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Jahr 2001

 

Visions

 

Februar 2001

 

Von Gestern, Heute und Morgen

 

Autor: Jochen Schliemann

 

 

 

 

Gehofft hatten wir es, so richtig daran geglaubt aber nicht. Das NINE INCH NAILS-Remixalbum "Things Falling Apart" ist veröffentlicht, die "Fragile"-Tour längst vorbei - warum also sollte ein derart medienscheuer Mensch ein Interview geben? Doch am Nikolaustag um 20.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit klingelt in der Arneckestraße 82 in Dortmund tatsächlich das Telefon. Es meldet sich kein bemerkenswert gut gelaunter, aber immerhin um ergiebige Antworten bemühter Trent Reznor, der uns exakt 20 Minuten seiner Zeit schenkt.

 Was machst du gerade?

 "Ich bin zu Hause in New Orleans, Lousiana. Ich sitze in einem Zimmer neben meinem Heimstudio. Wir arbeiten Momentan an verschiedenen Sachen."

 Du hast ein eigenes Studio zu Hause?

 "Erst kürzlich haben wir es generalüberholt, um an einer Live-CD und DVD der letzten Tour zu arbeiten, die wahrscheinlich im Frühjahr erscheinen wird. Wir haben alles im Surround-Sound gemixt. Ein ganz schönes Stück Arbeit verglichen mit dem, was wir uns vorgestellt haben. Andererseits war es ein guter Weg, sich wieder in die Studioarbeit einzufinden. Je länger du auf Tour bist, desto mehr verlernst du technische Feinheiten. Jetzt arbeite ich gerade an neuem Material, von dem ich allerdings nicht weiß, wie und wo ich es verwenden werde. Keine Ahnung, ob es ein neues Nine Inch Nails-Album wird. Eigentlich teste ich gerade lediglich aus, was mich musikalisch interessiert."

 Wen meinst du, wenn du von ´wir' sprichst?

 "´Wir' sind der NIN-Kern. Dazu zähle ich Charlie Clouser, Programmer und Live-Keyboarder, Keith Hillebrandt, der hier im Studio arbeitet und während ´The Fragile' meine rechte Hand war. Danny Lohner ist auch immer noch dabei, ebenso wie unser Drummer Jerome Dillon. Sie alle sind aber momentan nicht hier. Ich sitze allein am Computer und mache Geräusche. Mal sehen, was mich aufregt."

 Macht das Spaß?

 "Es macht Spaß. Vor allem, weil momentan kein Zeitdruck besteht. Letztendlich wird es aber auf verschiedene Projekte hinauslaufen, wovon eines auch Nine Inch Nails ist. Alles ist aber noch zu vage, um konkrete Aussagen zu machen. Aber ja, es macht mir generell ziemlichen Spaß, mit Sachen ziellos herum zu spielen. Vor allem, weil das nicht immer so war. Als ich mit ´The Fragile' anfing, dachte ich, das Album würde sehr minimalistisch werden - es entpuppte sich als das exakte Gegenteil. Diesmal möchte ich gern vorher herausfinden, was für ein Pfad beim nächsten Album vor mir liegt. Dennoch kann ich nur wiederholen: Es wird zwar ein NIN-Album geben, ob es aber das nächste sein wird, das weiß ich nicht."

 Du machst also eine Platte und entscheidest danach, wann und unter welchem Namen sie veröffentlicht wird?

 "Na ja, es hängt mehr davon ab, ob sich das Konzept von NIN vereinbaren lässt. Das hat nicht mit qualitativen Kriterien zu tun. Viel mehr damit, ob man zum Beispiel anderer Musiker dabei sind oder gar jemand anderes singt."

 Wie war rückblickend betrachtet die Europatour für dich?

 "Sie hat mir Spaß gemacht. Dennoch würde ich gern zurückkommen und es besser machen. Festivals sind eigentlich nicht der ideale Weg, um uns zu sehen. Wir können nicht die ganze Produktion auffahren und die Atmosphäre ist nicht annähernd so intim; die Aufmerksamkeit der Leute ist zu zerstreut. Wenn es nach mir ginge, will ich gern den Rest der Welt in Sachen Nine Inch Nails zu den USA aufschließen lassen. In den letzten zehn Jahren sind wir hier gut dreißigmal getourt. Der Hauptgrund für diese Priorität ist aber einzig und allein, dass unser Label nur auf diese Weise Geld verdient. Sie sind sehr geizig, wenn es um Tourneen auf anderen Kontinenten geht. Es ist oft einfach unmöglich für uns, zu euch zu kommen. Im Frühjahr werde ich aber erneut versuchen, mit NIN und ein paar coolen Bands zu euch zu kommen. Die Show wird dann anders sein als letztes Mal."

