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Jahr 2005

 

Orkus

 

Juni 2005

 

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  Words: Michael Schäfer

 

 

 

 

Es sind gut fünf Jahre seit dem Erscheinen von The Fragile, dem letzten Album der Nine Inch Nails, verstrichen. Seitdem durchlebte MastermindTrent Reznor einmal mehr Drogenexzesse und Selbstzweifel — und befreite sich erfolgreich von seiner Alkoholsucht. Nun meldet sich der Amerikaner mit dem überraschend einfach gestrickten und organisch wirkenden Longplayer With Teeth zurück.

Zunächst gilt es aber auf die jüngst veröffentlichte Jubiläumsedition von The Downward Spiral einzugehen. Der ursprünglich 1994 erschienene Klassiker wird szeneübergreifend zu den wichtigsten Alben der 1990er Jahre gezählt. Wie bewertet Trent The Downward Spiral heute?

„Als ich die Scheibe vor rund acht Monaten noch mal neu abgemischt habe, versetzte ich mich in ihre Entstehungszeit zurück. Damals hielt ich es für sehr unwahrscheinlich dass dieser Aufnahme ein dermaßen großer Erfolg beschieden sein könnte Ich kann das bis heute nicht nachvollziehen“, kratzt er sich nachdenklich am Kinn. „ Als ich die CD bei der Plattenfirma ablieferte, entschuldigte ich mich schon vorab dafür, dass sie sich wohl schlecht verkaufen lassen würde, erklärte aber, dass ich sie aus einem inneren Drang heraus so und nicht anders machen musste. Mir war total egal, ob das Material irgendwem gefallen könnte, da ich gerade eine sehr selbstzerstörerische Phase durchlief“, lächelt Trent selbstironisch.

Man darf The Downward Spiral daher als Momentaufnahme sehen; als Manifestation dessen, wie Trent Reznor sich 1994 fühlte? „Mit Sicherheit. The Downward Spiral kam einer Darlegung meiner unerfullten Triebe und Wünsche gleich. Das Album handelte von mir ohne, dass ich das wovon es erzählte auslebte Auf der Platte ging es um jemanden der alles was ihn umgab auszublenden suchte um einen Lebenssinn zu finden. Während dieser Suche kam er mit Drogen, Sex und kaputten Beziehungen in Berührung. Am Ende war unklar ob der Protagonist gestorben ist“, schmunzelt Trent vieldeutig in sich hinein ‚„Als die CD dann veröffentlicht wurde, versuchte ich dem Album gemäß zu leben“, bricht es lachend aus ihm hervor. „Das war sehr ungesund. Als wir mit dieser Platte extrem erfolgreich wurden und nahezu zweieinhalb Jahre auf Tournee gingen, befand ich mich mit einem Mal tatsächlich in der sprichwörtlichen Abwärtsspirale. Nach Beendigung der Tour wusste ich nicht mehr, wer ich war. Ich definierte mich bloß noch über das, was ich in den Printmedien über mich las. Meine Methode, mit dem Leben klarzukommen, bestand darin, das Leben zu meiden. Ich klinkte mich, wann immer es ging, aus. Das funktionierte eine Zeit lang wunderbar. Ich hätte damals nicht gleich nach der Tour das Antichrist Superstar-Album von Marilyn Manson produzieren sollen. Das gab mir den Rest, Danach war mir klar, dass ich in ernsten Schwierigkeiten steckte. Ich war depressiv, konnte nicht mehr denken und war ständig von Drogen betäubt. Also vergrub ich mich, um alleine an meinen Problemen und an The Fragile zu arbeiten. Ich glaubte, mich wieder gesammelt zu haben, und war der festen Überzeugung, keiner dieser lebensunfähigen Menschen zu sein, von denen immer berichtet wird. Leider fehlte es mir völlig an Selbstdistanz; ich nahm eine komplette Verweigerungshaltung ein“, erinnert sich Trent. Die auf The Fragile folgende Tour hat mich fast getötet. Hierbei blickt Trent dermaßen ernst drein dass jeglicher Zweifel an diesem Statement a priori obsolet erscheint. „Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem nichts mehr ging. Anstatt wieder eine neue CD zu schreiben, entschied ich mich dazu, eine zweijährige Auszeit zu nehmen, die mir sehr gut tat.“ Just in diesem Moment dringt die Sonne durch die dräuende Wolkendecke und illuminiert das Hotelzimmer in einem golden-braunen Licht, das Wärme und Hoffnung ausstrahlt so als wollte es Trents Worte unterstreichen. Seltsam...

