Er gilt als Nihilist, als
Menschenfeind und arroganter Kotzbrocken. Ein Image, mit dem
Nine-Inch-Nails-Chef Trent Reznor (g) nur zu gerne kokettiert. Dabei hätte der
35-Jährige das gar nicht nötig: Sein neues Album „The Fragile“ ist eine
musikalische Offenbarung, die monumentale Länge mit innovativen Ideen auffüllt.
Ein Meilenstein, der weit über die Grenzen des Industrial-Rock hinausgeht – und
der ist Reznor ohnehin viel zu eng geworden.
Ob die finsteren Abgründe von Jim
Morrison, das Selbstzerstörerische eines Brian Jones oder die Todessehnsucht
von Ian Curtis - visionäre Rock-Musik liefert seit jeher den Soundtrack zum
Flirt mit dem Jenseits. Eine Tradition, die sich bis in die Gegenwart
fortsetzt—vor allem im Underground. Hier gibt es viele kleine Nischen, die ihre
ureigenen Spielarten propagieren: Gothic, Wave, Metal oder auch Industrial.
Eine Klangfarbe, die der 80er von Benelux (Front 242, Trisomie 21) nach Amerika
überschwappte und dort einen dankbaren Nährboden rund um das Chicagoer
Kultlabel Wax Trax fand. Zu den wichtigsten Bands der Szene zählen Acts wie
Skinny Puppy, Ministry, KMFDM oder auch Nine Inch Nails. Ein klassisches
Ein-Mann-Projekt, dessen Mastermind Trent Reznor sich mit nihilistischen Texten
und martialischen Beats in die Herzen der amerikanischen Jugend spielte. Dabei
ist der schmächtige Multi-Instrumentalist ein exzentrisches Studio-Genie, um
den sich reihenweise Legenden ranken: Er arbeitet nur mit der Creme de la Creme
(an Musikern wie Produzenten), leitet ein regelrechtes Imperium aus Studio und
Plattenfirma („Nothing Records“) und gilt als Freund nicht minder exzentrischer
Stars. So hat er Rammstein remixt, Marilyn Manson entdeckt, mit David Bowie
kollaboriert und von seinem letzten Album ‚The Downward Spiral‘ gleich mehrere
Millionen umgesetzt. Doch das liegt in zwischen fünf Jahre zurück. Eine Zeit,
in der Reznor vor allem mit Soundtracks (zu „Natural Born Killer“ und „Lost
Highway“) und Computerspielen in Erscheinung trat. Jetzt ist er wieder da — und
klingt gleich ganz anders. Sein neues Epos ‚The Fragile‘ setzt weniger auf
gebündelte Aggressivität, als auf große Gefühle und epische Sound-Gemälde. Ein
neuer Trent?
G&B: ‚The Fragile‘ geistert
schon seit Jahren durch die Medien. Warum hat die Produktion eigentlich so
lange gedauert?
Reznor: (lächelt) Du darfst nie
vergessen, dass wir in Amerika eine ganze Spur größer sind, als im Rest der
Welt. Allerdings konnten wir uns auch dort nie darauf verlassen, dass wir im
MTV oder Radio laufen. Also mussten wir endlose Tourneen bestreiten — das war
die einzige Möglichkeit, um überhaupt ein wenig Aufmerksamkeit zu erzielen. Für
‚The Downward Spiral‘ waren wir fast zwei Jahre unterwegs. Und das war einfach
unglaublich zeitraubend. Danach war ich so ausgebrannt, dass ich gar nicht
daran denken konnte, ein weiteres Album aufzunehmen, Ich hatte einfach das
dringende Bedürfnis, mein Leben in den Griff zu kriegen. Denn als wir zur
‚Downward Spiral‘ Tour aufbrachen, waren wir eine mittel große Band, und als
das Ganze abgeschlossen war, waren wir einfach riesig. Kein Wunder, dass sich
so viele Dinge geändert haben und ich erst einmal einen Gang zurückschalten
musste. Zudem war ich ohnehin nicht bester Laune. Und aus diesem Loch zu
klettern, hat eben seine Zeit gedauert. Hin zu kommt, dass ich im Vorfeld von
‚The Downward Spiral‘ genau wusste, was ich wollte. Und das war bei diesem
Album eben nicht der Fall. Mir fehlte einfach die Motivation.
