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Jahr 2004

 

 

 

Orkus

Februar 2004

Danny Lohner & NIN

 

Produktive Promiskuität

Michael Schäfer

 

 

Eigentlich ist er Gitarrist bei den Nine lnch Nails. Aber schon in der Vergangenheit ist Danny Lohner fremdgegangen. So arbeitete er bereits mit Rob Zombie zusammen und war auch für A Perfect Circle tätig. Je mehr Zeit seit der letzten Veröffentlichung von Nine lnch Nails verstrich, desto langweiliger wurde es Danny. So kam es, dass er ein Seitenprojekt gründete. Ein weiteres kam hinzu, und plötzlich gab es derer drei. The Damning Well, Puscifer und Renholder nennen sich seine neuen musikalischen Spielwiesen. Alle drei sind auf dem Soundtrack des Horrorfilms Underworld vertreten. Muss noch erwähnt werden, dass Danny den gesamten Soundtrack produzierte?

 Bei den Nine Inch Nails ist der quirlige Amerikaner schon seit gut zehn Jahren mit dabei. Neben den bereits erwähnten Nebentätigkeiten arbeitete Danny außerdem für Everlast und Marilyn Manson. Auch fertigte er Neuabmischungen für Eminem und U2 an. Tapeworm, dieser Name hat mittlerweile schon eine mystisch verklärte Färbung angenommen und geistert seit Jahren im Untergrund umher. An jener Band beteiligen sich die beiden Inchies Trent Reznor und Danny. Weiterhin involviert sind James Maynard Keenan (Sänger von Tool und A Perfect Circle( sowie Atticus Ross (Mitglied der auf Trent Reznors Nothing Label erscheinenden Trip Hopper 12 Rounds). Danny bestätigt selbstironisch:

 "Ja, diese Band existiert wirklich, auch wenn es nicht den Anschein haben mag. Wir trödeln schon seit Jahren herum. Hier ein Song, dort ein Studiotermin... Nun ja. Aber: Seit Juni 2002 gehen wir konzentrierter zu Werke. Und welch Wunder: Wir haben mittlerweile das Album komplett! Als es dann ans Abmischen gehen sollte, tunkten uns wieder die Aktivitäten von A Perfect Circle und NIN dazwischen. Seitdem ist auch schon wieder ein Jahr vergangen. Wir werden sehen…"

Natürlich klingen Tapeworm nicht zu sehr nach Nine lnch Nails, wobei: Einige "Werkzeuge" - wie Danny sich ausdrückt -wurden durchaus entliehen. Das heißt: "Tapeworm klingen minimalistischer, direkter und mehr auf den Punkt gebracht. Es ist eben eine richtige Rockband", lautet die knappe Umschreibung.

Tapeworm scheinen Dannys noch ungeborenes Kind zu sein. Die Vaterschaft der -- Nine lnch Nails hat hingegen seit jeher Trent Reznor inne. Ist also Danny "nur" Trents Handlanger, der das zu spielen hat, was der Chef vorgibt?

"Uff, äh, ja …" der saß.

 War aber nicht so gemeint, Herr Lohner. Wir unterhalten uns ja nur im Dienste der Musikgeschichte. Dann, Äonen später:

 "NIN ist Trents Baby, keine Frage. Aber er lässt mich schon. Doch, doch. Ich darf ein bisschen programmieren. Gitarre und Bass spiele ich ja auch. Selbst einige meiner Kompositionen wurden in die Lieder integriert. Trotzdem ist meine Rolle eher schwebend, undefinierbar. Es handelt sich eben nicht um eine konventionelle Band. Generell lässt sich sagen, dass alles mehr oder weniger nach Trents Vorstellungen vonstatten geht. Dennoch: Er ist offen für Vorschläge, undd manchmal geht er sogar auf sie ein…" gewährt Danny Einblick.

 Das kann zuweilen ein bisschen unbefriedigend sein, oder?

 "Kann es, durchaus. Aber es ist eine Ehre, mit Trent zusammen arbeiten zu dürfen. Er ist ein Genie. Das, was er erschafft, gehört mit zum Besten, was die zeitgenössische Musik zu bieten hat" duftet es benebelnd nach Weihrauch aus dem Hörer. Und jetzt kommt's: "Die Nine Inch Nails werden wohl schon Anfang 2004 ein neues Album herausbringen. Ich kann schon jetzt sagen, dass das neue Material weniger vielschichtig, simpler, direkter und teilweise härter ausfallen wird. Aber eigentlich ist das ja ganz normal. "The Fragile" war eben eher introvertiert und melancholisch. Trent ist allerdings unberechenbar. Wer weiß, was er noch alles abändern wird. Deshalb möchte ich meine Aussage nur unter Vorbehalt als zutreffend bezeichnen. Das gilt auch für den Erscheinungstermin!"

 Zeit hat man reichlich, wenn man Mitglied der Nine lnch Nails ist. Es kann Monate dauern, bis Trent Reznor die Winzabschnitte eines Songs so hingeschraubt hat, dass sie perfekt ineinander passen. Währenddessen wartet Danny auf seinen Einsatz. irgendwann macht sich Langeweile breit. Die Konsequenz: Danny vertreibt sich die Zeit anderweitig und wird kreativ.

