Fünf Jahre lang hat er sich in seinem Studio
verkrochen, Tausende von Songfragmenten aufgenommen und den großen
Geheimniskrämer gespielt. Besessen von der Idee, ein weiteres Meisterwerk in
Sachen Industrial-Rock abzuliefern, wäre er fast an sich und seinem
Perfektionsdrang gescheitert. Dass er schließlich doch noch die Kurve bekam,
zeigt sein monumentales zwei-Stunden-Epos "The Fragile" - eine Platte mit vielen
kleinen Überraschungen.
In seinen Videos, Live-Shows und auf den Covern sämtlicher
Musikmagazine wirkt Trent Reznor stets wie das Wesen aus einer anderen Welt. Ein
wütender, besessener Diabolo, der seine kompensierte Seelenpein in grollende
Songtraktate kleidet, sich so richtig auskotzt und auf große Posen samt
gebündelter Theatralik steht. Kurzum: Der 35jährige weiß sich und seine Musik in
Szene zu setzen. Mehr noch: Darin ist er sogar unübertroffen. Nicht umsonst
verehrt ihn die amerikanische Presse schon seit Jahren als musizierenden Gott,
als lebenden Mythos und als Erfinder des Industrial-Rock. Das ist zwar schamlos
übertrieben, kann aber auch als pure Hilflosigkeit gegenüber dem ebenso starken
wie undefinierbarem Image eines Mannes gewertet werden, der sich vollständig aus
der Öffentlichkeit zurückzieht, kaum Interviews gibt und eine Polarität ohne
Gleichen auslöst. Von seinen Fans geradezu okkultisch verehrt, von Musikkollegen
als arrogant und selbstherrlich angeprangert (Marilyn Manson, Courtney Love),
geht Reznor einfach seinen Weg. Und der verläuft nicht immer linear. So brauchte
er geschlagene fünf Jahre, um sich vom Erfolgsdruck des Platin-Sellers "The
Downward Spiral" zu lösen, seine plötzliche Popularität zu verarbeiten und den
Kopf für neue, spannende Musik freizukriegen. Das Ergebnis heißt "The Fragile",
erweist sich als opulente Doppel-CD und wird vom Meister daselbst kommentiert.
Ort des Geschehens: Eine Suite des Hamburger Nobelhotels Park Hyatt, in der sich
Trent als 1,70 Meter gebündeltes Charisma in zerschlissener Jeans und schwarzem
Wollpullover präsentiert.
ZILLO: "The Fragile" ist ein Album, das schon seit Jahren
durch die Gazetten geistert und längst sein eigener Mythos ist. Warum hat die
Produktion denn eigentlich so lange gedauert?
TRENT (lächelt): Du darfst nie vergessen, dass wie in Amerika
eine ganze Spur größer sind, als im Rest der Welt. Allerdings konnten wir uns
auch dort nicht drauf verlassen, dass wir im MTV oder Radio laufen. Also mussten
wird endlose Tourneen bestreiten - das war die einzige Möglichkeit, um überhaupt
ein wenig Aufmerksamkeit zu erzielen. Für "The Downward Spiral" waren wir fast
zwei Jahre unterwegs. Und das war einfach unglaublich zeitraubend. Danach war
ich so ausgebrannt, dass ich gar nicht daran denken konnte, ein weiteres Album
aufzunehmen. Ich hatte einfach das dringende Bedürfnis, mein Leben in den Griff
zu kriegen. Denn als wir zur "Downward Spiral"-Tour aufbrachen, waren wir eine
mittelgroße Band, und als das Ganze abgeschlossen war, waren wir einfach riesig.
Kein Wunder, dass sich so viele Dinge geändert haben und ich erst einmal einen
Gang zurückschalten musste. Zudem war ich ohnehin nicht bester Laune. Und aus
diesem Loch zu klettern, hat eben seine Zeit gedauert. Hinzu kommt, dass ich im
Vorfeld von "The Downward Spiral" genau wusste, was ich wollte. Und das war bei
diesem Album eben nicht der Fall. Mir fehlte einfach die nötige
Motivation.
