Gehofft hatten wir es, so richtig daran geglaubt aber
nicht. Das NINE INCH NAILS-Remixalbum "Things Falling Apart" ist veröffentlicht,
die "Fragile"-Tour längst vorbei - warum also sollte ein derart medienscheuer
Mensch ein Interview geben? Doch am Nikolaustag um 20.00 Uhr mitteleuropäischer
Zeit klingelt in der Arneckestraße 82 in Dortmund tatsächlich das Telefon. Es
meldet sich kein bemerkenswert gut gelaunter, aber immerhin um ergiebige
Antworten bemühter Trent Reznor, der uns exakt 20 Minuten seiner Zeit
schenkt.
Was machst du gerade?
"Ich bin zu Hause in New Orleans, Lousiana. Ich sitze in
einem Zimmer neben meinem Heimstudio. Wir arbeiten Momentan an verschiedenen
Sachen."
Du hast ein eigenes Studio zu Hause?
"Erst kürzlich haben wir es generalüberholt, um an einer
Live-CD und DVD der letzten Tour zu arbeiten, die wahrscheinlich im Frühjahr
erscheinen wird. Wir haben alles im Surround-Sound gemixt. Ein ganz schönes
Stück Arbeit verglichen mit dem, was wir uns vorgestellt haben. Andererseits war
es ein guter Weg, sich wieder in die Studioarbeit einzufinden. Je länger du auf
Tour bist, desto mehr verlernst du technische Feinheiten. Jetzt arbeite ich
gerade an neuem Material, von dem ich allerdings nicht weiß, wie und wo ich es
verwenden werde. Keine Ahnung, ob es ein neues Nine Inch Nails-Album wird.
Eigentlich teste ich gerade lediglich aus, was mich musikalisch
interessiert."
Wen meinst du, wenn du von ´wir' sprichst?
"´Wir' sind der NIN-Kern. Dazu zähle ich Charlie Clouser,
Programmer und Live-Keyboarder, Keith Hillebrandt, der hier im Studio arbeitet
und während ´The Fragile' meine rechte Hand war. Danny Lohner ist auch immer
noch dabei, ebenso wie unser Drummer Jerome Dillon. Sie alle sind aber momentan
nicht hier. Ich sitze allein am Computer und mache Geräusche. Mal sehen, was
mich aufregt."
Macht das Spaß?
"Es macht Spaß. Vor allem, weil momentan kein Zeitdruck
besteht. Letztendlich wird es aber auf verschiedene Projekte hinauslaufen, wovon
eines auch Nine Inch Nails ist. Alles ist aber noch zu vage, um konkrete
Aussagen zu machen. Aber ja, es macht mir generell ziemlichen Spaß, mit Sachen
ziellos herum zu spielen. Vor allem, weil das nicht immer so war. Als ich mit
´The Fragile' anfing, dachte ich, das Album würde sehr minimalistisch werden -
es entpuppte sich als das exakte Gegenteil. Diesmal möchte ich gern vorher
herausfinden, was für ein Pfad beim nächsten Album vor mir liegt. Dennoch kann
ich nur wiederholen: Es wird zwar ein NIN-Album geben, ob es aber das nächste
sein wird, das weiß ich nicht."
Du machst also eine Platte und entscheidest danach, wann und
unter welchem Namen sie veröffentlicht wird?
"Na ja, es hängt mehr davon ab, ob sich das Konzept von NIN
vereinbaren lässt. Das hat nicht mit qualitativen Kriterien zu tun. Viel mehr
damit, ob man zum Beispiel anderer Musiker dabei sind oder gar jemand anderes
singt."
Wie war rückblickend betrachtet die Europatour für
dich?
"Sie hat mir Spaß gemacht. Dennoch würde ich gern
zurückkommen und es besser machen. Festivals sind eigentlich nicht der ideale
Weg, um uns zu sehen. Wir können nicht die ganze Produktion auffahren und die
Atmosphäre ist nicht annähernd so intim; die Aufmerksamkeit der Leute ist zu
zerstreut. Wenn es nach mir ginge, will ich gern den Rest der Welt in Sachen
Nine Inch Nails zu den USA aufschließen lassen. In den letzten zehn Jahren sind
wir hier gut dreißigmal getourt. Der Hauptgrund für diese Priorität ist aber
einzig und allein, dass unser Label nur auf diese Weise Geld verdient. Sie sind
sehr geizig, wenn es um Tourneen auf anderen Kontinenten geht. Es ist oft
einfach unmöglich für uns, zu euch zu kommen. Im Frühjahr werde ich aber erneut
versuchen, mit NIN und ein paar coolen Bands zu euch zu kommen. Die Show wird
dann anders sein als letztes Mal."
