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Jahr 1999

 

Zillo

 

November 1999

 

Götterdämmerung

 

Autor: Marcel Anders

 

 

 

Fünf Jahre lang hat er sich in seinem Studio verkrochen, Tausende von Songfragmenten aufgenommen und den großen Geheimniskrämer gespielt. Besessen von der Idee, ein weiteres Meisterwerk in Sachen Industrial-Rock abzuliefern, wäre er fast an sich und seinem Perfektionsdrang gescheitert. Dass er schließlich doch noch die Kurve bekam, zeigt sein monumentales zwei-Stunden-Epos "The Fragile" - eine Platte mit vielen kleinen Überraschungen.

 In seinen Videos, Live-Shows und auf den Covern sämtlicher Musikmagazine wirkt Trent Reznor stets wie das Wesen aus einer anderen Welt. Ein wütender, besessener Diabolo, der seine kompensierte Seelenpein in grollende Songtraktate kleidet, sich so richtig auskotzt und auf große Posen samt gebündelter Theatralik steht. Kurzum: Der 35jährige weiß sich und seine Musik in Szene zu setzen. Mehr noch: Darin ist er sogar unübertroffen. Nicht umsonst verehrt ihn die amerikanische Presse schon seit Jahren als musizierenden Gott, als lebenden Mythos und als Erfinder des Industrial-Rock. Das ist zwar schamlos übertrieben, kann aber auch als pure Hilflosigkeit gegenüber dem ebenso starken wie undefinierbarem Image eines Mannes gewertet werden, der sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurückzieht, kaum Interviews gibt und eine Polarität ohne Gleichen auslöst. Von seinen Fans geradezu okkultisch verehrt, von Musikkollegen als arrogant und selbstherrlich angeprangert (Marilyn Manson, Courtney Love), geht Reznor einfach seinen Weg. Und der verläuft nicht immer linear. So brauchte er geschlagene fünf Jahre, um sich vom Erfolgsdruck des Platin-Sellers "The Downward Spiral" zu lösen, seine plötzliche Popularität zu verarbeiten und den Kopf für neue, spannende Musik freizukriegen. Das Ergebnis heißt "The Fragile", erweist sich als opulente Doppel-CD und wird vom Meister daselbst kommentiert. Ort des Geschehens: Eine Suite des Hamburger Nobelhotels Park Hyatt, in der sich Trent als 1,70 Meter gebündeltes Charisma in zerschlissener Jeans und schwarzem Wollpullover präsentiert.

 ZILLO: "The Fragile" ist ein Album, das schon seit Jahren durch die Gazetten geistert und längst sein eigener Mythos ist. Warum hat die Produktion denn eigentlich so lange gedauert?

 TRENT (lächelt): Du darfst nie vergessen, dass wie in Amerika eine ganze Spur größer sind, als im Rest der Welt. Allerdings konnten wir uns auch dort nicht drauf verlassen, dass wir im MTV oder Radio laufen. Also mussten wird endlose Tourneen bestreiten - das war die einzige Möglichkeit, um überhaupt ein wenig Aufmerksamkeit zu erzielen. Für "The Downward Spiral" waren wir fast zwei Jahre unterwegs. Und das war einfach unglaublich zeitraubend. Danach war ich so ausgebrannt, dass ich gar nicht daran denken konnte, ein weiteres Album aufzunehmen. Ich hatte einfach das dringende Bedürfnis, mein Leben in den Griff zu kriegen. Denn als wir zur "Downward Spiral"-Tour aufbrachen, waren wir eine mittelgroße Band, und als das Ganze abgeschlossen war, waren wir einfach riesig. Kein Wunder, dass sich so viele Dinge geändert haben und ich erst einmal einen Gang zurückschalten musste. Zudem war ich ohnehin nicht bester Laune. Und aus diesem Loch zu klettern, hat eben seine Zeit gedauert. Hinzu kommt, dass ich im Vorfeld von "The Downward Spiral" genau wusste, was ich wollte. Und das war bei diesem Album eben nicht der Fall. Mir fehlte einfach die nötige Motivation.