ZILLO: Du hast dich quasi in deiner eigenen "Downward Spiral"
verfangen?
TRENT: Und wie! Ich bin nach zwei Jahren aus dem Tourbus
geklettert und direkt wieder mit Marilyn Manson ins Studio gegangen, und das war
wirklich eine Schnapsidee. Ich hatte eigentlich gar keinen Bock auf Musik - im
Grunde auf rein gar nichts. Ich war gar nicht in der Lage, mich für irgendwas zu
begeistern. Dabei kommt die beste Musik doch immer von innen. Sie basiert auf
Gedanken und Gefühlen, auf Ruhe und Zeit. Aber ich hatte ja keine Möglichkeit,
mich selbst zu reflektieren. Also habe ich das Album zunächst auf Eis gelegt und
mich stattdessen mit vielen kleinen Projekten beschäftigt - bis ich irgendwann
den Punkt erreichte, an dem es hieß: "Entweder macht du jetzt ein Album, oder du
lässt es bleiben."
ZILLO: Demnach waren Soundtracks wie "Natural Born Killer"
oder "Lost Highway" nur kleine Fluchten vor dir selbst?
TRENT: Irgendwie schon. Ich habe so getan, als wäre ich
wahnsinnig beschäftigt, dabei habe ich letztlich die Beine hochgelegt. Im
Rückblick weiß ich, dass ich mir die Eier geschaukelt habe. Aber ich hatte
einfach keinen zündenden Ideen, um noch einmal so etwas wie "The Downward
Spiral" aufzunehmen. Weißt du, es gibt nichts Besseres, als eine Album zu
machen, das selbst den höchsten Qualitätsanforderungen entspricht. Aber genau
daran war eben nicht zu denken. Also habe ich viel Zeit darauf verwendet,
darüber nachzudenken, was ich will und wie dahin komme. Es ging nicht darum, ein
Star zu sein oder jede Menge Geld zu verdienen, sonder um die Musik an sich.
Schließlich ist das die einzige Möglichkeit, um mich auszudrücken und mir ein
Glücksgefühl zu bescheren. Auf diese Weise kann ich den ganzen anderen Mist um
mich herum vergessen.
ZILLO: Beziehst du dich jetzt auf all die reißerischen
Artikel in denen du als Nihilist, Menschenfeind und arrogantes Arschloch
dargestellt wirst?
TRENT: Exakt. Es ist schon komisch, aber nach "The Downward
Spiral" bin ich ein ganz anderer Mensch geworden. Ganz einfach, weil ich es
nicht verarbeiten konnte, so viele unterschiedliche Meinungen zu meiner Person
zu hören. Schließlich konzentrieren sich die Medien immer auf die dunkle,
beklemmende Seit der Musik und leiten daraus alles weitere ab. Dadurch kann sich
dein Image sehr schnell verlagern. Du wirst so oft als dunkle, finstere
Persönlichkeit dargestellt, dass du letztlich selbst daran glaubst. Du wirst zu
dem, was man von dir erwartet. Zumindest war das bei mir so. Wenn du so lange
auf Tour warst und ständig von Leuten umgeben bist, die dich hofieren und dir
regelrecht den Arsch küssen, dann verlierst du einfach die Bodenhaftung. Das ist
ganz normal.
ZILLO: Also musstest du zunächst einmal eine schöpferische
Pause einlegen?
TRENT: Ganz genau. Weißt du, zum Glück hatte ich etwas Geld
verdient und konnte mir ein Studio in New Orleans einrichten. Ich wollte mich
einfach nur für ein paar Monate hinsetzen und in aller Ruhe darüber nachdenken,
wo ich momentan stehe, wo ich hin will und wie ich dahin komme. Das Problem war
nur: Ich war völlig unzufrieden mit mir und meiner Welt. Ich hatte dieses
unbestimmte Gefühl, als hätte ich schon alles erreicht. Doch das hat mir
entgegen aller Erwartungen kein Glücksgefühl gegeben. Im Gegenteil. Als Mensch
war ich völlig am Ende: Leer, ausgebrannt und todunglücklich.