Werdet ihr dann auch "We're In This Together" spielen?
"Irgendwie klang das Stück live immer scheiße. Ich kann dir
nicht sagen, warum das so war. Außerdem: Wenn du an einem Album arbeitest, dann
gibt es zum einen die natürlich kommenden Songs, bei denen du dich anschließend
wunderst, wie einfach das eigentlich war. Andererseits aber auch die, bei denen
du dich um jeden einzelnen Ton vorwärts kämpfst. ´We're In This Together' war
genau das. Das Ding zu mixen hat uns fast drei Wochen gekostet. Danach wollten
wir uns regelrecht gegenseitig umbringen. 40 Mal am Tag haben wir das gleiche
Stück gehört! Als es dann an die Tourproben ging, haben wir immer gesagt: ´Lass
uns damit noch ein bisschen warten'. Bis heute steht es in der
Warteschleife."
Rare Interviews, Fernseh- und Festivalauftritte, sowie die
optische Komponente der Band mit Website, Merchandise etc. - es scheint so, als
sei dir ein homogenes Gesamtbild von Nine Inch Nails mehr als wichtig.
"Nine Inch Nails sollte immer etwas Besonderes und Eigenes
sein. Bis jetzt habe ich zumindest versucht, mir nicht reinreden zu lassen.
Musikalisch zum Beispiel haben viele von ´The Fragile' etwas anderes erwartet
und waren im Endeffekt gar enttäuscht. Das muss mir egal sein. Anstatt alles
schneller, härter, dunkler und so weiter zu machen, wollte ich die Platte lieber
offen gestalten für alles, eben genauso, wie sie jetzt zu hören ist. Neben
dieser Kompromisslosigkeit bei der Musik lastet andererseits aber auch ein
großer kommerzieller Druck auf mir: Erwartungen, die entstanden sind, als wir
Erfolg hatten. Zu viele Menschen sind involviert in NIN, alles ist viel zu
wichtig. Manchmal, wenn du nicht aufpasst, können so der Spaß und das Besondere
verloren gehen. Um ehrlich zu sein: Momentan ist die Idee, mit ein paar Freunden
in den Bus zu steigen und ein paar Clubshows zu spielen viel aufregender für
mich, als eine Arenatour zu orchestrieren.."
Widerspricht eine Verpflichtung gegenüber so vielen Menschen
nicht komplett deiner kreativen Freiheit? Das was NIN inzwischen unter
geschäftlichen Aspekten bedeutet, war schließlich nie deine Intention.
"Ich kann immer noch machen, was ich will, nur die Ansprüche
von außen sind halt höher geworden. Wenn du als Band 50.000 Platten in Amerika
verkaufst, dann ist der Druck einfach nicht so groß wie bei uns. Ich dachte
eigentlich immer, wir seien Underdogs. NIN ist keine Chartsmusik. Ich hatte nie
vor, mit U2 oder dem ganzen anderen Dreck verglichen zu werden. Ich höre diese
Musik nicht. Sie interessiert mich nicht. Seit dem Moment, in dem wir groß
wurden, galt für uns, das Gleiche fortzuführen, es aber anders anzugehen, um
unsere musikalisches Ideale zu wahren. Es ist zwar etwas anderes, vor 20.000
statt vor 2.000 Menschen zu spielen, aber keines von beidem ist besser oder
schlechter. Es hat bestimmt einen Grund, dass ich hier gerade allein sitze, und
einmal mehr bei null anfangen will."
Wer hat Schuld daran, dass "The Fragile" kommerziell nicht so
erfolgreich war?
"Prinzipiell natürlich niemand. Allerdings bin ich sehr
unzufrieden mit unserem weltweiten Vertrieb ´Universal'. Es ist eine Firma, die
sich nicht um Kunst kümmert, sondern sie verkauft. Es ist ein sehr unglücklicher
Umstand, dass wir in diesem Laden gestrandet sind. Sie verkaufen unsere Kunst am
Bahnhofskiosk. Das ist natürlich schwer, da dort nicht so oft die
Kunstinteressierten vorbeikommen."