G&B: Du hast dich in deiner
eigenen Downward Spiral verfangen?
Reznor: Und wie! Ich bin nach
zwei Jahren aus dem Tour-Bus geklettert und direkt wie der mit Marilyn Manson
ins Studio gegangen, und das war wirklich eine Schnapsidee. Ich hatte
eigentlich gar keinen Bock auf Musik. Dabei kommen die besten Songs doch immer
von innen. Sie basieren auf Gedanken und Gefühlen, auf Ruhe und Zeit. Aber ich
hatte ja keine Möglichkeit, mich selbst zu reflektieren. Also habe ich das
Album zunächst auf Eis gelegt und mich stattdessen mit vielen kleinen Projekten
beschäftigt — bis ich irgendwann den Punkt erreichte, an dem es hieß: Entweder
machst du jetzt ein Album, oder du lässt es bleiben.
G&B: Demnach waren die
Soundtracks, an denen du gearbeitet hast, nur kleine Fluchten vor dir selbst?
Reznor: Irgendwie schon. Ich habe
so getan, als wäre ich wahnsinnig beschäftigt, dabei habe ich letztlich die
Beine hochgelegt. Im Rückblick weiß ich, dass ich mir die Eier geschaukelt
habe. Aber ich hatte einfach keine zündenden Ideen, um noch einmal so etwas wie
‚The Downward Spiral‘ aufzunehmen. Weißt du, es gibt nichts Besseres, als ein
Album zu machen, das selbst den höchsten Qualitätsanforderungen entspricht.
Aber genau daran war eben nicht zu denken. Also habe ich viel Zeit darauf
verwendet, darüber nachzudenken, was ich will und wie ich dahin komme. Es ging
nicht darum, ein Star zu sein oder jede Menge Geld zu verdienen, sondern um die
Musik an sich. Schließlich ist das die einzige Möglichkeit, um mich
auszudrücken und mir ein Glücksgefühl zu bescheren. Auf diese Weise kann ich
den ganzen anderen Mist um mich her um vergessen.
G&B: Beziehst du dich jetzt
auf die reißerischen Artikel, in denen du als Nihilist, Menschenfeind und
arrogantes Arschloch dargestellt wirst?
Reznor: Exakt. Es ist schon
komisch, aber nach ‚The Downward Spiral‘ bin ich ein ganz anderer Mensch
geworden. Ganz einfach, weil ich es nicht verarbeiten konnte, so viele
unterschiedliche Meinungen zu meiner Person zu hören. Schließlich konzentrieren
sich die Medien immer auf die dunkle, beklemmende Seite der Musik und leiten
daraus alles Weitere ab. Dadurch kann sich dein Image sehr schnell verlagern.
Du wirst so oft als dunkle, finstere Persönlichkeit dargestellt, dass du
letztlich selbst daran glaubst. Du wirst zu dem, was man von dir erwartet. Zumindest
war das bei mir so. Wenn du so lange auf Tour warst und ständig von Leuten
umgeben bist, die dich hofieren und dir regelrecht den Arsch küssen, dann
verlierst du einfach die Bodenhaftung. Das ist ganz normal.
G&B: Also musstest du erst
mal eine schöpferische Pause einlegen?
Reznor: Ganz genau. Weißt du, zum
Glück hatte ich etwas Geld verdient und konnte mir ein Studio in New Orleans
einrichten. Ich wollte mich einfach nur für ein paar Monate hinsetzen und in
aller Ruhe darüber nachdenken, wo ich momentan stehe, wo ich hin will und wie
ich dahin komme. Das Problem war nur: Ich war völlig unzufrieden mit mir und
meiner Welt. Ich hatte dieses unbestimmte Gefühl, als hätte ich schon alles
erreicht. Doch das hat mir entgegen aller Erwartungen kein Glücksgefühl
gegeben. Im Gegenteil. Als Mensch war ich völlig am Ende: Leer, ausgebrannt und
todunglücklich.