ZILLO: Und daraus resultierte dieser eiskalte, selbstsüchtige
Trent, von dem u. a. Courtney Love immer wieder spricht?
TRENT: Lass mich bloß mit dieser Kuh in Ruhe! (lacht) Nein,
es war einfach so, dass ich ohnehin nicht leicht mit Leuten warm werde. Schon
gar nicht in meiner Position, in der du ständig davon ausgehen kannst, dass
jeder, den du triffst, etwas von dir will. Also muss ich erst einmal
herausfinden, worin ihre Absichten bestehen. Das isoliert mich. Zwischenzeitlich
war ich sogar richtig einsam. Ich habe mich selbst nicht mehr gemocht. Der
einzige Ausweg bestand darin, neuen Spaß an der Musik zu entwickeln und seine
wurzeln wiederzufinden. Eben, warum du dich überhaupt damit beschäftigst, was
dir daran gefällt und was du ausdrücken möchtest. Dafür habe ich doch ziemlich
lange gebraucht. Als ich dann soweit war, hatte ich auch keine Angst mehr davor,
ein neues Album aufzunehmen und mich über längere Zeit damit zu befassen. Die
Blockade war wie weggeblasen. Es war eher so: ´Ok, lasst uns anfangen. Wir
werden hier wohl etwas länger sitzen, also lasst es uns richtig machen'. Ich war
voller Energie und fand die Aufnahmen großartig. Das hat wiederum mein
Selbstbewusstsein gesteigert. Als dann noch Alan Moulder als Co-Produzent
hinzustieß, wusste ich, dass wir uns auf einer regelrechten Reise befinden. Und
weil wir hier ein vollkommen ausgestattetes Studio besitzen, konnten wir uns
alle Zeit der Welt lassen. Also haben wir viele unterschiedliche Pfade
ausprobiert. Einige davon erwiesen sich zwar als blanke Zeitverschwendung, aber
letztlich haben wir auch aus unseren Fehlern gelernt.
ZILLO: Dabei können fünf Jahre ohne Album heutzutage eine
geradezu tödliche Zeit sein. Ist es nicht ein beängstigendes Gefühl, so lange an
einer einzigen Platte zu basteln, während dir Band wie Korn, Orgy oder Limp
Bizkit die Fans wegnehmen?
TRENT: Definitiv! Aber mal ehrlich: Ich hätte ja auch ein
Album veröffentlichen können, mit dem ich nicht wirklich zufrieden gewesen wäre.
Doch dieser Karriere-Aspekt ist eben längst nicht so wichtig, wie die Musik.
Natürlich mache ich mir Sorgen, ob überhaupt noch Interesse daran besteht, denn
unter kommerziellen Aspekten war diese Pause sicherlich alles andere, als gut.
Aber einfach etwas auf den Markt zu werfen, hinter dem ich nicht stehe, wäre
bestimmt noch schlimmer gewesen. Die Musik ist das Allerwichtigste. Sie ist eine
Kunst, die unglaublich wertvoll ist. Was die Vermarktung betrifft so ist die nur
zweitranig. Kann sein, dass ich mir und meiner Karriere mit diesem Ansatz einen
irreparablen Schaden zugefügt habe, aber ich hatte nun mal keine Wahl.
ZILLO: Das klingt fast so, als wäre "The Fragile" deine
ureigene Ausgabe von "Pet Sounds", jenes ´66er Beach Boys-Album, über das Brian
Wilson fast wahnsinnig geworden wäre?
TRENT: Mit den Beach Boys kenne ich mich nicht so gut aus.
