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Jahr 2002

 

Zillo

 

Februar 2002

 

Die Stille als Neubeginn

 

Autor: Sascha Krüger

 

 

 

Zillo, Februar 2002, S. 38 – 40 (Teil 1 des Interviews)

Zillo, März 2002, S. 42 – 43 (Teil 2 des Interviews)

Teil 1:

Die Stille als Neubeginn

Trent Reznor bleibt sich treu. Er macht weiterhin nur das, was er für richtig hält und überrascht den Fan damit erneut auf ganzer Linie. Denn das neue Doppelalbum von Nine Inch Nails ist weit mehr als eine profane Liveplatte seiner letzten Tour. Was dahinter steckt, wie es ihm geht und was man künftig von ihm erwarten kann, erzählt er beim ausführlichen Interview in seinem Studiokomplex in New Orleans.

Es ist eine ruhige Atmosphäre. Sehr ruhig. Hier, in dem großen alten Haus aus der Jahrhundertwende mit den abgedunkelten Scheiben und den vielen Konzertphotos an den Wänden, entsteht seit einigen Jahren das, was wir als den ganz normalen Reznor’schen Wahnsinn kennen. „The Downwardspiral“ und „The Fragile“ wurden hier aufgenommen, ebenso wie das in einem wilden Drogenfilm zusammen geprügelte „Antichrist Superstar“ von Marilyn Manson. Laut ging es hier zu in der Vergangenheit. Brachial, ungezügelt, oft auch schrill oder unzurechnungsfähig vernebelt durch die unterschiedlichsten Substanzen. Doch jetzt ist vor allem eines: Stille. Fast so „Still“ wie ebenso genannte zweite CD seinen neuen Outputs „And All That Could Have Been“.

Denn eine reine Liveplatte seiner letzten Tour auf den Markt zu werfen, das erschien ihm als zu wenig. Deshalb wollte er ursprünglich auch nur eine DVD veröffentlichen, ebenfalls natürlich eine Doppelte. Mit einem rund 100-minütigen Mitschnitt eines kompletten Konzertes, vielen Bonus-Schnipseln und allerlei exklusivem Fanmaterial. Und sie ist, so man denn im Besitz eines DVD-Players ist, ein echter Pflichtkauf für jeden Nine-Inch-Nails-Fan geworden. Allein schon, weil sie die bislang entscheidendste Zäsur in seinem bisherigen Schaffen und das Ende einer Entwicklung darstellt – aber dazu später mehr.

Und dann kam die Idee für die Doppel-CD. Auf der ersten findet sich ebenfalls ein Live-Mitschnitt, aufgrund der begrenzten Spielzeit von 74 Minuten natürlich leicht gekürzt. So weit, so gut – wäre da nicht die „Still“-CD, auf welcher Reznor einige bereits bekannte und eine Handvoll bisher unbekannter Songs neu intoniert. Oft nur begleitet durch ein verwaistes Piano oder kaum wahrnehmbare Beat-Rudimente, offenbart Trent Reznor hier wieder eine ganz neue Facette seiner einmaligen Genialität. Es ist beachtlich: Dieser Mann ist einfach in jedem Soundkostüm brutal packend, betörend, unausweichlich. Nicht die Lautstärke ist es, die ihn so besonders macht. Auch nicht die Skurrilität seiner Sounds oder die mörderischen Tempi seiner Klanorgane. Nein, es sind die Songs.

„Hurt“ oder „A Warm Place“ sind zum Beispiel zwei dieser ruhigen Gefühlsorgasmen, die man schon kennt und die in ihrer Grundstimmung bereits eine gewaltige Ruhe und suggestive Melancholie verströmen. Doch erst hier, in der Nacktheit von einem Piano und seiner Stimme, zeigt sich, wie wenig es braucht, um eine geradezu unfassbare Dichte und Dynamik zu erzeugen. Sicher könnte man jetzt schmunzeln: Nine Inch Nails goes unplugged, oder was?

Doch davon möchte Reznor nichts hören. „Bei ´unplugged´ muss ich immer an Slash denken, wie er mit seinem Amp und einer Flasche Jack Daniels darauf die Seiten schrammelt. Nein, ich wollte nur mal die Systeme ganz runterfahren, die Dinge simpel präsentieren. Es ist die Platte, die du an einem Sonntag auflegst, wenn es draußen regnet und du es schön findest, alleine und melancholisch zu sein. Es sind einfach einige Songs von früher, die ich sehr mag, einige neue Dinge, und vor allem war es meine Lust, so etwas einfach mal zu machen. Ich habe keine Ahnung, ob das wieder etwas ist, wo ich mich in ein paar Jahren frage, ob es überhaupt irgendeinen Sinn gemacht hat. Aber es schien jetzt einfach der richtige Moment dafür.“

Der richtige Moment – eine wichtige Sache im Leben des Trent Reznor. Auch in puncto Interviews – das kann sonst nämlich schon mal ziemlich schief gehen. Nicht so heute, an diesem sonnigen Wintertag in New Orleans. Trent Reznor sitzt an einem gigantischen Mischpult, nippt an einem Becher Kaffee und scheint bereit zu Fragen.