 ZILLO: Du hast dich quasi in deiner eigenen "Downward Spiral" verfangen?

 TRENT: Und wie! Ich bin nach zwei Jahren aus dem Tourbus geklettert und direkt wieder mit Marilyn Manson ins Studio gegangen, und das war wirklich eine Schnapsidee. Ich hatte eigentlich gar keinen Bock auf Musik - im Grunde auf rein gar nichts. Ich war gar nicht in der Lage, mich für irgendwas zu begeistern. Dabei kommt die beste Musik doch immer von innen. Sie basiert auf Gedanken und Gefühlen, auf Ruhe und Zeit. Aber ich hatte ja keine Möglichkeit, mich selbst zu reflektieren. Also habe ich das Album zunächst auf Eis gelegt und mich stattdessen mit vielen kleinen Projekten beschäftigt -  bis ich irgendwann den Punkt erreichte, an dem es hieß: "Entweder macht du jetzt ein Album, oder du lässt es bleiben."

 ZILLO: Demnach waren Soundtracks wie "Natural Born Killer" oder "Lost Highway" nur kleine Fluchten vor dir selbst?

 TRENT: Irgendwie schon. Ich habe so getan, als wäre ich wahnsinnig beschäftigt, dabei habe ich letztlich die Beine hochgelegt. Im Rückblick weiß ich, dass ich mir die Eier geschaukelt habe. Aber ich hatte einfach keinen zündenden Ideen, um noch einmal so etwas wie "The Downward Spiral" aufzunehmen. Weißt du, es gibt nichts Besseres, als eine Album zu machen, das selbst den höchsten Qualitätsanforderungen entspricht. Aber genau daran war eben nicht zu denken. Also habe ich viel Zeit darauf verwendet, darüber nachzudenken, was ich will und wie dahin komme. Es ging nicht darum, ein Star zu sein oder jede Menge Geld zu verdienen, sonder um die Musik an sich. Schließlich ist das die einzige Möglichkeit, um mich auszudrücken und mir ein Glücksgefühl zu bescheren. Auf diese Weise kann ich den ganzen anderen Mist um mich herum vergessen.

 ZILLO: Beziehst du dich jetzt auf all die reißerischen Artikel in denen du als Nihilist, Menschenfeind und arrogantes Arschloch dargestellt wirst?

 TRENT: Exakt. Es ist schon komisch, aber nach "The Downward Spiral" bin ich ein ganz anderer Mensch geworden. Ganz einfach, weil ich es nicht verarbeiten konnte, so viele unterschiedliche Meinungen zu meiner Person zu hören. Schließlich konzentrieren sich die Medien immer auf die dunkle, beklemmende Seit der Musik und leiten daraus alles weitere ab. Dadurch kann sich dein Image sehr schnell verlagern. Du wirst so oft als dunkle, finstere Persönlichkeit dargestellt, dass du letztlich selbst daran glaubst. Du wirst zu dem, was man von dir erwartet. Zumindest war das bei mir so. Wenn du so lange auf Tour warst und ständig von Leuten umgeben bist, die dich hofieren und dir regelrecht den Arsch küssen, dann verlierst du einfach die Bodenhaftung. Das ist ganz normal.

ZILLO: Also musstest du zunächst einmal eine schöpferische Pause einlegen?

 TRENT: Ganz genau. Weißt du, zum Glück hatte ich etwas Geld verdient und konnte mir ein Studio in New Orleans einrichten. Ich wollte mich einfach nur für ein paar Monate hinsetzen und in aller Ruhe darüber nachdenken, wo ich momentan stehe, wo ich hin will und wie ich dahin komme. Das Problem war nur: Ich war völlig unzufrieden mit mir und meiner Welt. Ich hatte dieses unbestimmte Gefühl, als hätte ich schon alles erreicht. Doch das hat mir entgegen aller Erwartungen kein Glücksgefühl gegeben. Im Gegenteil. Als Mensch war ich völlig am Ende: Leer, ausgebrannt und todunglücklich.