Für mich ist es eher ein Album, das entsteht, wenn du mich für zwei Jahre in
einen Raum sperrst, mich völlig von allen Menschen und Einflüssen isolierst und
abwartest, was ich mich einem Haufen Maschinen und Instrumenten zustande
bringe.
ZILLO: "The Fragile" wartet mit etlichen Neuerungen auf. Zum
Beispiel was den Einsatz von Streichern betrifft oder dieses riesige
stilistische Spektrum, das von Soundtracks über harte Lärmattacken bis hin zu
regelrechten Popsongs reicht. Das Ganze ist wie ein Trip, der seinen Hörer
völlig vereinnahmt.
TRENT: Da hast du vollkommen Recht. Aber um noch mal auf das
Geschäftliche zurückzukommen: Für meine Karriere könnte dieses Album zwar der
reinste Selbstmord sein, aber meine Lieblingsalben mit denen ich aufgewachsen
bin und die mich am meisten inspiriert haben, waren eigentlich nie die Platten
mit den meisten Hit-Singles, sondern diejenigen, and die man sich erst langsam
gewöhnen musste - die mit jedem Hören gewachsen sind und dem Zuhörer wirklich
etwas abverlangt haben. Und genau das kommt in der heutigen Rock-Musik viel zu
kurz. Deswegen genieße ich es ja auch so, den Horizont der Leute mit einem
solchen Album zu öffnen. Und was Nine Inch Nails betrifft, so hat sich der
Ansatz sowieso längst verlagert. Als wir anfingen, hätte ich nie damit
gerechnet, dass wir überhaupt so ein großes Publikum erreichen würden. Aber
inzwischen schreiben auch wir Hooks, Refrains und Melodien, die sich in deinem
Hirn festsetzen. Und nachdem wir erst einem den Sprung vom Underground in die
Aren der amerikanischen Vorstädte geschafft hatten, fand ich die Idee, mit dem
Mainstream zu flirten, gar nicht so abwegig. Es ist doch toll, sich bei den
Leuten einzuschmeicheln und gleichzeitig subversiv zu sein. Du gibst ihnen
etwas, auf das sie stehen und schiebst dann etwas völlig Unverdauliches
hinterher. Erst dadurch gewinnt das Ganze Tiefe.
ZILLO: Wie steht es um die vielzitierte Schreibblockade, die
dir seitens der amerikanischen Presse nachgesagt wird?
TRENT: Weißt du, das ist doch Blödsinn. Ich habe die ganze
Zeit über Songs geschrieben, wusste aber einfach nicht, in welche Richtung ich
damit gehen sollte. Jedesmal, wenn wir uns hinsetzten, um an einem Song zu
arbeiten, hatten wir einfach zu viel unterschiedliche Ideen, die wir nicht unter
einen Hut bekamen. Wir haben endlose Stunden damit verbracht, unsere Gedanken zu
sortieren, darüber nachzudenken, wo der Anfang und wo das Ende eines Songs sein
sollten oder ob sich aus einem bestimmten Teil vielleicht eine ganz andere Idee
entwickeln lässt. Aber irgendwann, wenn du doch so lange ausgetobt hast,
erreichst du halt einen Punkt, an dem du dich zusammenreißen und dafür Sorge
tragen musst, dass eben keine beschissene Zweistündige Selbstbeweihräucherung
wird, sondern auch als ganzes funktioniert. Natürlich ist "The Fragile" keine
einfache Platte, aber das will sie ja auch gar nicht sein. Mehr noch: Das sogar
ihr großes Plus. Und genau das macht mich so stolz. Ich hoffe wirklich, dass
sich die Leute auf diese Reise einlassen. Ganz einfach, weil es sich
lohnt.
ZILLO: Und es war euch nicht möglich, das Ganze noch zu
kürzen?
