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Jahr 2005

Danke, Mothergarage, für die Übersendung des Textes!

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Juli 2005

Interview: S. Krüger und M. Tschernek/jb

 

 

Nachdem Trent Reznor 1994 den Industrial-Meilenstein „The Downward Spiral" aufgenommen hatten, brach der Erfolg geradezu über ihn herein. So überraschend, dass es mit seinem Leben und seinem Selbstbewusstsein stetig bergab ging - hinab in seine eigene Abwärtsspirale. Die Düsternis vom Album „The Fragile" (1999) war schließlich ein Ausdruck dieser Entwicklung. Fast sechs Jahre hat es nun gedauert bis der Industrial-Großmeister mit „With Teeth" wieder ein neues Studioalbum ins Silicium geritzt hat.

 Gewichen sind die überschäumenden Effektlawinen und einsamen düsteren Abgründe des Vorgängeralbums. Mittlerweile hat Reznor die 40 überschritten und sich mit zunehmenden Alter auch ruhigeren und reiferen Songstrukturen gewidmet, ohnezu vergessen, an manchen Stellen seine Reißzähne anzuspitzen, um zuzubeißen, die braven Arrangements aufzubrechen. So pulsieren seine Stücke zwischen kargen melancholischen Pianomelodiepassagen  und  unbändigen  Industrial-Rock, der an auserwählten Stellen noch mit einem Hauch Synthie-Pop bestäubt wird. Filter fahren harsch in die Sättigung, reiben an der heiligen Dynamikgrenze, Röhren-Signale der Preamps glühen und machen sich bereit, um mit Reaktor-Plugins und Bitcrushern digital degradiert zu werden. Störsignale werden hingebungsvoll in wundersame endlose Ambient-Teppiche verwandelt, über denen melancholische Vocals schweben.

 Wir haben den medienscheuen Recording-Artist zu seinem neusten Produktion und seinen Lieblingstools befragt.

 Mit der Produktion Deines neusten Albums „With Teeth" bist Du gerade fertig geworden. Bist Du glücklich?

 Trent Reznor: Oh ja, das bin ich (lacht). Es hat gar nicht so fürchterlich lange gedauert, dieses Album aufzunehmen, auch wenn es von außen betrachtet anders aussehen mag. For­mell habe ich im Januar 2004 begonnen, die Songs dafür zu schreiben, und im Mai hatte ich bereits den größten Teil davon notiert - etwa 20 Stücke. Im Sommer haben wir es dann auf­genommen und im Herbst abgemischt. Dieser Anteil, nämlich die eigentliche Erstellung des Albums, ging also recht flott über die Bühne.

 Dabei hast Du zum Teil hier in Los Angeles und zum Teil in Deinem Studio in New Orle­ans gearbeitet...

 Reznor: Ich habe mir gleich im Januar in Los Angeles ein Haus gemietet und mir dort eine Art 4-Track-Studio eingerichtet. Und dann habe ich in einer sehr disziplinierten Art und Weise, die für mich eher ungewöhnlich ist, geschrieben - nicht in einem richtigen Studio, sondern im Grunde nur an einem Piano. Und nachdem ich erst einmal mit dem Schreiben begonnen hatte,floss es einfach nur so aus mir heraus.

 Danach bin ich mit den Tracks, die dabei entstanden sind,zurück in mein Studio in New Orleans gegangen, um sie dort ein wenig auf­zufrischen. Und ich habe meinen Schlagzeuger Jerome Dillon und auch Dave Grohl auf ein paarTracks spielen lassen. Jerome in New Orleans und Dave hier in Los Angeles. Später gab es noch eine Session in New Orleans, um ein paar Dinge abzurunden. Und schließlich habe ich das Album mit Alan Moulder (Smashing Pump-kins) im vergangenen November in Los Angeles abgemischt. Das war's.

 Mit welchem Equipment hast Du bei den Aufnahmen gearbeitet?

 Reznor: Ich besitze zwar eine Unmenge an Gitarren und Bässen, überhaupt Equipment, aber wenn es an die Aufnahmen geht, greife ich doch sehr häufig zu meiner Gibson ES-335, der Fender Jaguar und einem Diezel Gitarren-Amp, vier Kanäle, in Stereo geschaltet. Alternativ auch mal zu einem Fender Champ. Etwa 90 Prozent des Albums wurden mit diesem Equipment aufgenommen.

 Mit Effekten bist Du aber auch nicht sparsam.