ZILLO: Und daraus resultierte dieser eiskalte, selbstsüchtige Trent, von dem u. a. Courtney Love immer wieder spricht?

 TRENT: Lass mich bloß mit dieser Kuh in Ruhe! (lacht) Nein, es war einfach so, dass ich ohnehin nicht leicht mit Leuten warm werde. Schon gar nicht in meiner Position, in der du ständig davon ausgehen kannst, dass jeder, den du triffst, etwas von dir will. Also muss ich erst einmal herausfinden, worin ihre Absichten bestehen. Das isoliert mich. Zwischenzeitlich war ich sogar richtig einsam. Ich habe mich selbst nicht mehr gemocht. Der einzige Ausweg bestand darin, neuen Spaß an der Musik zu entwickeln und seine wurzeln wiederzufinden. Eben, warum du dich überhaupt damit beschäftigst, was dir daran gefällt und was du ausdrücken möchtest. Dafür habe ich doch ziemlich lange gebraucht. Als ich dann soweit war, hatte ich auch keine Angst mehr davor, ein neues Album aufzunehmen und mich über längere Zeit damit zu befassen. Die Blockade war wie weggeblasen. Es war eher so: ´Ok, lasst uns anfangen. Wir werden hier wohl etwas länger sitzen, also lasst es uns richtig machen'. Ich war voller Energie und fand die Aufnahmen großartig. Das hat wiederum mein Selbstbewusstsein gesteigert. Als dann noch Alan Moulder als Co-Produzent hinzustieß, wusste ich, dass wir uns auf einer regelrechten Reise befinden. Und weil wir hier ein vollkommen ausgestattetes Studio besitzen, konnten wir uns alle Zeit der Welt lassen. Also haben wir viele unterschiedliche Pfade ausprobiert. Einige davon erwiesen sich zwar als blanke Zeitverschwendung, aber letztlich haben wir auch aus unseren Fehlern gelernt.

 ZILLO: Dabei können fünf Jahre ohne Album heutzutage eine geradezu tödliche Zeit sein. Ist es nicht ein beängstigendes Gefühl, so lange an einer einzigen Platte zu basteln, während dir Band wie Korn, Orgy oder Limp Bizkit die Fans wegnehmen?

 TRENT: Definitiv! Aber mal ehrlich: Ich hätte ja auch ein Album veröffentlichen können, mit dem ich nicht wirklich zufrieden gewesen wäre. Doch dieser Karriere-Aspekt ist eben längst nicht so wichtig, wie die Musik. Natürlich mache ich mir Sorgen, ob überhaupt noch Interesse daran besteht, denn unter kommerziellen Aspekten war diese Pause sicherlich alles andere, als gut. Aber einfach etwas auf den Markt zu werfen, hinter dem ich nicht stehe, wäre bestimmt noch schlimmer gewesen. Die Musik ist das Allerwichtigste. Sie ist eine Kunst, die unglaublich wertvoll ist. Was die Vermarktung betrifft so ist die nur zweitranig. Kann sein, dass ich mir und meiner Karriere mit diesem Ansatz einen irreparablen Schaden zugefügt habe, aber ich hatte nun mal keine Wahl.

 ZILLO: Das klingt fast so, als wäre "The Fragile" deine ureigene Ausgabe von "Pet Sounds", jenes ´66er Beach Boys-Album, über das Brian Wilson fast wahnsinnig geworden wäre?