TRENT: Nein. Wir haben es so weit reduziert, wie eben
möglich. Zwischenzeitlich waren es rund 42 Songs, und wir standen vor der Wahl,
entweder eine sechsfach CD aufzunehmen, was lächerlich wäre, oder alles noch
weiter runterzuschrauben. Und genau das haben wir probiert. Das Problem dabei
war nur, dass wir nicht wahllos streichen konnten, weil einige Stücke so ihre
Daseinsberechtigung verloren hätten. Wir haben es mit den unterschiedlichsten
Laufplänen versucht - aber bei den meisten erwies sich das Ganze einfach als
unhörbar. Erst als wir die jetzige Reihenfolge erreichten, klang es einigermaßen
vollständig. Dabei sind zwar etliche Titel rausgeflogen, die mir sehr wichtig
waren und die ich liebend gerne auf dem Album gehabt hätte, aber es war wohl
einfach zu viel. Weißt du, die aktuelle Balance ist einfach das non-plus-ultra.
Anders hätte es nicht funktioniert. Wenn du nur einen einzigen Songs entfernst,
ergibt alles keinen Sinn mehr.
ZILLO: Wie steht es in diesem Zusammenhang um einen Song wie
"Starfucker Inc.", der einerseits typisch NIN ist, andererseits aber auch mit
einem Carly Simon-Cover aufwartet?
TRENT: Oh ja, "You're So Vain".
ZILLO: Ist das ein Witz?
TRENT: Ja. Ich meine, der ganze Song ist ohnehin ziemlich
lächerlich. Wir haben sogar ernsthaft überlegt, ob wir ihn überhaupt mit auf das
Album nehmen oder nicht. Ganz einfach, weil der Humor, der darin enthalten ist,
so gar nicht zum Rest dieses doch sehr düsteren Albums passt. Aber wir saßen nun
einmal im Studio und dachten uns: "Was passiert, wenn wir jetzt einfach ´You're
so Vain' einbauen?" Von da aus hat sich dann alles weitere entwickelt. Für mich
ist das Ganze eine Art kleines "Fuck You". Und dadurch hat es zumindest einen
Hauch von Intelligenz bekommen, obwohl der Song doch eher dumm sein sollte. Ich
finde, diesem Anspruch wird er durchaus gerecht.
ZILLO: Ein Song, für den Marilyn Manson töten würde?
TRENT: Das müsstest du ihn schon selbst fragen…
ZILLO: Seid ihr eigentlich noch in Kontakt oder habt ihr euch
vollends zerstritten?
TRENT: Es ist schon eine ziemlich merkwürdige Situation.
Weißt du, eine Zeitlang waren wir wirklich dicke Freunde. Aber die Dinge haben
sich geändert. Er hat sich verändert, ich habe mich verändert - und unsere
Freundschaft hat einen toten Punkt erreicht. Das ist der Stand der Dinge. Ich
würde darüber auch gar nicht reden, wenn er mich mit seinem blöden Buch nicht
quasi dazu gezwungen hätte. Ich finde, dass ist eine Sache zwischen ihm und mir.
Aber sich damit an die Öffentlichkeit zu wenden und so viel Dreck aufzuwühlen,
das ist einfach uncool.
ZILLO: Also bezieht sich "We're In This Together" nicht auf
ihn - auch wenn es der kommerziellste Song ist, den du je geschrieben
hast…
TRENT (lacht): Eigentlich bestand meine größte Sorge darin,
dass er erst durch meine Interpretation zum Pop-Song werden könnte. Deshalb habe
ich gerade auf diesen Song unglaublich viel Zeit und Aufmerksamkeit verwendet.
Ganz einfach, um ihm so ein gewisses Gefühl der Trauer und Trostlosigkeit zu
verleihen. Es sollte kein fröhlicher Beziehungs-Song werden, sondern es geht
eigentlich nur darum, sich selbst klar zu machen, dass man eben nicht der
einzige Mensch auf Erden ist, sondern es noch viele andere gibt, die den selben
Mist erleben. Obwohl: Der Chorus führt natürlich auf die falsche Spur.