Warum gibst du dieses Interview?
"Ich gebe dieses Interview, weil ich an Nine Inch Nails
glaube. Ich glaube an das, was wir veröffentlicht haben und an unser Potenzial.
Ich wünsche mir, dass Menschen die Möglichkeit haben, möglichst ungefiltert über
uns zu erfahren und vielleicht eine Platte von uns zu kaufen. Ich glaube, dass
das Klima in dieser Branche krank ist. Wenn du versuchst, etwas anders zu
machen, wirst du dafür bestraft. Wenn du aber auf den Konsumenten
zugeschnittene, kategorisierbare, ´so-called-music' machst, die eigentlich nur
ein Produkt ist, dann wirst du aber alle Maße belohnt. Da ich aber so etwas wie
Stolz in mir habe, kann ich entweder aufgeben und schmollend in meinem
Schlafzimmer Musik machen, von der es mir egal ist, ob sie jemals jemand hört -
oder ich kann einen Versuch starten, in den Grenzen des guten Geschmacks etwas
promoten, woran ich hart gearbeitet habe. Etwas, das ich liebe und von dem ich
denke, dass es gut ist, das es zurecht das Gehirn der Menschen in Anspruch
nimmt. Es gibt nämlich ein anderes Level als das unterste. Musik kann Tiefe
haben, Musik kann ehrliche Kunst sein, nicht nur Fahrstuhlhintergrundmusik oder
Soundtrack für Teenager-Partys."
Auf meinen Teenanger-Partys lief aber immer Nine Inch Nails.
Ist das schlimm?
(lacht) "Nein. Du bist natürlich viel schlauer als die
anderen."
Wie reagierst du, wenn dir ein Kid erzählt, du hättest ihm
mit deiner Musik sehr geholfen?
"Das ist das, worauf es hinausläuft. Die schönste Belohnung
ist, zu merken, dass man das Leben eines anderen Menschen bereichert hat, den
Soundtrack zu einem schönen oder schrecklichen Moment geliefert hat. Was mich
angeht: Wenn ich bestimmte Lieder höre, erinnere ich mich genau an den Tag und
den Moment, in dem die Erinnerung entstanden ist, die ich bis zu meinem
Lebensende damit verbinden werde. Wie die Luft an einem sonnigen Tag gerochen
hat, oder was eine Person anhatte. Als ich 15 war, gab es bestimmte Songs, die
mir das Gefühl gaben, nicht allein zu sein, die ausdrückten konnten, was ich
nicht fähig war auszudrücken. Darum hatte Musik immer einen besonderen
Stellenwert in meinem Leben. Es war nie nur Sound, nur Wörter - es war viel
mehr. Und das, ohne die visuelle Seite zu berühren. Wenn du so etwas dann über
die selbst hörst - auch wenn die Leute zum Teil überhaupt nicht verstanden
haben, was ich im ursprünglichen Sinne eigentlich mit dem Song meinte - ist dass
das höchste Gut. Es macht den ganzen anderen Horror lohnenswert: Sachen wie
Interviews, Online-Web-Chats oder diese scheiß Fotosessions. Selbst diese Tage,
an denen ich im Studio sitze und mir die Haare raufe, weil mir die passende
Textzeile fehlt."
Aber denn du elementare Sachen wie diese dauernd in
Interviews beantworten musst, wird es nicht erst dann richtig problematisch?
Wird dann nicht selbst der Kern der Sache zum Klischee?
"Ich weiß nicht. Ich denke, man muss diese Sachen lediglich
trennen können. Ein Beispiel: Ich wollte die letzten drei Monate in den Staaten
nicht mehr Touren, aber es hat die gesamte Sache erst finanziell möglich
gemacht. Wir werden nicht im Radio und kaum auf MTV gespielt. Wenn wir also ´The
Fragile' live so vorstellen wollen, wie es der Fall war, heißt das touren, bis
das Geld wieder drin ist. Das gleiche kannst du auch auf deine Frage mit den
Interviews beziehen. Ich muss halt zeitweise extrem unsinnige Gespräche über
mich ergehen lassen, um NIN zu erklären. Gleichzeitig will ich aber nicht
überall ständig präsent sein und auch meine Zeit nicht vergeuden. Ich hab
überhaupt kein Problem damit, mich mit dir zu unterhalten und fühle mich auch
nicht angegriffen von irgend etwas, worüber wir bisher gesprochen haben, aber
nebenan wartet ein Zimmer mit halbfertigen Songs, an denen ich arbeiten kann -
und wenn ich zwischen diesen beiden Sachen wählen könnte - ich würde mich immer
für letzteres entscheiden."