G&B: Und daraus resultierte
dieser eiskalte, selbstsüchtige Trent, von dem u. a. Courtney Love immer wieder
spricht?
Reznor: Lass mich bloß mit dieser
Kuh in Ruhe! (lacht) Nein, es war einfach so, dass ich ohnehin nicht leicht mit
Leuten warm werde. Schon gar nicht in einer Position, in der du ständig davon
ausgehen kannst, dass jeder, den du triffst, etwas von dir will. Also muss ich
erst einmal herausfinden, worin ihre Absichten bestehen. Das isoliert mich.
Zwischenzeitlich war ich sogar richtig einsam. Ich habe mich selbst nicht
gemocht. Der einzige Ausweg bestand darin, neuen Spaß an der Musik zu
entwickeln und seine Wurzeln wiederzufinden. Eben, warum du dich überhaupt
damit beschäftigst, was dir daran gefällt und was du ausdrücken möchtest. Dafür
habe ich ziemlich lange gebraucht. Als ich dann so weit war, hatte ich auch
keine Angst mehr davor, ein neues Album aufzunehmen und mich über längere Zeit
damit zu befassen. Die Blockade war wie weggeblasen. Ich war voller Energie und
fand die Aufnahmen großartig. Als dann noch Alan Moulder als Co-Produzent
hinzustieß, wusste ich, dass wir uns auf einer regelrechten Reise befinden. Und
weil wir hier ein vollkommen ausgestattetes Studio besitzen, konnten wir uns
alle Zeit der Welt lassen. Also haben wir viele unterschiedliche Pfade
ausprobiert. Einige davon erwiesen sich zwar als blanke Zeitverschwendung, aber
letztlich haben wir auch aus unseren Fehlern gelernt.
G&B: Dabei können fünf Jahre
ohne Album heutzutage fast tödlich sein. Ist es nicht ein beängstigendes
Gefühl, so lange an einer einzigen Platte zu basteln, während dir Bands wie
Korn, Orgy oder Limp Bizkit die Fans wegnehmen?
Reznor: Definitiv! Aber mal
ehrlich: Ich hätte ja auch ein Album veröffentlichen können, mit dem ich nicht
wirklich zufrieden gewesen wäre. Doch dieser Karriere-Aspekt ist eben längst
nicht so wichtig, wie die Musik. Natürlich mache ich mir Sorgen, ob überhaupt
noch Interesse daran besteht, denn unter kommerziellen Aspekten war diese Pause
sicherlich alles andere als gut. Aber einfach etwas auf den Markt zu werfen,
hinter dem ich nicht stehe, wäre bestimmt noch schlimmer gewesen. Die Musik ist
das Allerwichtigste. Sie ist eine Kunst, die unglaublich wertvoll ist. Was die
Vermarktung und Präsentation betrifft, so ist die nur zweitrangig. Kann sein,
dass ich mir und meiner Karriere mit diesem Ansatz einen irreparablen Schaden
zugefügt habe, aber ich hatte nun einmal keine Wahl.
G&B: ‚The Fragile‘ wartet mit
etlichen Neuerungen auf. Zum Beispiel was den Einsatz von Streichern betrifft
oder dieses riesige stilistische Spektrum, das von Soundtracks über harte
Lärmattacken bis hin zu regelrechten Popsongs reicht. Das Ganze ist wie ein Trip,
der seinen Hörer völlig verein nahmt.
Reznor: Da hast du vollkommen Recht.