Zillo: Welche Qualitäten sollte man mitbringen, um eine Einbindung in den NIN-Kosmos zu erfahren?

Trent: Das Wichtigste ist wohl, am richtigen Zeit zu sein, sprich: Wenn ich jemanden mit kreativen Ideen brauche. Ich bin zwar immer auf der Suche nach interessanten Kollaborationen, nach Leuten, die frische Ideen mit an den Tisch bringen. Aber leider treffe ich meistens auf Leute, die versuchen, exakt wie ich zu klingen, und so etwas kann ich überhaupt nicht gebrauchen. Ich brauche Meinungen, Offenheit, Ideen und die Bereitschaft, sich so hart wie möglich ran zu nehmen, um dann zu schauen, was dabei herauskommt. Das ist für mich das größte Experiment überhaupt: an die absoluten Grenzen zu gehen und dann festzustellen, was dabei herauskommt.

Zillo: Wie passt in diesen Kontext die Live-CD „And All That Could Have Been“? Sie ist kein Experiment, sie ist vielmehr ein interessantes, aber auch nicht wirklich neues Erkenntnisse lieferndes Zeitdokument.

Trent: Nun, wir sind in erster Linie dafür bekannt, ein Studio-Projekt zu sein. Als ich vor langer Zeit, nach der Veröffentlichung meines Debüts „Pretty Hate Machine“, daran machte, eine Band zu finden, die aus meinen elektronisch erzeugten Songs spielbare Rockmusik machen sollte, war das ein sehr wichtiger Schritt. Denn ich bemerkte, dass sich meine Musik durch die Interpretation einer Rockband zu verändern begann. Manches war besser, vieles schlechter, aber es war definitiv anders. Deshalb dachte ich mir, dass dieser Gedanke schon wert ist, als Zeitdokument konserviert zu werden, zumal sich viele Songs im Lauf der Zeit in Vibe und Atmosphäre sehr verändert haben. Außerdem wollte ich meiner Band einmal die Chance geben auch auf einer Platte zu beweisen, wie gut sie ist, denn im Studio mache ich ja alles alleine.

Zillo: Damit habt ihr euch eine Menge Mühe gegeben. Der 5.1-Dolby-Surround-Sound, der auf der Live-DVD eingesetzt wird, scheint die Möglichkeiten des derzeit Machbaren einmal voll auszuloten.

Trent: Ja, ich wollte definitiv nicht den üblichen Livescheiß machen, mit einer mittelmäßigen Aufnahme, viel Reverb zugemanscht und ein paar schlechten Vocals nachträglich darüber gelegt.

Zillo: Warum überhaupt dieses Rumprobieren mit der neuen Technologie? Hätte es nicht auch ein professionell aufgenommenes und auf traditionelle Weise abgemischtes Konzert getan?

Trent: Doch, das hätte es, aber die Technik ist nun mal da, und ich wollte sie ausprobieren. Das ist wohl der Wissenschaftler und Klangtüftler in mir, der die Finger von neuen Soundentwicklungen schlecht lassen kann. Es macht mir einfach Spaß zu lernen, wie man mit solchen Dingen umgeht. Ich mag solche Experimente.

Zillo: Könntest du dir vorstellen, diesen Surround-Sound auch auf deine Studio-Arbeit anzuwenden?

Trent: Tatsächlich ist exakt das eine Idee, an der ich derzeit arbeite. Schließlich habe ich gerade mit enormem Aufwand mein Studio für diese Technologie aufgerüstet. Aber ich muss zugeben, dass die Musik, die dabei entsteht, nicht mehr als einen Gimmick-Charakter hat. Es ist interessant, aber nicht wirklich musikalisch wertvoll. Für meine richtige Musik sehe ich vorläufig keinen Nutzen darin.

Zillo: Fühlst du dich auf der Bühne zu hundert Prozent wohl?