 "Wenn ich die Möglichkeit habe, mit interessanten Musikern zusammenzuarbeiten, packe ich die Gelegenheit beim Schopfe", streicht Danny den praktischen Nutzen der Warterei hervor. Irgendwann droht man jedoch den Überblick zu verlieren. Vergisst man mitunter, für welche Band welches Riff gedacht war, wenn man sich - was das musikalische Fremdgehen anbelangt - zu promiskuitiv gebärdet?

 "Das kann passieren", lacht Danny in einem Ton, als wäre ihm gerade eben erst mit dieser Frage das angesprochene Problem ins Bewusstsein getreten. Nach dem Motto: "Jetzt, wo du's sagst…' Aber Dannys Devise lautet: Lieber in Arbeit ertrinken, als Pleite zu gehen. Recht hat er. Solange hierbei so interessante Geschichten wie auf dem Underworld-Soundtrack herauskommen, darf er gerne zum Workaholic werden.

 Das erste Projekt, bei dem Danny seine Finger mit im Spiel hatte, nennt sich The Damning Well. Zum Team gehören der A Perfect Circle Schlagzeuger John Freese, der ehemalige Limp Bizkit-Gitarrist Wes Borland und der Filter-Sänger Richard Patrick. Das präsentierte Stück Awakening ist zwar eher durchschnittlich, die Kombination der beteiligten Musiker ist hingegen umso interessanter. Von einer richtigen Band ist indes nicht zu sprechen.

 " Es gibt vier Lieder. Dasjenige, welches auf dem Soundtrack zu hören ist, wurde speziell für den Film angefertigt. Es ist eine Auftragsarbeit. Der Rest entstand eher beiläufig, klingt aber interessanter. Derzeit ist The Damning Well eher als Freizeitbeschäftigung zu sehen, die bisher keine ernsthafteren Ziele verfolgt", gibt Danny Auskunft.

 Übrigens war Richard Patrick vor gut einem Jahrzehnt Gitarrist bei den Nine lnch Nails. Danny ist also Richards Nachfolger. Seitdem ist man befreundet. Wes Borland traf Danny rein zufällig im Instrumentenhandel. Man kam ins Gespräch und blieb in Kontakt. Das Gespann Keenan/Lohner tritt auf dem Soundtrack als Puscifer in Erscheinung. James Maynard Keenan ist Opfer des gleichen Phänomens wie Danny. Auch Tool sind bekanntlich nicht gerade eine Band die oft und regelmäßig Platten veröffentlicht. So wird es auch Maynard auf die Dauer langweilig.Deswegen startete er A Perfect Circle und betreibt zusammen mit Danny Puscifer.

 "Maynard möchte so viel mehr zum Ausdruck bringen. Dazu reichen Tool einfach nicht aus. Es bietet sich für ihn regelrecht an, zwischen den rar gesäten Tool-Alben etwas anderes auszuprobieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass er Tool vernachlässigen würde. Tool ist und bleibt sein Hauptbeschäftigungsfeld. Puscifer ist eben auch eine Art Spielwiese, auf der experimentiert wird. Aber wer weiß, irgendwann werden wir vielleicht doch eine vollständige CD vorlegen." Der Name Puscifer an sich vermischt Satanisches mit Sexuellern. "Das ist auf Maynards Mist gewachsen", entbindet sich Danny jeglicher Erklärungspflicht.

 Ebenso verhält es sich mit dem Stück Rev 22:20, das auf Underworld zu finden ist. 222 ist bekanntlich ein Drittel von 666. Zufall? "Natürlich nicht!", lacht Danny verschmitzt. "Maynard hat in der Bibel geblättert und fand in der Offenbarung 22:20 etwas über die Rückkehr Jesu. Jesus kommt sozusagen", winkt Danny mit dem Zaunpfahl und lacht ob seiner sexuellen Anspielung noch dreckiger.

 Renholder - hinter diesem auf dem Soundtrack erscheinenden Projekt verbirgt sich Danny im Alleingang. "Ich komponiere auch klassische Filmscores, welche dazu dienen, die Atmosphäre gewisser Filmpassagen zu unterstreichen. Renholder ist nichts Besonderes. Mein Auftraggeber wollte es eben mit auf der Compilation haben. Die Renholder-Stücke wirken allerdings ohne den begleitenden Film eher blass und unfokussiert. Spricht man das Wort Renholder rückwärts, beinhaltet es meinen Familiennamen. Das war wieder einer von Maynards Scherzen. Auf dem Debut von A Perfect Circle gibt es übrigens auch ein Lied mit dem gleichen Titel. Das ist eben mein Spitzname." Von Renholder ist auch eine Neuabmischung des A Perfect Circle-Songs Judith auf dem Soundtrack enthalten. Hier regiert nun der Industrial aber auch der Trip Hop und vor allem Björk scheinen inspirierend zur Seite gestanden zu haben. "Gut möglich, dass man das heraushört", stimmt Danny zu. "Ich mag Björk, Aphex Twin und Portishead. Definitiv! Bewusst verarbeite ich diese Einflüsse jedoch nicht."

 Michael Schäfer 

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