Wer ist dieser Trent Reznor, der Mann hinter den NINE INCH
NAILS, wirklich? Ein Genie, wie oft behauptet wird? Ein extrem vielseitiger
Mensch, der fast alle Instrumente selbst spielt und die gesamte Musik komponiert
und produziert? Ein Mann, der erfolgreiche Soundtracks schreibt und mit so
unterschiedlichen Künstlern wie Marilyn Manson, Rob Halford, Tori Amos und Tom
Jones zusammengearbeitet hat?
Oder ist Trent Reznor doch das Tier, das während seiner Gigs
über die Bühne tobt, dabei einen Haufen zertrümmerter Instrumente hinterlässt
und jahrelang in den Clubs in L.A. für Skandale gesorgt hat? Auf jeden Fall ist
der Einfluss des amerikanischen Tausendsassas auf die heutige Rockmusik enorm.
Nicht umsonst erklärte das "Time Magazine" ihn zu einem der einflussreichsten
Menschen der USA, und das angesehen Rockblatt "Spin" bezeichnete ihn als
wichtigsten Künstler der aktuellen Musikszene. Seine außergewöhnlich subtile
neue Doppel-CD "The Fragile" ist überall begeistert aufgenommen wurden.
Reznor müsste also eigentlich ein glücklicher Mensch sein.
Die Realität sieht aber anders aus: In Hamburg, wo sich der Amerikaner der
europäischen Presse stellt, sitzt kein selbstsicheres Genie oder
zerstörungswütiges Tier, sondern ein innerlich zerrissener Zweifler. Etwas
eingefallen hockt Reznor auf seinem Stuhl. Er sieht bleich und müde aus, was
durch sein pechschwarzes Haar nur noch mehr betont wird. Doch bedrückt oder
nicht, Trent zeigt sich sehr freundlich und erstaunlich offenherzig.
"Jede Scheibe, die ich bis heute herausgebracht habe, war ein
ehrlicher Spiegel meines Inneren", erzählt der Musiker. "Zu ´Pretty Hate
Machine'-Zeiten waren wir eine junge, angeberische Band auf dem Weg nach oben.
Wir waren unangreifbar und voller Selbstvertrauen - und wir wussten, dass und
die Welt in kürzester Zeit zu Füßen liegen würde. ´The Downward Spiral'
beschreibt dagegen eine heruntergekommene Welt. Das Album markiert den Anfang
des schwärzesten Zeitraums meines Lebens. Jens Elend, über das ich auf dieser CD
singe, wurde später real. Das ist mir heute noch sehr unheimlich, schließlich
scheint es so, als hätte ich mit diesem Album ein Konzept für die nächsten zwei
Jahre meines Lebens abgeliefert."
Was lief denn alles schief?
"Ich verhedderte mich in meiner eigenen "downward spiral" aus
Drogen, Dekadenz, Sex und Alkohol. Du kannst es in der Autobiographie von
Marilyn Manson nachlesen. Er war so freundlich, alles zu notieren und als Buch
zu publizieren… Ich wurde verunstaltet von allem, was um mich herum geschah; so
schlimm, dass ich mich nicht mehr wiedererkannte, wenn ich den Spiegel schaute.
Das einzige was ich sah, war ein schwarzer, trauriger, selbstzerstörischer Typ,
den ich nicht mehr respektieren konnte. Während dieser wahnsinnigen Jahre habe
ich alles verloren; und zwar nicht nur meine Selbstachtung, sondern auch den
Respekt für mein Umfeld. Ich hatte den Grund vergessen, weshalb ich Musiker
geworden war. War es wirklich aus Liebe zur Musik? Jene spürte ich damals auf
jeden Fall nicht mehr."
Wie ist es dir denn gelungen aus dem Tal
herauszukommen?
"Anfangs habe ich jede Entscheidung hinausgezögert.
Irgendwann schaffte ich es dann aber, mich mit mir selbst zu konfrontieren. Ich
sah ein, dass ich in einer Sackgasse steckte, deren Ende nur der Tod sein
konnte. Ich musste mich neu entdecken und mir eingestehen, dass ich nicht
unfehlbar bin, sondern auch Schwächen habe. Ich begab mich auf die Suche nach
dem Menschen, der ich war, bevor der Glamour mein Leben beherrschte."