 TRENT: Mit den Beach Boys kenne ich mich nicht so gut aus. Für mich ist es eher ein Album, das entsteht, wenn du mich für zwei Jahre in einen Raum sperrst, mich völlig von allen Menschen und Einflüssen isolierst und abwartest, was ich mich einem Haufen Maschinen und Instrumenten zustande bringe.

 ZILLO: "The Fragile" wartet mit etlichen Neuerungen auf. Zum Beispiel was den Einsatz von Streichern betrifft oder dieses riesige stilistische Spektrum, das von Soundtracks über harte Lärmattacken bis hin zu regelrechten Popsongs reicht. Das Ganze ist wie ein Trip, der seinen Hörer völlig vereinnahmt.

 TRENT: Da hast du vollkommen Recht. Aber um noch mal auf  das Geschäftliche zurückzukommen: Für meine Karriere könnte dieses Album zwar der reinste Selbstmord sein, aber meine Lieblingsalben mit denen ich aufgewachsen bin und die mich am meisten inspiriert haben, waren eigentlich nie die Platten mit den meisten Hit-Singles, sondern diejenigen, and die man sich erst langsam gewöhnen musste - die mit jedem Hören gewachsen sind und dem Zuhörer wirklich etwas abverlangt haben. Und genau das kommt in der heutigen Rock-Musik viel zu kurz. Deswegen genieße ich es ja auch so, den Horizont der Leute mit einem solchen Album zu öffnen. Und was Nine Inch Nails betrifft, so hat sich der Ansatz sowieso längst verlagert. Als wir anfingen, hätte ich nie damit gerechnet, dass wir überhaupt so ein großes Publikum erreichen würden. Aber inzwischen schreiben auch wir Hooks, Refrains und Melodien, die sich in deinem Hirn festsetzen. Und nachdem wir erst einem den Sprung vom Underground in die Aren der amerikanischen Vorstädte geschafft hatten, fand ich die Idee, mit dem Mainstream zu flirten, gar nicht so abwegig. Es ist doch toll, sich bei den Leuten einzuschmeicheln und gleichzeitig subversiv zu sein. Du gibst ihnen etwas, auf das sie stehen und schiebst dann etwas völlig Unverdauliches hinterher. Erst dadurch gewinnt das Ganze Tiefe.

 ZILLO: Wie steht es um die vielzitierte Schreibblockade, die dir seitens der amerikanischen Presse nachgesagt wird?

 TRENT: Weißt du, das ist doch Blödsinn. Ich habe die ganze Zeit über Songs geschrieben, wusste aber einfach nicht, in welche Richtung ich damit gehen sollte. Jedesmal, wenn wir uns hinsetzten, um an einem Song zu arbeiten, hatten wir einfach zu viel unterschiedliche Ideen, die wir nicht unter einen Hut bekamen. Wir haben endlose Stunden damit verbracht, unsere Gedanken zu sortieren, darüber nachzudenken, wo der Anfang und wo das Ende eines Songs sein sollten oder ob sich aus einem bestimmten Teil vielleicht eine ganz andere Idee entwickeln lässt. Aber irgendwann, wenn du doch so lange ausgetobt hast, erreichst du halt einen Punkt, an dem du dich zusammenreißen und dafür Sorge tragen musst, dass eben keine beschissene Zweistündige Selbstbeweihräucherung wird, sondern auch als ganzes funktioniert. Natürlich ist "The Fragile" keine einfache Platte, aber das will sie ja auch gar nicht sein. Mehr noch: Das sogar ihr großes Plus. Und genau das macht mich so stolz. Ich hoffe wirklich, dass sich die Leute auf diese Reise einlassen. Ganz einfach, weil es sich lohnt.

 ZILLO: Und es war euch nicht möglich, das Ganze noch zu kürzen?

