Reznor hat die Sucht vom Hals, versteckt sich nicht mehr
hinter Technik-Mätzchen und will es mit Nine Inch Nails Herrn Manson nochmal
richtig zeigen.
INTERVIEW ARNO FRANK
Du läßt dir gerne viel Zeit. Sechs Jahre haben wir auf das
neue Album warten müssen. Für THE FRAGILE hattest du fast fünf Jahre
gebraucht...
TRENT REZNOR: Nach THE DOWNWARD SPI RAL hatte ich eine Menge
Ideen und arbeitete an einer Art Konzeptalbum. Es dauerte sehr lange, bis ich
mich da hineingewühlt hatte, weil das Songwriting einer Art Drehbuch folgen
sollte. Klar, dass "Fragile" ein sehr dichtes Album geworden ist.
WITH TEETH war auch als Konzeptalbum an
gekündigt.
Ja, aber diesmal bin ich anders vorgegangen, zwangloser. Wir
haben es einfach laufen lassen, das Ergebnis war dann kein Konzeptal bum,
sondern diese 13 Songs, also etwa die Hälfte dessen, was wir insgesamt
aufgenommen haben. So fühlte es sich einfach richtig an.
Und es hört sich auch viel leichter an als THE FRAGILE das
sich auch nur dürftig verkaufte.
WITH TEETH ist aber nicht als negative Reaktion gemeint.
Okay, für THE FRAGILE hatte ich mich jahrelang wie ein Mönch im Studio vergraben
für zwei Stunden Musik. Zwei Stunden, auf die du dich einlassen und
konzentrieren mußt, als wär's ein verdammter Kinofilm. Dabei reichen zwei
Stunden nicht, um all die Schichten aufzudecken, die diese Platte hat. Ich bin
stolz darauf aber sie war zu sperrig für ein Jahr wie 1999, als der New Metal
regierte.
Klingt, als wäre ein weitab gewandtes Leben riskant für
einen Künstler.
Das war die Platte, die ich damals machen mußte, weil sie
sich richtig anfühlte, so wie WITH TEETH die Platte ist, die ich heute machen
muß. Ich könnte so etwas Intensives wie THE FRAGILE heute nicht mehr machen,
weil ich nicht mehr derselbe bin.
Du willst so etwas nicht mehr durchmachen
müssen?
Es würde sich nicht "wahr" anfühlen. Als Künstler versuche
ich, mir und meiner Kunst
gegenüber so ehrlich wie möglich zu sein. THE FRAGILE war
ehrlich in der damaligen Zeit, und . . .TEETH ist es in meinem heutigen Zustand.
Ich meine, Sachen wie Pink Floyds THE WALL haben mich immer sehr beeindruckt und
meine Arbeitsweise beeinflußt. Aber in zwischen mag ich es lieber, wenn ich eine
Sammlung von Songs habe, die untereinander Sinn ergeben - echte Songs. Das ist
mir lieber als kleine Schnipsel, die clever montiert wer den. Pink Floyd konnten
sowas, da war jedes Album ein Kunstwerk für sich, doch Popsongs waren bei ihnen
eher zweitrangig.
Popsongs können auch Kunstwerke sein.
Wenn es mir um das ginge, was ich unter Kunst verstehe, dann
könnte ich auch malen. In den letzten Jahren habe ich viele interessante Sachen
ausprobiert.
Auch Filmmusik?
Es gab die Idee, an einem Soundtrack mit David Lynch zu
arbeiten. Aber das Problem mit mir ist, daß ich kein Angestellter sein will, der
die Visionen anderer Leute umsetzt. Ich müßte vollkommen vom Regisseur und dem
Projekt überzeugt sein, damit mich so etwas wirklich interessieren könnte.
Schade.
Hey, ich habe wirklich lange darüber nachgedacht. Aber mal
ehrlich, wie viele gute Filme hast du in letzter Zeit gesehen? Ich glaube, von
40 Filmen lohnt sich vielleicht einer.
Nur ein einziger?
Wenn überhaupt Naja, aber ich glaube, es liegt einfach daran:
Ich will der Boß sein. Ich er trage es nicht, von anderen Leuten gesagt zu
bekommen, was ich tun soll. Mit kreativer Arbeit hat das weitweniger zu tun als
damit, um's drastisch auszudrücken, die Wünsche anderer Leute
auszuscheißen.
Die kreative Arbeit für WITH TEETH fand wieder am Piano
statt Warum?
Ja, das Klavier ist das erste Instrument, das ich gespielt
habe. Ich habe die Theorie studiert und hatte, glaube ich, eine ganz gute
Technik drauf. Als ich dann anfing, in Bands zu spielen, wurde das Klavier
schnell von Gitarren verdrängt. Ich kann zwar kaum Akkorde spielen, aber die
Gitarre war unschuldiger. Am Piano stellte sich mir immer gleich die Technik in
den Weg, so daß ich dachte: Okay, ich kann dieses spielen, und das führt dann
dahin und so weiter. Die Gitarre erlaubt mir einen naiveren Zugang.
Wie das?
Mein Kopf arbeitet noch immer nach dem linearen Tastensystem,
mit Saiten kann ich weniger anfangen. Genau das ist es, was mich daran reizt,
weil das sehr unmittelbar sein kann. Umgekehrt klingt es beim Klavierspielen
auch besonders interessant, wenn ich nicht auf die Tasten achte und der Teil
meines Gehirns, in dem alles gespeichert ist, sich einfach abschaltet. Der
größere Unterschied im Vergleich zur letzten Platte ist aber, daß ich nicht
gleich ins Studio gegangen bin, wo ich die Musik gleichzeitig arrangiere und
produziere. Damals ging's mir schlecht, ich hatte enorme Ängste - und zog mich
ins Studio zurück, um es drei Jahre später mit 0 Songs wieder zu
verlassen.
