Nachdem Trent Reznor 1994 den Industrial-Meilenstein „The
Downward Spiral" aufgenommen hatten, brach der Erfolg geradezu über ihn herein.
So überraschend, dass es mit seinem Leben und seinem Selbstbewusstsein stetig
bergab ging - hinab in seine eigene Abwärtsspirale. Die Düsternis vom Album „The
Fragile" (1999) war schließlich ein Ausdruck dieser Entwicklung. Fast sechs
Jahre hat es nun gedauert bis der Industrial-Großmeister mit „With Teeth" wieder
ein neues Studioalbum ins Silicium geritzt hat.
Gewichen sind die überschäumenden Effektlawinen und
einsamen düsteren Abgründe des Vorgängeralbums. Mittlerweile hat Reznor die 40
überschritten und sich mit zunehmenden Alter auch ruhigeren und reiferen
Songstrukturen gewidmet, ohnezu vergessen, an manchen Stellen seine Reißzähne
anzuspitzen, um zuzubeißen, die braven Arrangements aufzubrechen. So pulsieren
seine Stücke zwischen kargen melancholischen Pianomelodiepassagen und
unbändigen Industrial-Rock, der an auserwählten Stellen noch mit einem Hauch
Synthie-Pop bestäubt wird. Filter fahren harsch in die Sättigung, reiben an der
heiligen Dynamikgrenze, Röhren-Signale der Preamps glühen und machen sich
bereit, um mit Reaktor-Plugins und Bitcrushern digital degradiert zu werden.
Störsignale werden hingebungsvoll in wundersame endlose Ambient-Teppiche
verwandelt, über denen melancholische Vocals schweben.
Wir haben den medienscheuen Recording-Artist zu seinem
neusten Produktion und seinen Lieblingstools befragt.
Mit der Produktion Deines neusten Albums „With Teeth" bist Du
gerade fertig geworden. Bist Du glücklich?
Trent Reznor: Oh ja, das bin ich (lacht). Es hat gar nicht so
fürchterlich lange gedauert, dieses Album aufzunehmen, auch wenn es von außen
betrachtet anders aussehen mag. Formell habe ich im Januar 2004 begonnen, die
Songs dafür zu schreiben, und im Mai hatte ich bereits den größten Teil davon
notiert - etwa 20 Stücke. Im Sommer haben wir es dann aufgenommen und im Herbst
abgemischt. Dieser Anteil, nämlich die eigentliche Erstellung des Albums, ging
also recht flott über die Bühne.
Dabei hast Du zum Teil hier in Los Angeles und zum Teil in
Deinem Studio in New Orleans gearbeitet...
Reznor: Ich habe mir gleich im Januar in Los Angeles ein Haus
gemietet und mir dort eine Art 4-Track-Studio eingerichtet. Und dann habe ich in
einer sehr disziplinierten Art und Weise, die für mich eher ungewöhnlich ist,
geschrieben - nicht in einem richtigen Studio, sondern im Grunde nur an einem
Piano. Und nachdem ich erst einmal mit dem Schreiben begonnen hatte,floss es
einfach nur so aus mir heraus.
Danach bin ich mit den Tracks, die dabei entstanden
sind,zurück in mein Studio in New Orleans gegangen, um sie dort ein wenig
aufzufrischen. Und ich habe meinen Schlagzeuger Jerome Dillon und auch Dave
Grohl auf ein paarTracks spielen lassen. Jerome in New Orleans und Dave hier in
Los Angeles. Später gab es noch eine Session in New Orleans, um ein paar Dinge
abzurunden. Und schließlich habe ich das Album mit Alan Moulder (Smashing
Pump-kins) im vergangenen November in Los Angeles abgemischt. Das war's.
Mit welchem Equipment hast Du bei den Aufnahmen
gearbeitet?
Reznor: Ich besitze zwar eine Unmenge an Gitarren und Bässen,
überhaupt Equipment, aber wenn es an die Aufnahmen geht, greife ich doch sehr
häufig zu meiner Gibson ES-335, der Fender Jaguar und einem Diezel Gitarren-Amp,
vier Kanäle, in Stereo geschaltet. Alternativ auch mal zu einem Fender Champ.
Etwa 90 Prozent des Albums wurden mit diesem Equipment aufgenommen.
Mit Effekten bist Du aber auch nicht sparsam.
Reznor: Meine Musik schreit ja förmlich nach besonderen
Effekten. Ich besitze etwa eine Million Distortion-Pedale und wahrscheinlich
jedes käuflich erwerbbare, andere Effektpedal dieses Planeten. Natürlich nutze
ich sie auch, aber darüber hinaus habe ich fast konstant Reaktor von Native
Instruments wie ein Gitarrenpedal genutzt. Dieses Programm hat so unendlich
viele verschiedene Sounds, die sich mit keinem Pedal der Welt erzeugen lassen.