Werdet ihr dann auch "We're In This Together" spielen?

 "Irgendwie klang das Stück live immer scheiße. Ich kann dir nicht sagen, warum das so war. Außerdem: Wenn du an einem Album arbeitest, dann gibt es zum einen die natürlich kommenden Songs, bei denen du dich anschließend wunderst, wie einfach das eigentlich war. Andererseits aber auch die, bei denen du dich um jeden einzelnen Ton vorwärts kämpfst. ´We're In This Together' war genau das. Das Ding zu mixen hat uns fast drei Wochen gekostet. Danach wollten wir uns regelrecht gegenseitig umbringen. 40 Mal am Tag haben wir das gleiche Stück gehört! Als es dann an die Tourproben ging, haben wir immer gesagt: ´Lass uns damit noch ein bisschen warten'. Bis heute steht es in der Warteschleife."

 Rare Interviews, Fernseh- und Festivalauftritte, sowie die optische Komponente der Band mit Website, Merchandise etc. - es scheint so, als sei dir ein homogenes Gesamtbild von Nine Inch Nails mehr als wichtig.

 "Nine Inch Nails sollte immer etwas Besonderes und Eigenes sein. Bis jetzt habe ich zumindest versucht, mir nicht reinreden zu lassen. Musikalisch zum Beispiel haben viele von ´The Fragile' etwas anderes erwartet und waren im Endeffekt gar enttäuscht. Das muss mir egal sein. Anstatt alles schneller, härter, dunkler und so weiter zu machen, wollte ich die Platte lieber offen gestalten für alles, eben genauso, wie sie jetzt zu hören ist. Neben dieser Kompromisslosigkeit bei der Musik lastet andererseits aber auch ein großer kommerzieller Druck auf mir: Erwartungen, die entstanden sind, als wir Erfolg hatten. Zu viele Menschen sind involviert in NIN, alles ist viel zu wichtig. Manchmal, wenn du nicht aufpasst, können so der Spaß und das Besondere verloren gehen. Um ehrlich zu sein: Momentan ist die Idee, mit ein paar Freunden in den Bus zu steigen und ein paar Clubshows zu spielen viel aufregender für mich, als eine Arenatour zu orchestrieren.."

 Widerspricht eine Verpflichtung gegenüber so vielen Menschen nicht komplett deiner kreativen Freiheit? Das was NIN inzwischen unter geschäftlichen Aspekten bedeutet, war schließlich nie deine Intention.

 "Ich kann immer noch machen, was ich will, nur die Ansprüche von außen sind halt höher geworden. Wenn du als Band 50.000 Platten in Amerika verkaufst, dann ist der Druck einfach nicht so groß wie bei uns. Ich dachte eigentlich immer, wir seien Underdogs. NIN ist keine Chartsmusik. Ich hatte nie vor, mit U2 oder dem ganzen anderen Dreck verglichen zu werden. Ich höre diese Musik nicht. Sie interessiert mich nicht. Seit dem Moment, in dem wir groß wurden, galt für uns, das Gleiche fortzuführen, es aber anders anzugehen, um unsere musikalisches Ideale zu wahren. Es ist zwar etwas anderes, vor 20.000 statt vor 2.000 Menschen zu spielen, aber keines von beidem ist besser oder schlechter. Es hat bestimmt einen Grund, dass ich hier gerade allein sitze, und einmal mehr bei null anfangen will."

 Wer hat Schuld daran, dass "The Fragile" kommerziell nicht so erfolgreich war?

 "Prinzipiell natürlich niemand. Allerdings bin ich sehr unzufrieden mit unserem weltweiten Vertrieb ´Universal'. Es ist eine Firma, die sich nicht um Kunst kümmert, sondern sie verkauft. Es ist ein sehr unglücklicher Umstand, dass wir in diesem Laden gestrandet sind. Sie verkaufen unsere Kunst am Bahnhofskiosk. Das ist natürlich schwer, da dort nicht so oft die Kunstinteressierten vorbeikommen."

