun mal nichts Schlimmeres als Unterhaltung
für die ganze Familie", sagt Trent Reznor auch. Er sieht, wie dieser Rock
'n' Roll sich im Kreis dreht und sein Doppelalbum "Fragile"
(Interscope/Universal) ist nur das aufgeblasenste Werk dieses lauwarmen
Herbstes geworden. Ein Werk verirrter Hybris für die ganze Familie. Als Trent
Reznor noch Satan sein wollte, als er den Soundtrack für "Natural Born
Killers" und "Antichrist Superstar" für Marilyn Manson gemacht
hat, war keiner so unterhaltsam wie er.
Sein "Fragile" hat
Steve Albini produziert, eine zentrale Figur dieser Szene. Albini stand bei
Nirvanas Vermächtnis "In Utero" an den Reglern. Zuletzt hat Albini auch
Bush produziert - Briten, die in Amerika ihre Platten verkaufen und die Nirvana
noch beerben wollen als wichtigste Band dieser Zeit.
"Ich erinnere an das
Wesentliche", singt Gavin Rossdale von Bush auf " The Science of
Things" (Trauma/Universal). Und das sind die Klischees. Dass man
"Born to Lose" in die Texte schreibt. Dass der Sänger sich selber
meint und weiß, wie das eigene Leid zu vertonen ist. "Ich bin niemals
allein", klagt Rossdale: "So bin ich immer allein." Ein
rehäugiger Prinz, ein Narziss mit Schmollmund.
Die Larmoyanz dieses Zeitgeists
schlägt sich nicht mehr in schönen Liedern nieder. Die "Generation X"
war die Erfindung des kanadischen Autors Douglas Coupland. Diese Generation,
der der Blick in die Zukunft von Marken und Pop verstellt worden war. Das hatte
auch etwas Romantisches an sich. Es ließ sich gut davon singen. Grunge, sagte
man damals. Post-Grunge, sagt man heute dazu. Alle Post-Wörter sind so hilflos
wie das, was sie meinen.
Diese Larmoynaz wandelt sich
jetzt in puritanisches Pathos. "Keine Kompromisse mehr. Jetzt wird nur
noch gerockt." Das sagt Andy Cairns von Therapy?, deren "Suicide Pact
- You First" (ARK 21/Universal) am Kompromiss zwischen Jazzrock, Punk und
Metal scheitert. Die Tatsache, dass auch Therapy? Briten sind, macht ihren Rock
nicht charmanter als das verwandte Crossover der Kalifornier von Rage Against
The Machine. Deren Sänger Zack De La Rocha erklärt: "Im Verhältnis zu
unserem Erfolg haben wir sehr atypische Lebensstandards. Wir leben, wie wir
früher gelebt haben."
Ehrlichkeit, Bescheidenheit und
der bühnenreife Verzicht auf Ruhm und Pop.
Auf ihrem Album "The Battle
of Los Angeles" wollen Rage Against The Machine (Epic/Sony) wieder klingen
wie damals in der Garage der Eltern. Dafür haben sie Guerilla-Kappen auf und
Kampfanzüge an. Es geht in den Songs um das ganze Unrecht der westlichen Welt.
"In der Mainstream-Pop-Konsumenten-Kultur gibt es die Tendenz,
revolutionäre Thesen und Ideen aufzusaugen und zu verwässern", hat Zack De
La Rocha erkannt. Ohne zu ahnen, dass seine Band seit Jahren zum großen und
trägen Strom gehört.
Auch die Kenntnis vom lyrischen
Ich ist den Sängern entfallen. Die Kunst der Distanz zu sich selbst. "No.
4" (Atlantic/Eastwest) von den Stone Temple Pilots ist die lautstarke
Platte zum Drogenproblem ihres Leiters. Scott Stapp von Creed erklärt den
biederen Hardrock auf "Human Clay" mit dem Trauma der eigenen
Kindheit unter strengen Baptisten: als Folge des Rockmusikverbots, das ihm sein
Vater auferlegt habe, als er mit der Platte "Pyromania" von Def
Leppard erwischt worden sei. Und die Musiker von Korn haben "Issue"
(Sony/Epic) gemacht, ein beherztes Konzeptwerk über ihre Neigung zum Suff.
Männermusik. Die Frauen sehen zu,
und irgendwie wird man beim Hören dieser Platten den frischen Erfolgsfilm
"Fight Club" nicht los. Diesen Männertraum am Ende des Jahrtausends
über die karthatische Wirkung des Schmerzes. Tyler, gespielt von Brad Pitt,
sagt im Film: "Wir sind vom Fernsehen großgezogen worden. Im festen
Glauben, dass wir eines Tages Millionäre sein werden, Film- oder
Rockstars." Doch auch Rockstars leiden unter der "Modern male
Malaise", die die Psychologie in Amerika entdeckt haben will. Männer
suchen sich selbst und beklagen den Verlust ihrer Männlichkeit. Manchmal schreiben
sie Lieder und spielen Gitarre dazu.
Nun ist "Fight Club"
ein großartiger Film. Während die Platten von Korn und Creed und allen anderen
nichts mehr zu sagen und zu erzählen haben. Es ist das Schlimmste, was Rock 'n'
Roll noch passieren kann: verzichtbar zu sein.
Sein Feindbild ist blond und
weiblich und heißt Courtney Love. Sie ist die Witwe des heiligen Kurt Cobain,
und sie hat auch auf seine Kosten Karriere gemacht. Courtney Love ist ein
Popstar in einer schöneren Glitzerwelt, ist glamourös und berechnend. Böse,
singt Trent Reznor. Böse, singt Dave Grohl von den Foo Fighters. Grohl war der
Schlagzeuger hinter Nirvana. Auch er hat jetzt Lieder für Band und Gitarre
geschrieben, und seine neue Platte heißt "There Is Nothing Left To
Lose": Es gibt nichts zu verlieren (RCA/BMG). "Ein Gefühl", sagt
Grohl, "mit dem du die ganze Welt erobern kannst."
Das hätten sie in Woodstock schon
gern unterschrieben. 1969, 1994 und 1999 erst recht. Wir haben nichts zu
verlieren als unsere Ketten und Ringe, unsere Khakis und unsere Turnschuhe.
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