Trent: Definitiv nicht. Ich glaube auch nicht, dass meine Musik besonders selbstbewusst ist, in dem sinne, dass sie eine richtige Bühnen-Performance benötigt. Wie Tom Jones zum Beispiel – der Mann und seine Musik gehören auf die Bühne vor Publikum. Ich eigentlich nicht. Deshalb rede ich auch so gut wie nie mit dem Publikum, ich habe ihnen nichts zu sagen, was ich nicht schon mit meiner Musik  sagen würde. Es geht um eine spezielle Form der Spannung, die ich erzeugen möchte, nichts anderes. Und dafür muss ich kein Bühnen-Typ sein. Insofern kann ich ganz klar sagen: Nein, ich mag die Bühne nicht besonders.

Zillo: Ginge das so weit, dass du ganz auf Konzerte verzichten würdest, wenn du die Wahl hättest?

Trent: Das auch nicht, ich mag es, diese Spannung zu erzeugen. Aber natürlich mag ich das Studio deutlich lieber. Du bist viel kreativer, du wirst viel mehr gefordert, dein Gehirn zu benutzen, es kickt einfach auf eine ganz andere Weise. Aber es gibt eine seltsame Schönheit an Konzerten, die ich nicht missen möchte. Nach zwei Jahren konstanter Studio-Arbeit wirkt es schon befreiend, mit deiner Musik einmal raus zu gehen zu den Leuten, die sie mögen.

Zillo: Benutzt du das ganze Make-Up und dein düsteres, abgerissenes Bühnen-Outfit, um dich dahinter zu verstecken und nicht zu viel von dir Preis zu geben?

Trent: Wahrscheinlich, unterbewusst. Ursprünglich war der Gedanke lediglich, so unglamourös wie möglich zu wirken. Aber näher betrachtet macht es schon Sinn, dass ich mich damit hinter einer Maske zu verstecken suche.

Zillo: Ich habe gelesen, dass dir Tourneen deshalb so große Probleme bereiten, weil du durch die Intensität deiner musikalischen Darbietung die Angst hast, jede Form von Intimität und Privatsphäre zu verlieren.

Trent: Du machst mir gerade ein bisschen Angst.

Zillo: Wieso das denn?

Trent: Weil du mit Themen kommst, die mich dazu bringen, über Dinge nachzudenken, die ich sonst eher vermeide. Wer weiß, was da alles hoch kommt.

Zillo: Ich fasse das jetzt mal als Kompliment auf. Wie ist es denn nun? Sehen wir auf der Bühne den wahren, sozusagen emotional entblößten Trent Reznor, oder doch eher einen Bühnen-Entwurf desselben?

Trent: Eine wirklich interessante Frage. Mal sehen: Als ich damals anfing, mit meiner Musik auf die Bühne zu gehen, fand ich das sehr aufregend, und manchmal ist es auch heute noch so. Dieser Umstand, dass ich die Musik, die ich in absolut privaten, verletzlichen Momenten zu Hause auf meinem Notebook geschrieben hatte, plötzlich mit sehr vielen Menschen geteilt habe, und es trotzdem funktionierte, war schon erstaunlich. Meine Songs waren nichts anderes als meine Musik gewordenen Eingeweide, mit all meinen Unsicherheiten, Zweifeln, Depressionen. Und plötzlich sah ich Menschen, die mir meine Texte einfach zurück schrieen, und ich bemerkte, dass sie auch anderen etwas bedeuten, ich weiß zwar nicht was, aber das spielt auch keine Rolle.

Zillo: Glaubst du, sie wissen, was sie für dich bedeuten?

Trent: Nein, und ich werde einen Teufel tun und euch das sagen. Doch das ist, wie gesagt, egal, es ging nur darum, dass Menschen überhaupt etwas durch meine Musik empfinden. Das führte dazu, dass ich mich lange völlig verausgabt habe, um immer wieder dieses Feedback zu bekommen. Doch mit der Zeit bemerkte ich, dass da ein Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen herrscht, denn eine halbe Stunde nach dem Konzert saß ich alleine in einem Backstage-Raum und fühlte mich nackt bis auf die Knochen, und alle anderen waren wieder zu Hause in ihrem aufgeräumten Leben und hatten mit mir eine gute Zeit. Ich hatte das Gefühl, der einzige zu sein, der sich nach diesem Energie-Austausch superalleine fühlt. Dagegen musste ich etwas unternehmen, und deshalb versteckte ich mich inzwischen lieber hinter einer kleinen Maskerade.

Zillo: Viele greifen in solchen Situationen zu Drogen, um diesen Moment des Hochgefühls weiter auszukosten.

Trent: Das habe ich auch getan, lange, oft und viel. Aber das ist auch nur ein Hinauszögern des Problems. Wobei: Das sage ich jetzt, wo ich clean bin. Das war auch mal anders.