 TRENT: Nein. Wir haben es so weit reduziert, wie eben möglich. Zwischenzeitlich waren es rund 42 Songs, und wir standen vor der Wahl, entweder eine sechsfach CD aufzunehmen, was lächerlich wäre, oder alles noch weiter runterzuschrauben. Und genau das haben wir probiert. Das Problem dabei war nur, dass wir nicht wahllos streichen konnten, weil einige Stücke so ihre Daseinsberechtigung verloren hätten. Wir haben es mit den unterschiedlichsten Laufplänen versucht - aber bei den meisten erwies sich das Ganze einfach als unhörbar. Erst als wir die jetzige Reihenfolge erreichten, klang es einigermaßen vollständig. Dabei sind zwar etliche Titel rausgeflogen, die mir sehr wichtig waren und die ich liebend gerne auf dem Album gehabt hätte, aber es war wohl einfach zu viel. Weißt du, die aktuelle Balance ist einfach das non-plus-ultra. Anders hätte es nicht funktioniert. Wenn du nur einen einzigen Songs entfernst, ergibt alles keinen Sinn mehr.

 ZILLO: Wie steht es in diesem Zusammenhang um einen Song wie "Starfucker Inc.", der einerseits typisch NIN ist, andererseits aber auch mit einem Carly Simon-Cover aufwartet?

 TRENT: Oh ja, "You're So Vain".

 ZILLO: Ist das ein Witz?

 TRENT: Ja. Ich meine, der ganze Song ist ohnehin ziemlich lächerlich. Wir haben sogar ernsthaft überlegt, ob wir ihn überhaupt mit auf das Album nehmen oder nicht. Ganz einfach, weil der Humor, der darin enthalten ist, so gar nicht zum Rest dieses doch sehr düsteren Albums passt. Aber wir saßen nun einmal im Studio und dachten uns: "Was passiert, wenn wir jetzt einfach ´You're so Vain' einbauen?" Von da aus hat sich dann alles weitere entwickelt. Für mich ist das Ganze eine Art kleines "Fuck You". Und dadurch hat es zumindest einen Hauch von Intelligenz bekommen, obwohl der Song doch eher dumm sein sollte. Ich finde, diesem Anspruch wird er durchaus gerecht.

 ZILLO: Ein Song, für den Marilyn Manson töten würde?

 TRENT: Das müsstest du ihn schon selbst fragen…

 ZILLO: Seid ihr eigentlich noch in Kontakt oder habt ihr euch vollends zerstritten?

 TRENT: Es ist schon eine ziemlich merkwürdige Situation. Weißt du, eine Zeitlang waren wir wirklich dicke Freunde. Aber die Dinge haben sich geändert. Er hat sich verändert, ich habe mich verändert - und unsere Freundschaft hat einen toten Punkt erreicht. Das ist der Stand der Dinge. Ich würde darüber auch gar nicht reden, wenn er mich mit seinem blöden Buch nicht quasi dazu gezwungen hätte. Ich finde, dass ist eine Sache zwischen ihm und mir. Aber sich damit an die Öffentlichkeit zu wenden und so viel Dreck aufzuwühlen, das ist einfach uncool.

 ZILLO: Also bezieht sich "We're In This Together" nicht auf ihn - auch wenn es der kommerziellste Song ist, den du je geschrieben hast…

 TRENT (lacht): Eigentlich bestand meine größte Sorge darin, dass er erst durch meine Interpretation zum Pop-Song werden könnte. Deshalb habe ich gerade auf diesen Song unglaublich viel Zeit und Aufmerksamkeit verwendet. Ganz einfach, um ihm so ein gewisses Gefühl der Trauer und Trostlosigkeit zu verleihen. Es sollte kein fröhlicher Beziehungs-Song werden, sondern es geht eigentlich nur darum, sich selbst klar zu machen, dass man eben nicht der einzige Mensch auf Erden ist, sondern es noch viele andere gibt, die den selben Mist erleben. Obwohl: Der Chorus führt natürlich auf die falsche Spur. Schließlich ist er sehr hymnisch…

