Die Nine Inch Nails
ziehen einen audiovisuellen Schlußstrich unter ihr bisheriges Schaffen. Was die
Zukunft bringen könnte, verrät Trent Reznor höchstpersönlich.
Mit „And All That Could Have
Been“ zündet Trent Reznor die gewaltige Bild- und Tonrakete aller
Live-Aktivitäten seines Babys Nine Inch Nails. Doppel-DVD, Doppel-CD und Video
werden unter die Leute gebracht, jedes Format anders bestückt und ausgestattet.
Braucht‘s der Fan? Sicher. Denn es iat der Schlusspunkt all dessen, was bisher
war. Von nun an „ist Zeit für Neues‘, wie das eigenbrötlerische Genie im
Interview erklärt.
Das ist doch mal eine Neuigkeit:
Trent Reznor schließt ab und fängt von vorne an. Oder, wie er es beim Gespräch
in seinem Studio in New Orleans formuliert:
„Ich finde, es ist langsam an der
Zeit, etwas komplett Neues anzufangen, ich bin kein jugendlicher Rüpel mehr.
Und ehrlich gesagt frage ich mich auch, ob ich mich von manchem nicht schon
viel früher hätte verabschieden sollen. Das fällt schwer - ich mochte diese
Ära, und die meisten Songs mag ich noch immer. Aber jetzt freue ich mich auf
Neues.“
Spricht‘s und lehnt sich zurück
in seinem Regiestuhl vor dem monströsen Mischpult. Ein beeindruckender Arbeitsplatz,
im etwas schickeren Westteil von New Orleans, untergebracht in einem alten
umgebauten Haus der Jahrhundertwende. Allerdings nicht, wie man jetzt vermuten
könnte, schwarz angestrichen. Sondern: himmelblau. Das überrascht.
„Ach, so ein schwarzer Typ bin
ich inzwischen gar nicht mehr. Ich mag Farben, zumindest manche“, sagt er,
während wir uns das bombastische NIN-Livekonzert auf der Doppel-DVD anschauen.
Diese ist farbgewaltig, düster, stroboskopisch und durch und durch wild. Laut,
aggressiv brutal nach vorne und von formidablem Klang.
Technik, Sounds, das große
Frickeln. Das ist der Dreiklang, in dem sich Reznor musikalisch normalerweise
am Liebsten bewegt. Als heißer Frontfeger mit echten Entertainer-Qualitäten ist
er ja eigentlich nicht unbedingt bekannt, und er stimmt auch zu:
„Eigentlich mag ich die Bühne
nicht besonders. Ich glaube auch nicht, dass meine Musik besonders
selbstbewusst ist, in dem Sinne, dass sie eine richtige Bühnen-Performance
benötigt. Wie Tom Jones zum Beispiel - der Mann und seine Musik gehören auf die
Bühne, vor Publikum. Ich eigentlich nicht. Deshalb rede ich auch so gut wie nie
mit dem Publikum, ich habe ihm nichts zu sagen, was ich nicht schon mit meiner
Musik sagen würde.“
An die Grenzen gehen — das ist
etwas, was man ihm auch auf der Bühne absolut nicht absprechen kann, so zeigt
es auch die DVD. Er gibt alles, kotzt die Wut aus sich heraus und scheint nicht
an Morgen zu denken. Wie hält man das durch?
„Wenn du zwei Jahre auf Tour
bist, gibt es nun mal viele Abende, an denen du dich nicht danach fühlst,
wieder und wieder durch diese Adrenalin-Hölle zu gehen, emotional, geistig und
physisch. Da bemerkst du dann schon, dass du manchmal der geworden bist, der du
nie sein wolltest: The guy who plays the role. I hate to say it.“ Oder man flüchtet
sich in die Glück verheißende Welt der Drogen.
„Das habe ich auch getan, lange,
oft und viel. Aber das ist auch nur ein Hinauszögern des Problems. Wobei: Das
sage ich jetzt, wo ich clean bin. Das war auch mal anders.“
Jetzt hat er offenbar mit der Härte
und Aggressivität seines bisherigen Schaffens abgeschlossen. Ein erster
Fingerzeig in die potenzielle neue Richtung ist die „Deconstruction/ Quiet“-CD,
die zweite CD des parallel zur DVD veröffentlichten Livealbums. Darauf zu hören:
Trent Reznor und die Stille. Trent Reznor und flüchtige, kaum wahrnehmbare Beat-Entwürfe.
Trent Reznor und ein Piano, wie sie in zarter Liaison alte Stücke wie „Hurt“
oder „A Warm Place“ sowie einige neue Songs intonieren. Vollkommen reduziert,
entblättert bis auf die kompositorischen Knochen und mit einer Tiefe und
Dynamik, die beweist, dass Nine Inch Nails nicht laut, brutal oder ungestüm
sein müssen, um einem einen Schauer nach dem anderen über den Rücken zu jagen.
Ist das der neue Weg? Nine Inch Nails unplugged, mit Klavier und akustischer
Gitarre?
„Ich wollte nur mal die Systeme
ganz runterfahren, die Dinge simpel präsentieren. Einige Songs davon haben wir
aufgenommen, und ich dachte mir, dass sie eine gute Ergänzung zu der Live-CD
abgeben würden. Es ist die Platte, die du an einem Sonntag auflegst, wenn es
draußen regnet und du es schön findest, allein und melancholisch zu sein.“
Bis es Zeit für Neues ist, müssen
Fans eine längere Phase mit „And All That Could Have Been“ überbrücken — zumal
sich Reznor inzwischen für vieles interessiert, das mit Musik nicht das
Geringste zu tun hat. Denn, so gibt er abschließend zu Protokoll, „ich
interessiere mich sehr für Licht-Design. Ich finde es unbeschreiblich, was man
mit Licht alles kreieren kann. Außerdem schreibe ich sehr viel.
Kurzgeschichten, Drehbücher, alles Mögliche. Ich finde Schreiben sehr
befreiend. Man kann einfach laufen lassen.“ Und dann offenbart er gleich noch
ein weiteres Geheimnis:
„Ich mag jede Form von
Wassersport. Wasserski, Jetski, Kitesurfing. Es ist gut auf dem Wasser zu sein.
Aber erzähl das keinem weiter.“ Warum nicht? Angst ums Image? „Naja, ich fänd‘
eine Fotomontage von mir auf dem Surfbrett irgendwie nicht so passend.“
Da hat er Recht: Der König der
musizierten Zwangsjacke als blondgelockter Sunnyboy käme nicht wirklich gut.
Selbst wenn er inzwischen himmelblaue Häuser mag: Ein bisschen Düsternis muss
sein.
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