Hat dir die Musik dabei geholfen?
"Sicher", bestätigt das schmächtige Multitalent. "Die Musik
gab meinem Leben früher Sinn, und dieser ist mittlerweile wiedergekommen. Die
Musik ist mein bester Freund, sie inspiriert und tröstet."
"The Downward Spiral war ein fast komplett elektronisches
Werk. Auf "The Fragile" benutzt du viel öfter organische Instrumente wie Geigen,
Celli, ´ne Slide-Gitarre oder einen Kontrabass.
"Das hängt mit dem offenen Charakter zusammen, den das Album
bekommen sollte", nickt Reznor zustimmend. "Es ist leicht, sich hinter einer
elektronischen Mauer zu verstecken. Mit einer einfachen Gitarre in den Händen
ist man dagegen viel nackter und angreifbarer."
Es ist offensichtlich, dass "The Fragile" das Ergebnis deiner
Suche nach dir selbst ist. Du hast dich noch nie so verletzbar angehört wie z.B.
im Titelsong.
"Ich hatte schon jahrelang die Idee, ein Album aufzunehmen,
das sich mit Verletzbarkeit auseinandersetzt. Irgendwann wurde mir dann klar,
dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, um diesen Plan umzusetzen."
Wen beschützt du im Text zum Titelsong?
"Vor allem mich selbst. Ich war lange Zeit bekannt als das
Arschloch der Rockszene. Und die Leute machen einen großen Bogen um mich. Sie
hatten Angst. Und das mit Recht, schließlich war ich gewalttätig, schnauzte
jeden an und bestätigte laufend meine Image. Es gab kaum noch Grenzen. "The
Fragile" vermittelt nun ein komplett anderes Bild von mir, und das hat natürlich
auch Konsequenzen."
Welche?
"Die Leute haben keine Angst mehr und fragen mich nach
persönlichen Angelegenheiten. Dadurch passiert es natürlich, dass ich mich an
die finsteren Tage vor und nach "The Downward Spiral" erinnere. Die alten
Gefühle kommen wieder hoch, und ich muss, diverse Fragen beantworten. In diesem
Interview spreche ich mit fremden Leuten über Themen, die ich früher nicht mal
mit meinen Freunden diskutiert habe. So kommt es, dass jeder Tag in einer
Depression endet, schließlich ist dies alles noch sehr frisch."
Das ist wohl der Preis, den du für das Veröffentlichen
persönlicher Alben zahlen musst.
"Allerdings. Nur frage ich mich mittlerweile, ob es
vernünftig war, mich derart zu öffnen."
Reznor macht während des Interviews immer wieder kurze
Sprechpausen und wählt seine Worte mit Bedacht. Diesmal dauert die Stille sogar
noch länger. Das ehemalige Biest scheint mit den Tränen zu kämpfen.
"Trotzdem bin ich stolz auf die Musik", murmelt Trent nach
einiger Zeit und räuspert sich ein paar Mal. "´The Fragile' zeigt, wie ich mich
geändert habe. Das Album ist ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich bin ein
besserer Mensch geworden."
Dennoch wirken viele Songs auf der neuen Platte äußerst
negativ. Enthüllst du nur deine dunklen Emotionen in der Musik?
"Ja, denn ich liebe raue, intensive Sounds, und mir macht
Schreien mehr Spaß als Singen. Und das einzige, was mich zum Schreien animiert,
sind schlechte Laune und Aggressionen. Also bin ich vielleicht doch nicht so
ehrlich."
Spielt deine Kindheit in deiner Musik eine Rolle?
"Ich fürchte ja", seufzt Reznor. "Eigentlich ist meine
Biographie nicht sonderlich spektakulär: Ich hatte Probleme auf der Straße und
in der Schule, und meine Eltern trennten sich, als ich noch klein war. Ich nehme
an, dass das alles seine Spuren hinterlassen hat. Ich habe es in mir vergraben,
und irgendwann werde ich diese Sachen auch verarbeiten. Bis dahin möchte ich
aber nicht darüber sprechen."