 ZILLO: Der entsprechende Video-Clip hat aber doch eine ganz andere Aussage: Er zeigt dich als einzigen Überlebenden inmitten einer Armee von toten Lookalikes…

 TRENT: Stimmt. Das Video ist etwas ganz Anderes. Da geht es mal wieder nur darum, etwas möglichst Hässliches, Abstoßendes darzustellen und den Song ja nicht zu eingängig wirken zu lassen. Weißt du, ich habe ein echtes Problem mit den aktuellen Video-Clips. Keine Ahnung, warum, aber irgendwie kann ich mit den ganzen Images so gar nichts anfangen. Das ist alles so… langweilig.

 ZILLO: Die Hauptthemen auf diesem Album sind Emotionalität, Schwäche und Zerbrechlichkeit. Was ist aus dem harten, kompromisslosen Trent geworden, oder ist das nur eine andere Seite von dir?

 TRENT: Ich finde, bei diesem Album geht es erstmals darum, zu seinen Gefühlen zu stehen, während ich früher doch nur mit den Muskeln spielen und einen möglichst harschen, brutalen Sound kreieren wollte. Das war wie ein Schutzschild, dass es unmöglich machen sollte, dass jemand einen Zugang zu uns und der Musik findet. Heute sieht das ganz anders aus. Man kann uns in Ruhe betrachten, uns näherkommen und sich in uns hineindenken. Das liegt daran, dass alles viel weicher und zerbrechlicher angelegt ist. Eben so, als ob es jeden Augenblick auseinander fallen oder vom Wind fortgetragen würde. Nichts ist solide oder standfest, schon gar nicht dauerhaft. Das gilt auch für die Songs, die erstmals von einem Überraschungsmoment leben. Sie fangen irgendwo an und nehmen dann einen ganz anderen, unvermittelten Verlauf. Das ist etwas, was ich noch nie gemacht habe, und was mir ein tierisches Vergnügen bereitet. Ich füge Sachen zusammen, die ursprünglich gar nicht zueinander passen, und mache etwas standfest, was von Natur aus fragil und zerbrechlich ist.

 ZILLO: Du meinst eine menschlichere Art von Musik?

 TRENT: Ja, ganz genau. Dieses Album ist einfach viel organischer. Das liegt allein daran, dass wir größtenteils akustische Instrumente verwendet haben und keine Syntheziser. Ganz einfach, weil ich diesmal viel mehr Wert auf Kleinigkeiten wie Texte, Arrangements und Melodien gelegt habe. Es ging nicht mehr darum, dem Hörer in die Fresse zu schlagen, sondern eine warme, spannende und intensive Atmosphäre zu kreieren.

 ZILLO: "The Fragile" entstand mit so berühmten Studio-Cracks wie Adrian Belew, Steve Albini, Mike Carson, Page Hamilton oder Bill Rieflin. Hat dir deine eigene Crew um Charlie Clouser und Danny Lohner nicht mehr gereicht?

 TRENT: Das sind alles Leute, die ich irgendwann zu verschiedenen Anlässen kennengelernt habe, Mike Carson traf ich etwa auf der gemeinsamen Tour mit David Bowie, und er ist bestimmt der intelligenteste Musiker, den ich je getroffen habe. Vom Musikalischen her ist er absolut perfekt. Er weiß einfach alles, und sich mit ihm zu unterhalten, ist ein Traum. Wir haben uns darauf verständigt, irgendwann mal zusammen zu arbeiten und dazu ist es denn auch bei einigen Tracks gekommen. Mit Adrian Belew hatte ich schon bei "The Downward Spiral" zu tun. Seine Gitarrentechnik ist einfach brillant. Außerdem muss man ihm nicht sagen, was er zu tun und zu lassen hat, er weiß es von selbst. Du kannst ihm problemlos 30 Songs an den Kopf werfen, und er legt einfach los und steuert seine Parts dazu bei. Wir haben alles aufgenommen, durch den Computer gejagt und anschließend nach unseren Vorstellungen verwendet. Nicht immer an den ursprünglich vorgesehen Stellen, aber darüber braucht er sich ja keinen Kopf zu machen.