Man nimmt die Gitarre, stöpselst sie in die Direct Box ein, gehst von dort in
die Software und dann in den Verstärker - ganz so, als wäre der Computer ein
Pedal. Man kann also die klassischen Pedale und diese Software miteinander
kombinieren. Das gibt einem die Möglichkeit, einen ganz eigenen, sehr
ausdifferenzierten Low-Tech-Distortion-Sound zu kreieren, während sich der Amp
aber verhält, als wäre er nur mit ein paar ganz normalen Pedalen
zusammengeschlossen.
Die Auflösung und Latenz von Computern ist inzwischen hoch
genug, dass keine Verzögerung bei der Übertragungsrate des Signals entsteht. Das
war einer der Tricks, den wir auch sehr häufig für den Bass genutzt haben. Für
diesen war das Sound-Setup noch straighter: ein Ampeg Röhrentop, ein Ampeg
Cabinet und schließlich Reaktor.
Hast Du Deine Arbeitsweise für diese Album geändert?
ReznorTrotzall meiner Effekte,die ich besitze, bin ich
inzwischen weit weg gegangen von diesem endlosen Experimentieren mit
verschiedenen Sounds.Wer das neue Album hört, versteht auch warum: Es hätte
nicht dazu ge-passt. Es ist kein Sound-Album, es ist ein Song-Album. Um den
Songs Raum zum Atmen zu geben, muss der Sound zurückstecken. Er ist Beiwerk, er
ist ein hübscher Anzug, aber nicht mehr der Fokus meiner Musik. Die am
häufigsten zu hörenden Instrumente auf dem Album sind ein echtes Schlagzeug,
nicht getriggert,ein grundsätzlich und gründlich verzerrter Bass und die
Gitarren wie beschrieben. Dazu ein paar monofone Synthesizer, wie der Moog
Voyager und einige Synth-Pluglns, die durch extrem laut aufgerissene
Gitarren-Amps gejagt werden. Dadurch klingen viele der Keyboard-Sounds wie eine
Gitarre - oftmals kann man das kaum noch auseinander halten. Was mir jetzt, wo
wir die Songs live einstudieren, auch Probleme bereitet, weil ich mich nicht
mehr erinnern kann: War das jetzt eine Gitarre oder ein Synthie?
Der Grundgedanke war, dem Album ein live gespieltes, fühlbar
authentisches, garagiges Gefühl zu verleihen. Weshalb wir fast alle Instrumente
sofort live mit Mikros aufgenommen haben, anstatt mit den Instrumenten direkt
ins Pult zu gehen, wie ich es früher gemacht habe.
Du hast erwähnt, dass du die meisten Songs am Piano
geschrieben hast...
Reznor: Ich habe mit dieser Platte einen ganz anderen Ansatz
ans Songwriting gefunden. Es ging ja wirklich um Song-Songs, keine aufwendig
geschichteten Sound-Berge, in die ich nachträglich versuche, einen Song, eine
Melodie oder Struktur einzuarbeiten. Früher saß ich da, habe Klänge designt, und
wenn mir einer gefiel, habe ich versucht, herauszufinden, wie der Song zum
Sound klingen könnte. Dieses Mal wollte ich wirkliche, echte Songs. „Getting
Smaller" entstand ganz klassisch auf der Gitarre, doch die meisten anderen
schrieb ich am Piano. Das fällt mir einfach leichter.
Und doch hat die Gitarre als Kompositions-Instrument für mich
einen ganz besonderen Reiz: Da ich über das Klavierspielen so gut Bescheid weiß
und die Gitarre andererseits nur sehr rudimentär beherrsche, geraten die am
Piano geschriebenen Stücke natürlich immer sehr durchdacht - mein Wissen über
Harmonien und Akkordlehre ist bei diesem Instrument ziemlich ausgefeilt, und das
merkt man am Ergebnis. Gitarre hingegen habe ich nie wirklich erlernt: Ich bin
ein absoluter Autodidakt - und dazu noch ein schlechter. Insofern spiele ich
Gitarre lediglich nach Gehör, nicht nach Noten oder Harmonielehre, und es gibt
Songs, bei denen mir die Naivität dieses Ansatzes sehr gut gefällt. Ich habe
oftmals nicht die geringste Ahnung, wie der Akkord heißt, den ich da gerade
greife, aber ich greife ihn aus dem Gefühl heraus, und er passt perfekt in den
Song, der gerade entsteht. Das hat nichts mit Faulheit zu tun - ich finde es
einfach schön, diese zwei völlig gegensätzlichen Ansätze mit den beiden
Haupt-Kompositionsinstrumenten zu verfolgen.
Die Technik,die man beherrscht, kann dem Gefühl eines Songs
oftmals im Wege stehen. Da ist es gut, zumindest auf einem Instrument überhaupt
keine Technik zu haben.
Das Interview führten S. Krüger
und M.Tschernek/jb