Aber um noch mal auf das Geschäftliche zurückzukommen: Für meine Karriere
könnte dieses Album zwar der reinste Selbstmord sein, aber meine
Lieblingsalben, mit denen ich aufgewachsen bin und die mich am meisten
inspiriert haben, waren eigentlich nie die Platten mit den meisten Hits,
sondern diejenigen, an die man sich erst langsam gewöhnen musste — die mit
jedem Hören gewachsen sind und dem Zuhörer wirklich etwas abverlangt haben. Und
genau das kommt in der heutigen Musik viel zu kurz. Deswegen genieße ich es ja
auch so, den Horizont der Leute mit einem solchen Album zu öffnen. Und was Nine
Inch Nails betrifft, so hat sich der Ansatz sowieso längst verlagert. Als wir
anfingen, hätte ich nie da mit gerechnet, dass wir überhaupt so ein großes
Publikum erreichen würden. Aber in zwischen schreiben auch wir Hooks, Refrains und
Melodien, die sich in deinem Hirn festsetzen. Und nachdem wir erst einmal den
Sprung vom Underground in die Arenen der amerikanischen Vorstädte geschafft
hatten, fand ich die Idee, mit dem Mainstream zu flirten, gar nicht so abwegig.
Es ist doch toll, sich bei den Leuten einzuschmeicheln und gleichzeitig völlig
subversiv zu sein. Du gibst ihnen etwas, auf das sie stehen und schiebst dann
etwas völlig Unverdauliches hinterher. Erst dadurch gewinnt das Ganze an Tiefe.
G&B: Die Hauptthemen auf
diesem Album sind Emotionalität, Schwäche und Zerbrechlichkeit. Was ist aus dem
harten, kompromisslosen Trent geworden — oder ist das nur eine andere Seite von
dir?
Reznor: Ich finde, bei diesem
Album geht es erstmals darum, zu seinen Gefühlen zu stehen, während ich früher
doch nur mit den Muskeln spielen und einen möglichst harschen, brutalen Sound
kreieren wollte. Das war wie ein Schutzschild, das es unmöglich machen sollte,
dass jemand einen Zugang zu uns und der Musik findet. Heute sieht das ganz
anders aus. Man kann uns in Ruhe betrachten, uns näherkommen und sich in uns
hineindenken. Das liegt daran, dass alles viel weicher und zerbrechlicher
angelegt ist. Eben so, als ob es jeden Augenblick auseinander fallen oder vom
Wind fortgetragen würde. Nichts ist solide oder standfest, schon gar nicht
dauerhaft. Das gilt auch für die Songs, die erstmals von einem
Überraschungsmoment leben. Sie fangen irgendwo an und nehmen dann einen ganz
anderen, unvermittelten Verlauf. Das ist etwas, was ich noch nie gemacht habe,
und was mir ein tierisches Vergnügen bereitet. Ich füge Sachen zusammen, die
ursprün lich gar nicht zueinander passen, und mache etwas standfest, was von
Natur aus fragil und zerbrechlich ist.
G&B: Du meinst eine
menschlichere Art von Musik?
Reznor: Ja, ganz genau. Dieses
Album ist einfach viel organischer. Das liegt allein daran, dass wir
größtenteils akustische Instrumente verwendet haben und keine Synthesizer. Ganz
einfach, weil ich diesmal viel mehr Wert auf Kleinigkeiten wie Texte,
Arrangements und Melodien gelegt habe. Es ging nicht mehr darum, dem Hörer in
die Fresse zu schlagen, sondern eine warme, spannende und intensive Atmosphäre
zu kreieren.
G&B: ‚The Fragile‘ entstand
mit so berühmten Studio-Cracks wie Adrian Belew, Steve Albini, Mike Garson,
Page Hamilton oder Bill Rieflin. Hat dir deine eigene Crew um Charlie Clouser
und Danny Lohner nicht mehr gereicht?