 ZILLO: Auf einem Track des neuen Albums kooperierst du mit Rap-Spezie Dr. Der. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit?

 TRENT: Nun, wir haben uns zufällig in einem Studio in Los Angeles kennengelernt und kamen ins Gespräch. Ich wollte wissen, wie er diesen ganz speziellen Sound hinkriegt, den alle seine Songs besitzen. Daraus hat sich dann eine regelrechte Freundschaft entwickelt, und ich kann nur sagen, dass er völlig anders arbeitet, als wir, und es wirklich interessant war, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Wir haben zunächst mit ein paar Tracks rumgespielt, hatten aber leider keine Zeit, sie zu beenden. Wir haben uns aber in den nächsten Wochen hier in New Orleans verabredet, um sie fertigzustellen. Mal sehen, was sich daraus entwickelt -  es wird aber bestimmt weder nach Nine Inch Nails noch nach Dr. Der klingen, sonder etwas völlig Neues werden.

 ZILLO: Stimmt es eigentlich, dass du alles archivierst, was du jemals aufgenommen hast? Das müssten doch inzwischen zigtausend DATs und Bänder sein…

 TRENT: Oh, du glaubst es nicht, was sich da angehäuft hat. Natürlich könntest du jetzt argumentieren, dass dieser Prozeß des wegigen Ausprobierens und Experimentierens einfach lächerlich ist und viel zu viel Zeit kostet. Aber es ist nun einmal so, dass ich im Endeffekt alles alleine mache und die meisten Songs auf endlosen Jams basieren. Also gibt es irgendwo einen vierstündigen Mitschnitt, wie ich Gitarre spiele, wovon aber nur zwei Strophen verwendet werden - oder auch nur ein einziges Riff. Aber aus diesen vier Stunden basteln wir dann 30 verschiedene Varianten. Kannst du dir vorstellen, wie lange es dauert, das abzuhören und zu entscheiden, was gut und was weniger gut klingt? Deswegen liebäugle ich schon seit Jahren mit einer ganz bestimmten Idee: Ich würde den ganzen Kram liebend gerne jemandem übergeben und dann einfach nur sagen: ´Hör dir das an und pick dir die wichtigsten Parts raus.' Denn zu jedem Song, den du auf der Platte hörst, gibt es noch zehn alternative Versionen, die wir ebenfalls fertiggestellt, letztlich aber wieder verworfen haben. Auf diese Weise entsteht ein riesiger Daten-Wust.

 ZILLO: Dein Studio befindet sich in einer ehemaligen Leichenhalle. Inspiriert dich diese morbide Atmosphäre?

 TRENT: Im Grunde war es so, dass ich hier hergezogen bin, ein Haus gekauft habe und dann feststellen musste, dass die City vom technischen Standpunkt aus nicht viel zu bieten hat. Die lokalen Studios haben mir einfach nicht das geboten, was ich wollte. Zudem hatte ich von der "Downward Spiral"-Tour noch schrecklich viel Equipment über, das ich irgendwo lagern musste - und möglichst wiederverwenden wollte. Also haben wir uns nach einem passenden Gebäude umgesehen - mit großen, hohen  Räumen. Und diesem Anspruch wurden vor allem alte Leichenhallen gerecht. Also entschieden wir uns für eine, die schon seit zehn Jahren leer stand. Wenn du das Studio betrittst, vermagst du nicht mal zu erahnen, was es vorher gewesen sein könnte. Es ist auch definitiv nicht so eingerichtet, sondern nur ein sehr funktionales Gebäude, das unseren Anforderungen entspricht. Aber die Medien stürzen sich eben gerne auf so etwas. Sollen sie doch…

 ZILLO: Richard Patrick vergleicht die "Nothing Studios" mit dem kreativen Chaos von Andy Warhols legendärer ´Factory'. Kommt das der Sache nah?