Schließlich ist er sehr hymnisch…
ZILLO: Der entsprechende Video-Clip hat aber doch eine ganz
andere Aussage: Er zeigt dich als einzigen Überlebenden inmitten einer Armee von
toten Lookalikes…
TRENT: Stimmt. Das Video ist etwas ganz Anderes. Da geht es
mal wieder nur darum, etwas möglichst Hässliches, Abstoßendes darzustellen und
den Song ja nicht zu eingängig wirken zu lassen. Weißt du, ich habe ein echtes
Problem mit den aktuellen Video-Clips. Keine Ahnung, warum, aber irgendwie kann
ich mit den ganzen Images so gar nichts anfangen. Das ist alles so…
langweilig.
ZILLO: Die Hauptthemen auf diesem Album sind Emotionalität,
Schwäche und Zerbrechlichkeit. Was ist aus dem harten, kompromisslosen Trent
geworden, oder ist das nur eine andere Seite von dir?
TRENT: Ich finde, bei diesem Album geht es erstmals darum, zu
seinen Gefühlen zu stehen, während ich früher doch nur mit den Muskeln spielen
und einen möglichst harschen, brutalen Sound kreieren wollte. Das war wie ein
Schutzschild, dass es unmöglich machen sollte, dass jemand einen Zugang zu uns
und der Musik findet. Heute sieht das ganz anders aus. Man kann uns in Ruhe
betrachten, uns näherkommen und sich in uns hineindenken. Das liegt daran, dass
alles viel weicher und zerbrechlicher angelegt ist. Eben so, als ob es jeden
Augenblick auseinander fallen oder vom Wind fortgetragen würde. Nichts ist
solide oder standfest, schon gar nicht dauerhaft. Das gilt auch für die Songs,
die erstmals von einem Überraschungsmoment leben. Sie fangen irgendwo an und
nehmen dann einen ganz anderen, unvermittelten Verlauf. Das ist etwas, was ich
noch nie gemacht habe, und was mir ein tierisches Vergnügen bereitet. Ich füge
Sachen zusammen, die ursprünglich gar nicht zueinander passen, und mache etwas
standfest, was von Natur aus fragil und zerbrechlich ist.
ZILLO: Du meinst eine menschlichere Art von Musik?
TRENT: Ja, ganz genau. Dieses Album ist einfach viel
organischer. Das liegt allein daran, dass wir größtenteils akustische
Instrumente verwendet haben und keine Syntheziser. Ganz einfach, weil ich
diesmal viel mehr Wert auf Kleinigkeiten wie Texte, Arrangements und Melodien
gelegt habe. Es ging nicht mehr darum, dem Hörer in die Fresse zu schlagen,
sondern eine warme, spannende und intensive Atmosphäre zu kreieren.
ZILLO: "The Fragile" entstand mit so berühmten Studio-Cracks
wie Adrian Belew, Steve Albini, Mike Carson, Page Hamilton oder Bill Rieflin.
Hat dir deine eigene Crew um Charlie Clouser und Danny Lohner nicht mehr
gereicht?
TRENT: Das sind alles Leute, die ich irgendwann zu
verschiedenen Anlässen kennengelernt habe, Mike Carson traf ich etwa auf der
gemeinsamen Tour mit David Bowie, und er ist bestimmt der intelligenteste
Musiker, den ich je getroffen habe. Vom Musikalischen her ist er absolut
perfekt. Er weiß einfach alles, und sich mit ihm zu unterhalten, ist ein Traum.
Wir haben uns darauf verständigt, irgendwann mal zusammen zu arbeiten und dazu
ist es denn auch bei einigen Tracks gekommen. Mit Adrian Belew hatte ich schon
bei "The Downward Spiral" zu tun. Seine Gitarrentechnik ist einfach brillant.
Außerdem muss man ihm nicht sagen, was er zu tun und zu lassen hat, er weiß es
von selbst. Du kannst ihm problemlos 30 Songs an den Kopf werfen, und er legt
einfach los und steuert seine Parts dazu bei. Wir haben alles aufgenommen, durch
den Computer gejagt und anschließend nach unseren Vorstellungen verwendet. Nicht
immer an den ursprünglich vorgesehen Stellen, aber darüber braucht er sich ja
keinen Kopf zu machen.