Eine Band verkauft sich in dem Moment, in dem sie ihren
Plattenvertrag unterschreibt, oder?
"Der Grund, dass wir uns überhaupt unterhalten und du jemals
von uns gehört hast, ist, dass NIN irgendwann mal eingewilligt haben, dieses
ganze Spiel mitzuspielen. Bei den Dimensionen, die das Ganze heutzutage
angenommen hat, wird mir allerdings schlecht: Was wäre vor zehn Jahren gewesen,
wenn eine Lieblingsband von uns in einem Werbespot aufgetaucht wäre? Nie im
Leben hätte ich sie wieder ernst nehmen können. Allein gestern aber habe ich
David Bowies und Blurs Musik in einer Microsoft-Werbung gesehen und die der
Dandy Warholes für GAP. Das ist normal heutzutage! Jede noch so große
Plattenfirma gehört einem noch größeren Unternehmen. Und spätestens die
interessieren sich einen Scheißdreck für Ästhetik. Wenn die ein Musikergesicht
auf eine Kaugummi-Packung drucken wollen, wurde irgendeiner sicher sagen: ´Klar,
dann verkaufen wir mehr!'"
Wie würdest du reagieren, wenn dir das passieren würde?
"Es gibt Grenzen, die würde ich nie überschreiten. Grenzen,
die jeder stolze Musiker haben sollte. Nine Inch Nails ist wertvoll, und ich
werde alles daran setzen, das zu erhalten."
Ich habe eigentlich keine Lust, dich nach deiner Meinung über
Fred Durst und seine Abneigung gegenüber NIN zu fragen.
"Das ist nett. Dieses Thema ist ohnehin
Zeitverschendung."
Stimmt es, dass du dich mit Marilyn Manson wieder vertragen
hast?
"Wir sind wieder Freunde."
Wurde das ganze durch die Medien nicht ein bisschen
hochgepusht?
"Ich schwöre dir, es war kein Medienhype. Wir waren sehr eng
befreundet bis zu dem Punkt, an dem er erfolgreich wurde und so etwas wie eine
Konkurrenz begann. Von da an haben wir uns beide extrem dumm gegenüber einander
benommen. Eskaliert ist die Sache dann, als Leute aus unserer Umgebung die Sache
durch Gerüchte zu schüren begannen und schlimmer machten, als sie schon war.
Außerdem passierten ein paar völlig unnötige, übertriebene Dinge seinerseits.
Inzwischen aber verstehen wir uns wieder recht gut. Nicht alles ist geklärt,
aber ich vermisse ihn. Er ist ein guter Freund und sehr intelligent. Als ich
begann, Erfolg zu haben, habe ich mich genauso verhalten wie er. Inzwischen habe
ich aber zum Glück die nötige Weitsicht. Vielleicht war das sogar das Problem.
Nichtsdestotrotz sehe ich, was uns beide betrifft, positiv in die
Zukunft."
Du scheinst in der Tat ruhiger und ausgeglichener zu sein als
zu den "Downward Spiral"-Zeiten. Bist du dir deiner selbst bewusster
geworden?
"Selbstbewusstsein im wörtlichen Sinne hat mit all dem
sicherlich etwas zu tun. Dennoch muss ich mich immer noch viel öfter daran
erinnern, dass es mir gut geht. Ich bin ein glücklicher Kerl. Ich würde meinen
Job auch machen, wenn ich nicht dafür bezahlt würde."
Welche Frage würdest du gerne mal gestellt bekommen?
(überlegt): "Mhm, schwierige Frage."
Vielleicht, ob wir das Interview beenden sollen?
(lacht): "Ja, das wäre doch was! Im Ernst: Tut mir leid, ich
hänge mit einer Hälfte meines Kopfes schon wieder im Studio."
Jochen Schliemann