 Reznor: Meine Musik schreit ja förmlich nach besonderen Effekten. Ich besitze etwa eine Million Distortion-Pedale und wahrscheinlich jedes käuflich erwerbbare, andere Effektpedal dieses Planeten. Natürlich nutze ich sie auch, aber darüber hinaus habe ich fast konstant Reaktor von Native Instruments wie ein Gitarrenpedal genutzt. Dieses Programm hat so unendlich viele verschiedene Sounds, die sich mit keinem Pedal der Welt erzeugen lassen. Man nimmt die Gitarre, stöpselst sie in die Direct Box ein, gehst von dort in die Software und dann in den Verstärker - ganz so, als wäre der Computer ein Pedal. Man kann also die klassischen Pedale und diese Software miteinander kombinieren. Das gibt einem die Möglichkeit, einen ganz eigenen, sehr ausdifferenzierten Low-Tech-Distortion-Sound zu kreieren, während sich der Amp aber verhält, als wäre er nur mit ein paar ganz normalen Pedalen zusammengeschlossen.

 Die Auflösung und Latenz von Computern ist inzwischen hoch genug, dass keine Verzögerung bei der Übertragungsrate des Signals entsteht. Das war einer der Tricks, den wir auch sehr häufig für den Bass genutzt haben. Für diesen war das Sound-Setup noch straighter: ein Ampeg Röhrentop, ein Ampeg Cabinet und schließlich Reaktor.

 Hast Du Deine Arbeitsweise für diese Album geändert?

 ReznorTrotzall meiner Effekte,die ich besitze, bin ich inzwischen weit weg gegangen von diesem endlosen Experimentieren mit verschiedenen Sounds.Wer das neue Album hört, versteht auch warum: Es hätte nicht dazu ge-passt. Es ist kein Sound-Album, es ist ein Song-Album. Um den Songs Raum zum Atmen zu geben, muss der Sound zurückstecken. Er ist Beiwerk, er ist ein hübscher Anzug, aber nicht mehr der Fokus meiner Musik. Die am häufigsten zu hörenden Instrumente auf dem Album sind ein echtes Schlagzeug, nicht getriggert,ein grundsätzlich und gründlich verzerrter Bass und die Gitarren wie beschrieben. Dazu ein paar monofone Synthesizer, wie der Moog Voyager und einige Synth-Pluglns, die durch extrem laut aufgerissene Gitarren-Amps gejagt werden. Dadurch klingen viele der Keyboard-Sounds wie eine Gitarre - oftmals kann man das kaum noch auseinander halten. Was mir jetzt, wo wir die Songs live einstudieren, auch Probleme bereitet, weil ich mich nicht mehr erinnern kann: War das jetzt eine Gitarre oder ein Synthie?

 Der Grundgedanke war, dem Album ein live gespieltes, fühlbar authentisches, garagiges Gefühl zu verleihen. Weshalb wir fast alle Instrumente sofort live mit Mikros aufgenommen haben, anstatt mit den Instrumenten direkt ins Pult zu gehen, wie ich es früher gemacht habe.

 Du hast erwähnt, dass du die meisten Songs am Piano geschrieben hast...

 Reznor: Ich habe mit dieser Platte einen ganz anderen Ansatz ans Songwriting gefunden. Es ging ja wirklich um Song-Songs, keine aufwendig geschichteten Sound-Berge, in die ich nachträglich versuche, einen Song, eine Melodie oder Struktur einzuarbeiten. Früher saß ich da, habe Klänge designt, und wenn mir einer gefiel, habe ich versucht, herauszufin­den, wie der Song zum Sound klingen könnte. Dieses Mal wollte ich wirkliche, echte Songs. „Getting Smaller" entstand ganz klassisch auf der Gitarre, doch die meisten anderen schrieb ich am Piano. Das fällt mir einfach leichter.

 Und doch hat die Gitarre als Kompositions-Instrument für mich einen ganz besonderen Reiz: Da ich über das Klavierspielen so gut Bescheid weiß und die Gitarre andererseits nur sehr rudimentär beherrsche, geraten die am Piano geschriebenen Stücke natürlich immer sehr durchdacht - mein Wissen über Harmonien und Akkordlehre ist bei diesem Instrument ziemlich ausgefeilt, und das merkt man am Ergebnis. Gitarre hingegen habe ich nie wirklich erlernt: Ich bin ein absoluter Autodidakt - und dazu noch ein schlechter. Insofern spiele ich Gitarre lediglich nach Gehör, nicht nach Noten oder Harmonielehre, und es gibt Songs, bei denen mir die Naivität dieses Ansatzes sehr gut gefällt. Ich habe oftmals nicht die geringste Ahnung, wie der Akkord heißt, den ich da gerade greife, aber ich greife ihn aus dem Gefühl heraus, und er passt perfekt in den Song, der gerade entsteht. Das hat nichts mit Faulheit zu tun - ich finde es einfach schön, diese zwei völlig gegensätzlichen Ansätze mit den beiden Haupt-Kompositionsinstrumenten zu verfolgen.

 Die Technik,die man beherrscht, kann dem Gefühl eines Songs oftmals im Wege stehen. Da ist es gut, zumindest auf einem Instrument überhaupt keine Technik zu haben.

 Das Interview führten S. Krüger und M.Tschernek/jb

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