 Warum gibst du dieses Interview?

 "Ich gebe dieses Interview, weil ich an Nine Inch Nails glaube. Ich glaube an das, was wir veröffentlicht haben und an unser Potenzial. Ich wünsche mir, dass Menschen die Möglichkeit haben, möglichst ungefiltert über uns zu erfahren und vielleicht eine Platte von uns zu kaufen. Ich glaube, dass das Klima in dieser Branche krank ist. Wenn du versuchst, etwas anders zu machen, wirst du dafür bestraft. Wenn du aber auf den Konsumenten zugeschnittene, kategorisierbare, ´so-called-music' machst, die eigentlich nur ein Produkt ist, dann wirst du aber alle Maße belohnt. Da ich aber so etwas wie Stolz in mir habe, kann ich entweder aufgeben und schmollend in meinem Schlafzimmer Musik machen, von der es mir egal ist, ob sie jemals jemand hört - oder ich kann einen Versuch starten, in den Grenzen des guten Geschmacks etwas promoten, woran ich hart gearbeitet habe. Etwas, das ich liebe und von dem ich denke, dass es gut ist, das es zurecht das Gehirn der Menschen in Anspruch nimmt. Es gibt nämlich ein anderes Level als das unterste. Musik kann Tiefe haben, Musik kann ehrliche Kunst sein, nicht nur Fahrstuhlhintergrundmusik oder Soundtrack für Teenager-Partys."

 Auf meinen Teenanger-Partys lief aber immer Nine Inch Nails. Ist das schlimm?

 (lacht) "Nein. Du bist natürlich viel schlauer als die anderen."

 Wie reagierst du, wenn dir ein Kid erzählt, du hättest ihm mit deiner Musik sehr geholfen?

 "Das ist das, worauf es hinausläuft. Die schönste Belohnung ist, zu merken, dass man das Leben eines anderen Menschen bereichert hat, den Soundtrack zu einem schönen oder schrecklichen Moment geliefert hat. Was mich angeht: Wenn ich bestimmte Lieder höre, erinnere ich mich genau an den Tag und den Moment, in dem die Erinnerung entstanden ist, die ich bis zu meinem Lebensende damit verbinden werde. Wie die Luft an einem sonnigen Tag gerochen hat, oder was eine Person anhatte. Als ich 15 war, gab es bestimmte Songs, die mir das Gefühl gaben, nicht allein zu sein, die ausdrückten konnten, was ich nicht fähig war auszudrücken. Darum hatte Musik immer einen besonderen Stellenwert in meinem Leben. Es war nie nur Sound, nur Wörter - es war viel mehr. Und das, ohne die visuelle Seite zu berühren. Wenn du so etwas dann über die selbst hörst - auch wenn die Leute zum Teil überhaupt nicht verstanden haben, was ich im ursprünglichen Sinne eigentlich mit dem Song meinte - ist dass das höchste Gut. Es macht den ganzen anderen Horror lohnenswert: Sachen wie Interviews, Online-Web-Chats oder diese scheiß Fotosessions. Selbst diese Tage, an denen ich im Studio sitze und mir die Haare raufe, weil mir die passende Textzeile fehlt."

 Aber denn du elementare Sachen wie diese dauernd in Interviews beantworten musst, wird es nicht erst dann richtig problematisch? Wird dann nicht selbst der Kern der Sache zum Klischee?

 "Ich weiß nicht. Ich denke, man muss diese Sachen lediglich trennen können. Ein Beispiel: Ich wollte die letzten drei Monate in den Staaten nicht mehr Touren, aber es hat die gesamte Sache erst finanziell möglich gemacht. Wir werden nicht im Radio und kaum auf MTV gespielt. Wenn wir also ´The Fragile' live so vorstellen wollen, wie es der Fall war, heißt das touren, bis das Geld wieder drin ist. Das gleiche kannst du auch auf deine Frage mit den Interviews beziehen. Ich muss halt zeitweise extrem unsinnige Gespräche über mich ergehen lassen, um NIN zu erklären. Gleichzeitig will ich aber nicht überall ständig präsent sein und auch meine Zeit nicht vergeuden. Ich hab überhaupt kein Problem damit, mich mit dir zu unterhalten und fühle mich auch nicht angegriffen von irgend etwas, worüber wir bisher gesprochen haben, aber nebenan wartet ein Zimmer mit halbfertigen Songs, an denen ich arbeiten kann - und wenn ich zwischen diesen beiden Sachen wählen könnte - ich würde mich immer für letzteres entscheiden."

