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Mai 2005

Nine Inch Nails - Die Abrechnung

von Marcel Anders

 

Fünf Jahre nach dem ehrgeizigen "The Fragile" wagt NIN-Mastermind Trent Reznor ein vergleichsweise bescheidenes Comeback - mit einem simplen, neuen Album und offenherzigen Bekenntnissen in Sachen Drogen, Ego und Geld.

 Das Mondrian Hotel am Sunset Boulevard von Los Angeles. Schneeweißer Designer-Chic, in den Trent Reznor so gut hineinpasst wie ein Eisbär in die Sahara. Der Mann ist käsebleich, trägt pechschwarzes Haar zu schwarzen Klamotten und fühlt sich angesichts eines zweitägigen lnterview-Marathons sichtlich unwohl. Aus gutem Grund:

 "Ich rede einfach nicht gern über mich," kommt es aus dünnen, schmalen Lippen "Insbesondere das, was ich heute zu sagen habe, fällt mir nicht gerade leicht: Ich bin nämlich clean, aber pleite.", lässt er die Katze aus dem Sack - und nutzt dieses Gespräch zu einem halbstündigen Seelenstriptease, der an eine AA-Sitzung erinnert: "Hi, mein Name ist Trent, ich bin ein Junkie." Denn genau nach diesem Motto rollt der Mann, der in den 90ern den Industrie-Rock zum Massenphänomen machte, seine Sinnkrise auf.,, Es war 2001, als ich eines Morgens aufwachte und erkannte: Ich bin ein Alkoholiker und ein Drogenabhängiger; wenn ich jetzt nichts dagegen mache, werde ich daran krepieren. Ganz einfach, weil ich in miserabler körperlicher Verfassung war. Ich hatte etliche Probleme, vor denen ich jahrelang weggelaufen war, außerdem keine Beziehungen, keine Freunde, sondern nur die Musik. Obendrein war ich mit der nicht mal sonderlich zufrieden. Also habe ich eine zweijährige Auszeit genommen, um wieder mit mir selbst klarzukommen."

 Wobei er dann feststellen musste, dass von den Millionen, die er in den 90ern verdient hatte, nichts geblieben ist.

 "Mein Manager, mit dem ich fast 20 Jahre zusammengearbeitet habe, hat mich ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Das zu erkennen, tut verdammt weh," zischt er. "Ich habe immer gedacht, mir könne so etwas nicht passieren. Aber jetzt bin ich genau der dumme Rockstar, über den ich immer gelacht habe. Ich habe mich nach Strich und Faden verarschen lassen - obendrein habe ich auch noch artig danke gesagt. Deswegen führe ich gerade einen Prozess, bei dem es fast so dreckig zugeht wie bei einer Scheidung."

 Wovon er sich eine Nachzahlung von rund 20 Millionen US-Dollar erhofft. Die Reznor, daraus macht er keinen Hehl, gut gebrauchen kann. Schließlich unterhält er mit 'Nothing Records' ein Label, auf dem kaum etwas passiert, sein Studio samt Personal verschlingt Unsummen und sein letztes Album "The Fragile" von 1999 blieb weit hinter den Erwartungen zurück.

"Was die Sache nicht leichter macht", so Trent. Denn er braucht dringend Geld für Anwälte, Musiker oder natürlich auch für das neue Album, das er im kompletten Alleingang aufgenommen hat. "With Teeth" enthält 13 Stücke, die nur noch wenig mit den epischen Klanggemälden des Vorgängers zu tun haben, sondern laut Trent "richtige kleine Songs" sind. Sie kommen deutlich abgespeckter daher, sind nicht mehr so überladen, sondern stellenweise überraschend simpel und einfach gehalten. Etwa "Only", ein verspieltes Stück 80er Jahre-Synthiepop, das an frühe Pet Shop Boys oder Human League erinnert. "Früher hätte ich nie gewagt, so etwas zu veröffentlichen.", gibt Trent unumwunden zu.,, Ich hätte Angst gehabt, dass es nicht tough genug klingt und man mich deshalb auslacht. Schließlich hatte ich ein bestimmtes Image - dem ich alle Ehre machen wollte. Genau das war mein Fehler." Eine unverhoffte Abrechnung mit dem sorgsam gepflegten Ruf des exzentrischen "Prinzen der Finsternis', den Reznor inzwischen als Monster bezeichnet. "Ich habe etwas gelebt, was ich nicht bin, und das hat mich zu diesem todkranken, unglücklichen Menschen gemacht."

 Was nicht heißt, dass er nun, da er geläutert ist, das exakte Gegenteil davon wäre. Trent lacht selten bis kaum, verzieht den Mund allenfalls mal zu einem spöttischen Grinsen, betont aber, viel ausgeglichener und optimistischer zu sein.

 ,,Ich versuche mein Leben zu genießen. Dafür wird es mit fast 40 ja auch langsam Zeit, sinniert er. "Was aber nicht heißt, dass ich mit irgendwelchen exotischen Sportarten anfange. Viel mehr will ich wieder Musik machen, die mir selbst etwas gibt und die nicht nur versucht, einem Image oder einem vorformulierten Sound gerecht zu werden. Ich tue nur noch, was mir gefällt."

 Worunter Trent aber nicht nur 80s Pop versteht, sondern auch wieder wütenden, grollenden lndustrial-Rock, in dem er gezielt mit seinem früheren Ich, mit falschen Freunden und der Welt an sich abrechnet. Damit geht er in diesen Tagen auf Tournee. Mit seiner neuen Band um Jeordie White (aka Twiggy Ramirez), Alessandro Cortini, Jerome Dillori und Aaron North beackert er zunächst amerikanische Clubs, dann europäische Festivals, später mittelgroße deutsche Hallen "Wir lassen es ganz locker angehen', so Trent ‚Damit meine ich ohne wilde Partys oder wüste Exzesse. Es geht einzig allein um die Musik und um ca. 25 Stücke, an denen ich richtig Spaß habe. Schließlich will ich die Sache überleben." Eine weise Entscheidung.

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