Und diesmal?
Für... TEETH wollte ich mich auf Songs konzentrieren und alle
technischen Spielereien, weglassen, die mich davon abhalten könnten. Ich hatte
nur Piano, Gitarre, einen Drumcomputer und ein Mischpult mit vier Spuren -
allerdings benutzte ich kein richtiges Mischpult, sondern einen Computer, aber
ich stellte nicht viel dran herum. Mit den Songs bin ich dann ins Studio
gegangen und dachte: So, da lege ich jetzt noch eine Schicht nach der anderen
drüber. Komischerweise brauchten die Songs aber kaum zusätzliche Bearbeitung.
Genau genommen habe ich nur den Drumcomputer durch einen echten Schlagzeuger
ersetzt.
Durch Dave Grohl von den Foo Fighters.
Ja. Abgesehen von diesen Stücken ging's aber sehr schnell.
Was ich als Skizzen mit ins Studio genommen habe, ist unverändert daraus her
vorgegangen. Die Songs haben so etwas herrlich Ungehobeltes, Rauhes. Bei manchen
dachte ich nur, sie bräuchten etwas mehr Energie - und daß sie mit echtem
Schlagzeug interessanter klingen würden. Ich sagte immer, der Drummer müsse
klingen wie Dave Grohl, das war mein Referenzpunkt, bis ich dachte: Hey, warum
frage ich nicht einfach... Dave Grohl?
Damit die Musik weniger steril klingt?
Genau. Wenn du heute in ein Studio gehst, dann siehst du dort
kaum noch Tonbänder, nur noch Computer. Es ist einfach bequemer, mit Computern
zu arbeiten. Die Folge ist, daß heute fast jeder perfekte Platten machen kann.
Aber wenn ich das Radio anmache, kann ich die 30 neuesten US-Pop-Punk-Bands
einfach nicht mehr voneinander unterscheiden. Sie klingen alle wie ein und
dieselbe Band, die immer wieder denselben Song spielt.
Vielleicht liegt es ja nur daran, daß du älter
wirst?
Vielleicht. Aber Computer helfen dabei, daß all diese Bands
den gleichen glatt und gut produzierten, jungenhaften und beschissenen Sound
haben, leblos und radiokompatibel. Deshalb wollte ich es unperfekt haben, ohne
weg geschliffene Kanten, einfach ehrlicher. Früher fürchtete ich mich regelrecht
davor, mich mit meiner Musik nicht hinter der Perfektion verschanzen zu können.
Jetzt denke ich, daß sie das gar nicht braucht, daß ich mich nicht in Tücher
einwickeln muß, um mich zu verstecken. Und das ist doch mal ein
Fortschritt.
Und eine solche Entwicklung hot nichts mit dem Altern zu
tun?
Ich würde mich schwer tun, genau zu benennen, woran es liegt.
Es gab eben einige schwer wiegende Änderungen in den letzten paar Jahren meines
Lebens
Zum Beispiel?
Vor allem bin ich clean geworden. Ich wat jahrelang in den
Klauen der Sucht, wie man so schön sagt, ohne es mir wirklich einzugestehen.
Nach der Arbeit an THE FRAGILC hatte ich dann endlich diesen Punkt erreicht, an
dem eine Entscheidung anstand: sterben - oder mich bessern.
Woher weiß man, wann man diesen Punkt er reicht
hat?
Wenn du dich selbst zu hassen beginnst.
Vielleicht lag deswegen so viel Zeit zwischen den beiden
Alben, weil du diese Kluft überbrücken mußtest?
Seit ich vor 15 Jahren meinen ersten Plattenvertrag
unterschrieb, habe ich zu wenig Zeit in mich als Mensch investiert. Ich jagte
immer hinter irgendwas her, sei's der nächste Tourbus, die nächste Platte oder
der nächste Drink. Zeit für Freunde, das Heiraten oder sonstwas? Nicht für mich!
Früher dachte ich immer, ein eigener Plattenvertrag würde mich erlösen, alle
folgenden Tage meines Lebens wären er füllt und problemlos. Ich meine, das Leben
war bis jetzt großzügiger zu mir, als ich es jemals hatte erwarten können. Aber
die Probleme in meinem Kopf wurden dadurch nicht gelöst. Im Gegenteil.
Und wie wurden sie nun gelöst?
Abgesehen von den Drogen ... habe ich mich von meinem Manager
getrennt, der mehr als 1 Jahre lang mein bester, vielleicht mein einziger Freund
war. Ich habe nie eine richtige Scheidung miterlebt, aber auf emotionaler Ebene
kam das dem schon sehr nahe, glaube ich. Kaum, daß ich die Drogen vom Hals
hatte, fielen mir plötzlich all die krummen, auch finanziell fragwürdigen Sachen
auf, die da gelaufen sind. Das hat mich sehr mitgenommen. Auch, daß ich in der
Zwischenzeit die Karrieren von an deren Künstlern beeinflußt habe, die es mir da
mit dankten, daß sie mich bis ins kleinste Detail kopierten. Leute, denen ich es
jetzt nochmal richtig zeigen werde.
Spielst du auf Marilyn Manson an?
Exakt.