Vor nicht allzu langer Zeit erschien eine Cover-Version von Hurt, der finalen, sich traurig die Pulsadern aufschlitzenden Pianoballade auf The Downward Spiral. Die Neuinterpretation von Johnny Cash ist mitnichten schlechter als jene Trents, verstand es doch Cash vorzüglich, seine Lebenserfahrung in Hurt mit einfließen zu lassen, ohne aber die Aussage des Originals zu verändern. Wie denkt der Meister darüber? ,, Nun, anfangs dachte ich mir: Verdammt das ist mein Song! Wie kann er nur? Als ich jedoch das Video dazu sah machte es Sinn. Wenn man auf Cashs Leben in Verbindung mit dem Clip zurückblickt — diese Reue gepaart mit Melancholie — dann gibt er meinem Lied eine andere Färbung, obwohl er den gleichen Text singt. Eigentlich war The Downward Spiral damals bereits beendet als plötzlich Hurt aus mir heraussprudelte. Es fehlte noch der richtige Abschluss. In Hurt bündeln sich noch mal die Emotionen einer Person deren Leben fragmentiert und sinnentleert ist. Nach all der vorangegangenen Selbstzerstörung blieben eben bloß noch tote, verletzte Gefühle. Meine Interpretation dieses Stückes hat mehr Blut an den Händen. Cashs Version konzentrierte sich hingegen mehr auf sein schmerzvolles Leben. Es war so als zöge er Resümee, als wüsste er dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Als seine Neueinspielung herauskam begann ich gerade With Teeth zu schreiben. Ich war unsicher, wusste nicht so recht was ich machen sollte. Cash erinnerte mich daran wie magisch Musik sein kann und verhalf mir dazu mich wieder auf meine eigenen Stärken zu besinnen. Im Nachhinein fühle ich mich sehr geehrt‘, nickt er nachdenklich.