 Eine Band verkauft sich in dem Moment, in dem sie ihren Plattenvertrag unterschreibt, oder?

 "Der Grund, dass wir uns überhaupt unterhalten und du jemals von uns gehört hast, ist, dass NIN irgendwann mal eingewilligt haben, dieses ganze Spiel mitzuspielen. Bei den Dimensionen, die das Ganze heutzutage angenommen hat, wird mir allerdings schlecht: Was wäre vor zehn Jahren gewesen, wenn eine Lieblingsband von uns in einem Werbespot aufgetaucht wäre? Nie im Leben hätte ich sie wieder ernst nehmen können. Allein gestern aber habe ich David Bowies und Blurs Musik in einer Microsoft-Werbung gesehen und die der Dandy Warholes für GAP. Das ist normal heutzutage! Jede noch so große Plattenfirma gehört einem noch größeren Unternehmen. Und spätestens die interessieren sich einen Scheißdreck für Ästhetik. Wenn die ein Musikergesicht auf eine Kaugummi-Packung drucken wollen, wurde irgendeiner sicher sagen: ´Klar, dann verkaufen wir mehr!'"

 Wie würdest du reagieren, wenn dir das passieren würde?

 "Es gibt Grenzen, die würde ich nie überschreiten. Grenzen, die jeder stolze Musiker haben sollte. Nine Inch Nails ist wertvoll, und ich werde alles daran setzen, das zu erhalten."

 Ich habe eigentlich keine Lust, dich nach deiner Meinung über Fred Durst und seine Abneigung gegenüber NIN zu fragen.

 "Das ist nett. Dieses Thema ist ohnehin Zeitverschendung."

 Stimmt es, dass du dich mit Marilyn Manson wieder vertragen hast?

 "Wir sind wieder Freunde."

 Wurde das ganze durch die Medien nicht ein bisschen hochgepusht?

 "Ich schwöre dir, es war kein Medienhype. Wir waren sehr eng befreundet bis zu dem Punkt, an dem er erfolgreich wurde und so etwas wie eine Konkurrenz begann. Von da an haben wir uns beide extrem dumm gegenüber einander benommen. Eskaliert ist die Sache dann, als Leute aus unserer Umgebung die Sache durch Gerüchte zu schüren begannen und schlimmer machten, als sie schon war. Außerdem passierten ein paar völlig unnötige, übertriebene Dinge seinerseits. Inzwischen aber verstehen wir uns wieder recht gut. Nicht alles ist geklärt, aber ich vermisse ihn. Er ist ein guter Freund und sehr intelligent. Als ich begann, Erfolg zu haben, habe ich mich genauso verhalten wie er. Inzwischen habe ich aber zum Glück  die nötige Weitsicht. Vielleicht war das sogar das Problem. Nichtsdestotrotz sehe ich, was uns beide betrifft, positiv in die Zukunft."

 Du scheinst in der Tat ruhiger und ausgeglichener zu sein als zu den "Downward Spiral"-Zeiten. Bist du dir deiner selbst bewusster geworden?

 "Selbstbewusstsein im wörtlichen Sinne hat mit all dem sicherlich etwas zu tun. Dennoch muss ich mich immer noch viel öfter daran erinnern, dass es mir gut geht. Ich bin ein glücklicher Kerl. Ich würde meinen Job auch machen, wenn ich nicht dafür bezahlt würde."

 Welche Frage würdest du gerne mal gestellt bekommen?

 (überlegt): "Mhm, schwierige Frage."

 Vielleicht, ob wir das Interview beenden sollen?

 (lacht): "Ja, das wäre doch was! Im Ernst: Tut mir leid, ich hänge mit einer Hälfte meines Kopfes schon wieder im Studio."

 Jochen Schliemann

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