Die Musik von NINE INCH NAILS ist sehr zugänglich, dennoch
verkauft die Band Millionen Alben, vor allem in den USA. Alleine ´The Downward
Spiral' ging mehr als fünf Millionen Mal über die Verkaufstresen der
Plattenläden. ´The Fragile' läuft ebenfalls hervorragend und ist auf Platz eins
in die Billboard-Charts eingestiegen. Wie kann man diesen Erfolg erklären?
Trent Reznor zuckt mit den Achseln. "Ich denke, dass viele
Plattenfirmen das Publikum unterschätzen; genauso wie die meisten Medien wie
z.B. Radio und Fernsehen. Sie füttern die Leute mit Leichtverdaulichem: Soaps,
harmlose Lieder und unwichtigen Nachrichten. Es wird einfach davon ausgegangen,
dass die Menschheit mehr nicht verarbeiten kann. Ich möchte dagegen die
Intelligenz der Masse fördern, anstatt sie zu beleidigen. Komischerweise stehe
ich in dieser Sache fast alleine da. (Blödsinn, es gibt genügend anspruchsvolle,
kommerziell erfolgreiche Künstler im Rockbereich, von Rush über Live bis hin zu
R.A.R.M. - Red.), obwohl meine Verkaufszahlen andere Künstler dazu inspirieren
sollten, etwas mutiger vorzugehen.
Eine andere Erklärung für meinen Erfolg ist, dass ein großer
Teil der Menschheit sich in der Misere wiedererkennt, die ich beschreibe. Bin
ich für sie der letzte Tropf oder spende ich ihnen Trost? Ich weiß es nicht,
aber geteilter Schmerz ist halber Schmerz…"
Reznors Image beruht nicht nur auf der rabenschwarzen Musik
und seiner skandalösen Lebensart, sonder auch auf den Aufnahmen zu "The Downward
Spiral" die in einem skandalträchtigsten Häuser L.A.s stattfanden: Der Villa in
Hollywood, in der 1969 die Schauspielerin Sharon Tate und einige ihrer Freunde
von Mitgliedern der Charles Manson Family brutal ermordet wurden.
"Ich wollte damals nicht in einem Studio aufnehmen, sondern
in einem komfortablen Haus. Ich hatte mir bereits Dutzende angeschaut, bis ich
auf diese Villa am Cielo Drive stieß. Sie sah halt gemütlich aus, und man hatte
einen atemberaubenden Blick über die Hollywood Hills. Erst ein paar Tage später
habe ich erfahren, dass in diesem Haus besagt Morde passiert sind. Anfangs fand
ich das cool und schaut mit Videos an, um zu rekonstruieren, was damals genau
passiert war. Ich muss allerdings zugeben, dass es mich nachts manchmal ganz
schön schauderte. Ich wählte das Haus wirklich nicht wegen seiner Vergangenheit
aus. Hätte ich gewusst, welchen Wirbel diese Geschichte in den USA verursachen
würde, hätte ich es vielleicht gelassen. Viele Leute fanden das
geschmacklos."
Reznor ist auch der Entdecker des Phänomens Marilyn Manson.
Er nahm den Schock-Rocker für sein Nothing-Label unter Vertrag, produzierte
Manson erste Alben und komponierte einen bedeutenden Teil der Musik. Auch MMs
letzte CD "Mechanical Animals" erschien bei Nothing, aber in den Credits ist von
T.R. nichts mehr zu sehen. Wie läuft's mit euch beiden?
"Unsere Wege haben sich getrennt", meldet Reznor. "Wir waren
lange Zeit gute Freunde, aber ich wusste, dass Manson früher oder später dem
Platz unter meinen Flügeln entwischen würde. Er ist äußerst ambitioniert, und
wir sind beide starke, ausgeprägte Persönlichkeiten. So eine Beziehung
funktioniert nicht für immer. Ich war darauf vorbereitet, dass sie endet, habe
aber nicht erwartet, dass es auf so eine unangenehme Art passiert. Ich bin
deswegen noch immer sehr verletzt, vor allem weil Manson alles, was wir erlebt
haben, extrem offenherzig niedergeschrieben hat. Es hätte alles ein bisschen
zivilisierter ausfallen können. Ich respektiere ihn als Künstler, und er wird
wohl bei mir unter Vertrag bleiben, aber damit hat sich's auch."
Robert Haagsma
Übersetzung: Geert-Jan Gorter