Zillo: Es scheint irgendwie dazu zu gehören, wenn man erfolgreich wird, dass man eine Zeit lang eine Menge Drogen nimmt.

Trent: Ja, so ist es wohl. So war es zumindest bei mir. Es war aber auch zu skurril: Erst wollte niemand etwas mit mir zu tun haben, alle fanden mich abstoßend. Und plötzlich bist du erfolgreich, dein ganzes Leben ist eine einzige Party, alle wollen mit dir zusammen sein, von deinem Glanz profitieren. Und ich habe ein grundsätzliches Problem damit, viele Menschen um mich herum zu haben. Das war die Hölle für mich! Insofern habe ich eine Zeit lang keinen anderen Ausweg gesehen, als alle ernsthaften Gefühle abzutöten und die Dinge einfach passieren zu lassen. Es gibt vieles, was ich aus dieser Phase meines Lebens bereue, es war ein sehr selbstzerstörischer Lifestyle. Aber gleichzeitig bin ich froh, da durch gegangen zu sein, denn es stärkt dich, mit Dingen abzuschließen. Es zeigt dir deine wahre Natur, wenn es dir gelingt, der Versuchung zu widerstehen.

Zillo: Dazu gehört aber auch eine Menge Selbstvertrauen. Es ist sicher schwierig, sich selber aus einer solchen Situation zu befreien.

Trent: Natürlich ist es das, aber andererseits geht es nur, indem du auf deine eigene Stimme hörst. Wenn du immer nur auf das hörst, was andere dir sagen, verwandelst du dich in ein egozentrisches Monster, das sich selber für den Größten hält. Andererseits: Wenn du dich vollkommen abschottest, dann fragst du dich irgendwann: „Sollte ich nicht wenigstens versuchen, meinen Ruhm und die damit einher gehenden Begleiterscheinungen ein bisschen zu genießen? Ist es falsch, Spaß am Erfolg zu haben?“ Ich denke nicht, und so verfahre ich inzwischen auch. Wenn du jedoch dabei alles nur im Drogenfilm erlebst, wird nichts besser und vieles nur schlimmer, bis dann irgendwann der Damm bricht und alles zu spät ist. Da habe ich glücklicherweise rechtzeitig den Absprung geschafft, obwohl: Es war knapp.

Zillo: Das Schlimmste hast du demnach hinter dir. An welchen Facetten deiner Persönlichkeit glaubst du jetzt noch arbeiten zu müssen?

Trent: Ich hoffe, dass ich irgendwann eine Person bin, die sich in jeder Situation des Lebens in seiner Haut wohl fühlt. Davon bin ich noch sehr weit entfernt, und ich beneide Menschen, die den Eindruck vermitteln, immer exakt das Richtige zu tun und sich wohl dabei zu fühlen. Ich komme inzwischen ehr viel besser mit mir zurecht, aber ich habe noch einen weiten Weg vor mir, bis ich von mir sagen kann, ein selbstbewusster, überzeugender, liebenswerter Mensch zu sein.

Zillo: Gibt es Musiker, deren Entwicklung dir als Inspiration dient?

Trent: Radiohead sind ein gutes Beispiel. Ich war nie ihr größter Dan, bis ich zum ersten Mal „Kid A“ hörte. Sie beweisen Mut. Sie geben etwas auf, dass absolut nicht schlecht war, um etwas ganz besonderes zu machen, was viele vor den Kopf stoßen könnte. So etwas finde ich bemerkenswert. Oder David Bowie. Er hat immer gemacht, was er wollte: „ihr mögt meine neuen Sachen nicht? Tut mir leid, darauf kann ich keine  Rücksicht nehmen. Ich muss weiter kommen“.

Zillo: Fassen wir deine aktuelle Gemütsstimmung zusammen: Die exaltierte „Ziggy Stardust“-Phase ist vorüber, wir müssen auf alles gefasst sein.

Trent: So sieht’s wohl aus. Aber ich finde, es ist auch langsam an der Zeit, etwas komplett Neues anzufangen, ich bin kein jugendfreundlicher Rüpel mehr. Und ehrlich gesagt frage ich mich auch, ob ich mich von manchem nicht schon viel früher hätte verabschieden sollen. Aber das fällt schwer – ich mochte diese Ära, und die meisten Songs mag ich noch immer. Aber jetzt freue ich mich auf Neues.

Sascha Krüger

Kontakt:

www.motor.de

www.nin.com

 

Teil 2 des Interviews in der nächsten Ausgabe: Trent Reznor über sein Image, seiner größten Ängste, Musik mit Tiefgang, seiner privaten Vorlieben, seine größte Liebe. Und über Lebensziele, Autopiloten, Eitelkeit und Wassersport.

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