ZILLO: Auf einem Track des neuen Albums kooperierst du mit
Rap-Spezie Dr. Der. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit?
TRENT: Nun, wir haben uns zufällig in einem Studio in Los
Angeles kennengelernt und kamen ins Gespräch. Ich wollte wissen, wie er diesen
ganz speziellen Sound hinkriegt, den alle seine Songs besitzen. Daraus hat sich
dann eine regelrechte Freundschaft entwickelt, und ich kann nur sagen, dass er
völlig anders arbeitet, als wir, und es wirklich interessant war, ihn bei der
Arbeit zu beobachten. Wir haben zunächst mit ein paar Tracks rumgespielt, hatten
aber leider keine Zeit, sie zu beenden. Wir haben uns aber in den nächsten
Wochen hier in New Orleans verabredet, um sie fertigzustellen. Mal sehen, was
sich daraus entwickelt - es wird aber bestimmt weder nach Nine Inch Nails noch
nach Dr. Der klingen, sonder etwas völlig Neues werden.
ZILLO: Stimmt es eigentlich, dass du alles archivierst, was
du jemals aufgenommen hast? Das müssten doch inzwischen zigtausend DATs und
Bänder sein…
TRENT: Oh, du glaubst es nicht, was sich da angehäuft hat.
Natürlich könntest du jetzt argumentieren, dass dieser Prozeß des wegigen
Ausprobierens und Experimentierens einfach lächerlich ist und viel zu viel Zeit
kostet. Aber es ist nun einmal so, dass ich im Endeffekt alles alleine mache und
die meisten Songs auf endlosen Jams basieren. Also gibt es irgendwo einen
vierstündigen Mitschnitt, wie ich Gitarre spiele, wovon aber nur zwei Strophen
verwendet werden - oder auch nur ein einziges Riff. Aber aus diesen vier Stunden
basteln wir dann 30 verschiedene Varianten. Kannst du dir vorstellen, wie lange
es dauert, das abzuhören und zu entscheiden, was gut und was weniger gut klingt?
Deswegen liebäugle ich schon seit Jahren mit einer ganz bestimmten Idee: Ich
würde den ganzen Kram liebend gerne jemandem übergeben und dann einfach nur
sagen: ´Hör dir das an und pick dir die wichtigsten Parts raus.' Denn zu jedem
Song, den du auf der Platte hörst, gibt es noch zehn alternative Versionen, die
wir ebenfalls fertiggestellt, letztlich aber wieder verworfen haben. Auf diese
Weise entsteht ein riesiger Daten-Wust.
ZILLO: Dein Studio befindet sich in einer ehemaligen
Leichenhalle. Inspiriert dich diese morbide Atmosphäre?
TRENT: Im Grunde war es so, dass ich hier hergezogen bin, ein
Haus gekauft habe und dann feststellen musste, dass die City vom technischen
Standpunkt aus nicht viel zu bieten hat. Die lokalen Studios haben mir einfach
nicht das geboten, was ich wollte. Zudem hatte ich von der "Downward
Spiral"-Tour noch schrecklich viel Equipment über, das ich irgendwo lagern
musste - und möglichst wiederverwenden wollte. Also haben wir uns nach einem
passenden Gebäude umgesehen - mit großen, hohen Räumen. Und diesem Anspruch
wurden vor allem alte Leichenhallen gerecht. Also entschieden wir uns für eine,
die schon seit zehn Jahren leer stand. Wenn du das Studio betrittst, vermagst du
nicht mal zu erahnen, was es vorher gewesen sein könnte. Es ist auch definitiv
nicht so eingerichtet, sondern nur ein sehr funktionales Gebäude, das unseren
Anforderungen entspricht. Aber die Medien stürzen sich eben gerne auf so etwas.