Reznor: Das sind alles Leute, die
ich irgendwann zu verschiedenen Anlässen kennen gelernt habe. Mike Garson traf
ich etwa auf der gemeinsamen Tour mit David Bowie, und er ist bestimmt der
intelligenteste Musiker, den ich je getroffen habe. Vom Musikalischen her ist
er absolut perfekt. Er weiß einfach alles, und sich mit ihm zu unterhalten, ist
ein Traum. Wir haben uns darauf verständigt, irgendwann mal zusammen zu
arbeiten und dazu ist es denn auch bei einigen Tracks gekommen. Mit Adrian
Belew hatte ich schon bei ‚The Downward Spiral‘ zu tun. Seine Gitarrentechnik
ist einfach brillant. Außerdem muss man ihm nicht sagen, was er zu tun und zu
lassen hat, er weiß es von selbst. Du kannst ihm problemlos 30 Songs an den
Kopf werfen, und er legt einfach los und steuert seine Parts dazu bei. Wir
haben alles aufgenommen, durch den Computer gejagt und anschließend nach
unseren Vorstellungen verwendet. Nicht immer an den ursprünglich vorgesehenen
Stellen, aber darüber braucht er sich ja keinen Kopf zu machen.
G&B: Auf einem Track des
neuen Albums kooperierst du mit Rap-Ikone Dr. Dre. Wie kam es zu dieser
Zusammenarbeit?
Reznor: Nun, wir haben uns
zufällig in einem Studio in Los Angeles kennen gelernt und kamen ins Gespräch.
Ich wollte wissen, wie er diesen ganz speziellen Sound hinkriegt, den alle
seine Songs besitzen. Daraus hat sich dann eine regelrechte Freundschaft
entwickelt, und ich kann nur sagen, dass er völlig anders arbeitet als wir, und
es wirklich interessant war, ihn dabei zu beobachten. Wir haben zunächst mit
ein paar Tracks rumgespielt, hatten aber leider keine Zeit, sie zu beenden. Wir
haben uns aber in den nächsten Wochen hier in New Orleans verabredet, um sie
fertig zu stellen. Mal sehen, was sich daraus entwickelt — es wird aber
bestimmt weder nach Nine Inch Nails noch nach Dr. Dre klingen, sondern etwas
völlig Neues werden.
G&B: Stimmt es, dass du alles
archivierst, was du je aufgenommen hast? Das müssten inzwischen zigtausend DATs
und Bänder sein.
Reznor: Oh, du glaubst es nicht,
was sich da angehäuft hat. Natürlich könntest du jetzt argumentieren, dass
dieser Prozess des ewigen Ausprobierens und Experimentierens einfach lächerlich
ist und viel zu viel Zeit kostet. Aber es ist nun einmal so, dass ich im
Endeffekt alles alleine mache und die meisten Songs auf endlosen Jams basieren.
Also gibt es irgendwo einen vierstündigen Mitschnitt, wie ich Gitarre spiele,
wovon aber nur zwei Strophen verwendet werden — oder auch nur ein einziges
Riff. Aber aus diesen vier Stunden basteln wir dann 30 verschiedene Varianten.
Kannst du dir vorstellen, wie lange es dauert, das abzuhören und zu
entscheiden, was gut und was weniger gut klingt? Deswegen liebäugle ich schon
seit Jahren mit einer ganz bestimmten Idee: Ich würde den ganzen Kram liebend
gerne jemandem übergeben und dann einfach nur sagen: „Hör dir das an und pick
dir die wichtigsten Parts raus!“ Denn zu jedem Sound und jedem Song, den du auf
der Platte hörst, gibt es noch zehn alternative Versionen, die wir ebenfalls
fertig gestellt, letztlich aber wieder verworfen haben. Auf diese Weise
entsteht ein riesiger Daten-Wust.
G&B: Dein Studio befindet
sich in einer ehemaligen Leichenhalle. Inspiriert dich diese morbide
Atmosphäre?
Reznor: Im Grunde war es so, dass
ich hier hergezogen bin, ein Haus gekauft habe und dann feststellen musste,
dass die City vom technischen Standpunkt aus nicht viel zu bieten hat. Die
lokalen Studios haben mir einfach nicht das geboten, was ich wollte. Zudem
hatte ich von der ,Downward Spiral‘ Tour noch schrecklich viel Equipment über,
das ich irgendwo lagern musste — und möglichst wiederverwenden wollte. Daher
haben wir uns nach einem passenden Gebäude umgesehen — mit großen, hohen
Räumen. Und diesem Anspruch wurden vor allem alte Leichenhallen gerecht. Also
entschieden wir uns für eine, die schon seit zehn Jahren leer stand. Wenn du
das Studio betrittst, vermagst du nicht mal zu erahnen, was es vorher gewesen
sein könnte. Es ist auch definitiv nicht so eingerichtet, sondern nur ein sehr
funktionales Gebäude, das unseren Anforderungen entspricht. Aber die Medien
stürzen sich eben gerne auf so et was. Sollen sie doch.