Trent ist sich derweil nicht im Klaren darüber, ob er With Teeth lebensbejahend finden soll. Hierzu fehlt ihm noch die zeitliche Distanz zum frisch Geschaffenen. Zumindest bezeichnet er das aktuelle Werk im Vergleich zu dessen Vorgängern als „weniger selbstzerstörerisch“. Absolut bejahen kann er allerdings die Einschätzung, dass With Teeth sich mehr auf das Wesentliche beschränkt, weniger detailverliebt daherkommt und insgesamt simpler strukturiert ist. „Die letzten beiden Alben schrieb ich im Studio. Dort beginne ich meist mit einem Loop, Riff oder Soundeffekt, was dazu verleitet sofort mit der Produktion anzufangen. Diesmal begann ich mit dem Gesang und den Texten. Zudem beschränkte ich mich nur auf ein Klavier und einen Drumcomputer. Ich wollte lediglich Demos aufnehmen und nicht schon Modulationen vornehmen. Deshalb klingen die neuen Stücke sehr viel songorientierter. Obendrein wollte ich ausschließlich Effekte und Ergänzungen integrieren die wirklich vonnöten waren. Alles sollte so einfach wie möglich aufgebaut sein. Im Gegensatz hierzu häufte sich bei The Fragile Klangschicht über Klangschicht. Ein weiteres Motiv es dieses Mal möglichst schlicht zu halten liegt darin begründet, dass ich der Musik die derzeit produziert wird kritisch gegenüberstehe. Jeder kann sich Pro Tools und Software beschaffen um ein ansprechendes Album aufzunehmen das nicht viel kostet. Im Prinzip finde ich das in Ordnung. Die negative Folge ist jedoch, dass sehr viele Produktionen ähnlich klingen, weil sie auf die gleiche Software zurückgreifen. Manchmal hat es den Anschein als würde immer nur dieselbe eine Band im Radio laufen. Früher war es nicht eben leicht eine perfekt klingende Platte aufzunehmen. Heute ist es im Umkehrschluss umso schwieriger mit Pro Tools eine CD zu gestalten die so klingt als wäre sie von wirklichen Musikern eingespielt worden“, gibt Trent zu bedenken. „Ich wollte keine Retro-Platte machen. Das wäre reaktionär gewesen. Ich wollte Musik, die mit der Aussage der Texte übereinstimmt. Die Texte wollen wiederum vermitteln, dass nichts perfekt ist. Deshalb muss sich dies auch in der Musik widerspiegeln. Auf The Downward Spiral oder auch Broken befinden sich Gitarrenpassagen, die auf nur einem echten Riff basieren, das dann in der Folge geloopt wurde. Damals fand ich das toll: eine Gitarre, die präzise wie eine Maschine klingt. Auf With Teeth hörst du hingegen Gitarren, die nicht geloopt sind. Selbst die Gitarrensynths sind so arrangiert, dass es den Anschein erweckt als spielte eine authentische Band, was wiederum damit zu tun hat, dass auf With Teeth diesmal ein echtes Schlagzeug zum Einsatz kommt. Auf der Hälfte der Lieder ist Dave Grohl (ehemals Nirvana, jetzt Foo Fighters) an den Schlagstöcken zu hören. Ist Trent dabei eigentlich aufgefallen, dass Sunspots wie ein typischer Nirvana-Song arrangiert ist? ,,Interessant:‘ Er überlegt kurz‘.,, Gerade Sunspots sehe ich nicht als NIN-Komposition. Doch, kann durchaus sein, zumal ich Nirvana wirklich schätze. Da wurde ich wohl ertappt“, grinst er verlegen in den Raum.

Lyrisch gesehen, sticht The Hand That Feeds hervor, das sich nicht, wie viele andere Stücke auf With Teeth mit Selbstentfremdung, Anpassung, Schwäche und der Frage nach der Existenz einer absoluten nicht subjektiv gefärbten Realität beschäftigt. In besagtem Track ist von einem „Kreuzzug“ und einem „Preis“, der „mit Blut gezahlt werden muss“, die Rede. Wenn Trent dann auch noch davon spricht, dass alles im Lichte „des Heiligen und Göttlichen“ gerechtfertigt werden kann, klingt das schon sehr nach George W. Bushs Irak-Krieg. Trent richtet sich kerzengerade auf und verschränkt die Arme: „Mir war nie daran gelegen, NIN für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Bush machte mich aber dermaßen zornig, dass es ein Verbrechen gewesen wäre, untätig zu bleiben. Seine groteske Entstellung der Demokratie ist unentschuldbar. Es ist einfach erschreckend, mit welchen  Propagandatricks Bush die Wirtschaft und religiöse Fanatiker hinter sich gebracht hat. Er stellte Homosexuelle als Bedrohung dar und versteckte sich gleichzeitig hinter seiner Bibel. Als Amerikaner muss man sich in der Weltöffentlichkeit für diesen Präsidenten entschuldigen was ich hiermit tun möchte“, schließt Trent das Interview ab.

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Michael Schäfer

 

Discographie (Alben):

Pretty Hate Machine (1989)

The Downward Spiral (1994)

The Fragile (1999)

And All That Could Have Been (Live 2002)

With Teeth (2005)

 

Live-Line-Up:

Trent Reznor — Gesang, Gitarre

Aaron North — Gitarre

Jeordie White — Bass

Alessandro Cortini — Keyboard

Jerome Dillon — Schlagzeug

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