Sollen sie doch…
ZILLO: Richard Patrick vergleicht die "Nothing Studios" mit
dem kreativen Chaos von Andy Warhols legendärer ´Factory'. Kommt das der Sache
nah?
TRENT: Gute Frage. Weißt du, als wir vor zehn Jahren unser
erstes Video zu "Down In It" von "Pretty Hate Machine" gedreht haben, arbeiteten
wir mit dieser Produktionsgesellschaft aus Chicago namens ´H Gun'. Das waren
sieben oder acht Typen, die aus einem alten Lagerhaus heraus operierten. Die
hatten ganz klare, effiziente Arbeitsteilung. Einer war dieser verrückte
Wissenschaftler, der nur Spezialeffekte bastelte, der andere war ein Kameramann,
der nächste war fürs Geschäftliche zuständig, usw. Es war ein Kollektiv aus
Leuten, das mich ungemein beeindruckt hat. Ich war richtig begeistert: "Wow, wie
cool wäre es, wenn ich sechs Ausführungen von mir selbst hätte, die alle auf
unterschiedliche Dinge spezialisiert wären." Das mag jetzt etwas abgedreht
klingen, aber es war der Grundstock dafür, eine kleine Kommune aus Leuten
zusammenzustellen, die sich gegenseitig zuarbeiten, im kreativen Austausch
stehen und bestimmte Dinge für mich vorarbeiten. Ich habe zum Beispiel eine
Handvoll Programmierer, die nichts anderes machen, als den ganzen Tag verrücktes
Zeug auszubrüten, so das ich es irgendwann benutzen kann. Wenn ich zum Beispiel
den Sound von Killer-Bienen brauche, dann gehe ich einfach ins Studio und sage
ihnen, was ich will. Die Jungs durchforsten dann jeden verfügbaren Spielfilm,
jede Homepage und jedes Archiv - so lange bis ich ein paar gute Bienen-Sounds
habe. Übrigens sind derzeit Clint Marsell von Pop Will Eat Itself und Kevin
McMan von Prick bei mir zu Gast, was unglaublich cool ist. Manchmal habe ich
schon das Gefühl, als würde ich in einer Traumwelt leben - völlig abgeschnitten
vom Rest der Zivilisation. Es ist wie eine Spielwiese für die
unterschiedlichsten Charaktere - und ich bin stolz, dass ich so etwas zustande
gebracht habe.
ZILLO: Neben NIN unterhältst du noch ein zweites Projekt:
Tapeworm. Was verbirgt sich dahinter?
TRENT: Tapeworm sollte zunächst nur ene demokratischere
Ausgabe von Nine Inch Nails sein. Ich wollte die anderen Jungs, vor allem
Charlie Clouser und Danny Lohner, stärker involvieren und sehen, was dann
passiert. Außerdem kommt es immer wieder vor, dass wir Zeug wie Prong oder White
Zombie hören und uns denken: "Ok, das ist schon nicht schlecht, aber wir könnten
richtig Popo treten, wenn das nur unsere Absicht wäre." Wenn NIN nicht so einen
verdammt hohen Anspruch hätten, würden wir wohl genau dasselbe machen. Und zwar
völlig ohne Druck, dafür aber genauso intensiv. Schließlich würden wir mit
Freunden wie Maynard von Tool oder Phil von Pantera kollaborieren. Rich von
Filter steht übrigens auch ganz oben auf meiner Liste. Es soll einfach ein
Spaßobjekt werden, ohne dabei banale, unwichtige Musik zu machen. Und der beste
Test, wie gut etwas wirklich klingt, ist immer noch, es möglichst laut beim
Autofahren zu hören.
ZILLO: Wird das Ganze je erscheinen?
TRENT: Aber sicher! Jetzt, da dieses Mega-Album fertig ist,
kann ich mich richtig darauf konzentrieren. Ein Großteil ist eh schon komplett,
und den Rest werde ich in den nächsten Wochen in Angriff nehmen.
Marcel Anders