G&B: Richard Patrick von
Filter vergleicht deine „Nothing Studios“ gerne mit dem kreativen Chaos von
Andy Warhols legendärer „Factory“. Kommt das der Sache nahe?
Reznor: Gute Frage. Weißt du, als
wir vor zehn Jahren unser erstes Video zu ‚Down In It‘ von ‚Pretty Hate
Machine‘ gedreht haben, arbeiteten wir mit dieser Produktionsgesellschaft aus
Chicago namens „H Gun“. Das waren sieben oder acht Typen, die aus einem alten
Lagerhaus heraus operierten. Die hatten eine ganz klare, effiziente
Arbeitsteilung. Einer war dieser verrückte Wissenschaftler, der nur
Spezialeffekte bastelte, der andere war ein Kameramann, der nächste war fürs
Geschäftliche zuständig, usw. Es war ein Kollektiv aus Leuten, das mich
ungemein beeindruckt hat. Ich war richtig begeistert und dachte: Wow, wie cool
wäre es, wenn ich sechs Ausführungen von mir selbst hätte, die alle auf
unterschiedliche Dinge spezialisiert wären?! Das mag jetzt etwas abgedreht
klingen, aber es war der Grundstock dafür, eine kleine Kommune aus Leuten
zusammenzustellen, die sich gegenseitig zuarbeiten, im kreativen Austausch
stehen und bestimmte Dinge für mich vorarbeiten. Ich habe zum Beispiel eine
Handvoll Programmierer, die nichts anderes machen, als den ganzen Tag
verrücktes Zeug auszubrüten, so dass ich es irgendwann benutzen kann. Wenn ich
zum Beispiel den Sound von Killer-Bienen brauche, dann gehe ich einfach ins
Studio und sage ihnen, was ich will. Die Jungs durchforsten dann jeden
verfügbaren Spielfilm, jede Homepage und jedes Archiv - so lange bis ich ein
paar gute Bienen-Sounds habe. Manchmal habe ich schon das Gefühl, als würde ich
in einer Traumwelt leben — völlig abgeschnitten vom Rest der Zivilisation. Es
ist wie eine Spielwiese für die unterschiedlichsten Charaktere — und ich bin
stolz, dass ich so etwas zustande gebracht habe.
G&B: Neben NIN unterhältst du
noch ein zweites Projekt: Tapeworm. Was verbirgt sich dahinter?
Reznor: Tapeworm sollte zunächst
nur eine demokratischere Ausgabe von Nine Inch Nails sein. Ich wollte die
anderen Jungs, vor allem Charlie Clouser und Danny Lohner, stärker involvieren
und sehen, was dann passiert. Außerdem kommt es immer wieder vor, dass wir Zeug
wie Prong oder White Zombie hören und uns denken: OK, das ist schon nicht
schlecht, aber wir könnten sie richtig in den Popo treten, wenn das nur unsere
Absicht wäre. Wenn NIN nicht so einen verdammt hohen Anspruch hätten, würden
wir wohl genau dasselbe machen. Und zwar völlig ohne Druck, dafür aber genauso
intensiv. Schließlich würden wir mit Freunden wie Maynard von Tool oder Phil
vom Pantera kollaborieren. Rich von Filter steht übrigens auch ganz oben auf
meiner Liste. Es soll einfach ein Spaßprojekt werden, ohne dabei banale,
unwichtige Musik zu machen. Und der beste Test, wie gut etwas wirklich klingt,
ist immer noch, es möglichst laut beim Autofahren zu hören.
Story: Marcel Anders
Fotos: Motor
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