 TRENT: Gute Frage. Weißt du, als wir vor zehn Jahren unser erstes Video zu "Down In It" von "Pretty Hate Machine" gedreht haben, arbeiteten wir mit dieser Produktionsgesellschaft aus Chicago namens ´H Gun'. Das waren sieben oder acht Typen, die aus einem alten Lagerhaus heraus operierten. Die hatten ganz klare, effiziente Arbeitsteilung. Einer war dieser verrückte Wissenschaftler, der nur Spezialeffekte bastelte, der andere war ein Kameramann, der nächste war fürs Geschäftliche zuständig, usw. Es war ein Kollektiv aus Leuten, das mich ungemein beeindruckt hat. Ich war richtig begeistert: "Wow, wie cool wäre es, wenn ich sechs Ausführungen von mir selbst hätte, die alle auf unterschiedliche Dinge spezialisiert wären." Das mag jetzt etwas abgedreht klingen, aber es war der Grundstock dafür, eine kleine Kommune aus Leuten zusammenzustellen, die sich gegenseitig zuarbeiten, im kreativen Austausch stehen und bestimmte Dinge für mich vorarbeiten. Ich habe zum Beispiel eine Handvoll Programmierer, die nichts anderes machen, als den ganzen Tag verrücktes Zeug auszubrüten, so das ich es irgendwann benutzen kann. Wenn ich zum Beispiel den Sound von Killer-Bienen brauche, dann gehe ich einfach ins Studio und sage ihnen, was ich will. Die Jungs durchforsten dann jeden verfügbaren Spielfilm, jede Homepage und jedes Archiv -  so lange bis ich ein paar gute Bienen-Sounds habe. Übrigens sind derzeit Clint Marsell von Pop Will Eat Itself und Kevin McMan von Prick bei mir zu Gast, was unglaublich cool ist. Manchmal habe ich schon das Gefühl, als würde ich in einer Traumwelt leben - völlig abgeschnitten vom Rest der Zivilisation. Es ist wie eine Spielwiese für die unterschiedlichsten Charaktere - und ich bin stolz, dass ich so etwas zustande gebracht habe.

 ZILLO: Neben NIN unterhältst du noch ein zweites Projekt: Tapeworm. Was verbirgt sich dahinter?

 TRENT: Tapeworm sollte zunächst nur ene demokratischere Ausgabe von Nine Inch Nails sein. Ich wollte die anderen Jungs, vor allem Charlie Clouser und Danny Lohner, stärker involvieren und sehen, was dann passiert. Außerdem kommt es immer wieder vor, dass wir Zeug wie Prong oder White Zombie hören und uns denken: "Ok, das ist schon nicht schlecht, aber wir könnten richtig Popo treten, wenn das nur unsere Absicht wäre." Wenn NIN nicht so einen verdammt hohen Anspruch hätten, würden wir wohl genau dasselbe machen. Und zwar völlig ohne Druck, dafür aber genauso intensiv. Schließlich würden wir mit Freunden wie Maynard von Tool oder Phil von Pantera kollaborieren. Rich von Filter steht übrigens auch ganz oben auf meiner Liste. Es soll einfach ein Spaßobjekt werden, ohne dabei banale, unwichtige Musik zu machen. Und der beste Test, wie gut etwas wirklich klingt, ist immer noch, es möglichst laut beim Autofahren zu hören.

 ZILLO: Wird das Ganze je erscheinen?

 TRENT: Aber sicher! Jetzt, da dieses Mega-Album fertig ist, kann ich mich richtig darauf konzentrieren. Ein Großteil ist eh schon komplett, und den Rest werde ich in den nächsten Wochen in Angriff nehmen.

 Marcel Anders

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