Es sind gut fünf Jahre seit dem
Erscheinen von The Fragile, dem
letzten Album der Nine Inch Nails, verstrichen. Seitdem durchlebte
MastermindTrent Reznor einmal mehr Drogenexzesse und Selbstzweifel — und befreite
sich erfolgreich von seiner Alkoholsucht. Nun meldet sich der Amerikaner mit
dem überraschend einfach gestrickten und organisch wirkenden Longplayer With Teeth zurück.
Zunächst gilt es aber auf die
jüngst veröffentlichte Jubiläumsedition von The
Downward Spiral einzugehen. Der ursprünglich 1994 erschienene Klassiker
wird szeneübergreifend zu den wichtigsten Alben der 1990er Jahre gezählt. Wie
bewertet Trent The Downward Spiral
heute?
„Als ich die Scheibe vor rund
acht Monaten noch mal neu abgemischt habe, versetzte ich mich in ihre
Entstehungszeit zurück. Damals hielt ich es für sehr unwahrscheinlich dass
dieser Aufnahme ein dermaßen großer Erfolg beschieden sein könnte Ich kann das
bis heute nicht nachvollziehen“, kratzt er sich nachdenklich am Kinn. „ Als ich
die CD bei der Plattenfirma ablieferte, entschuldigte ich mich schon vorab dafür,
dass sie sich wohl schlecht verkaufen lassen würde, erklärte aber, dass ich sie
aus einem inneren Drang heraus so und nicht anders machen musste. Mir war total
egal, ob das Material irgendwem gefallen könnte, da ich gerade eine sehr selbstzerstörerische
Phase durchlief“, lächelt Trent selbstironisch.
Man darf The Downward Spiral daher als Momentaufnahme sehen; als Manifestation
dessen, wie Trent Reznor sich 1994 fühlte? „Mit Sicherheit. The Downward Spiral kam einer Darlegung
meiner unerfullten Triebe und Wünsche gleich. Das Album handelte von mir ohne,
dass ich das wovon es erzählte auslebte Auf der Platte ging es um jemanden der alles
was ihn umgab auszublenden suchte um einen Lebenssinn zu finden. Während dieser
Suche kam er mit Drogen, Sex und kaputten Beziehungen in Berührung. Am Ende war
unklar ob der Protagonist gestorben ist“, schmunzelt Trent vieldeutig in sich
hinein ‚„Als die CD dann veröffentlicht wurde, versuchte ich dem Album gemäß zu
leben“, bricht es lachend aus ihm hervor. „Das war sehr ungesund. Als wir mit dieser
Platte extrem erfolgreich wurden und nahezu zweieinhalb Jahre auf Tournee
gingen, befand ich mich mit einem Mal tatsächlich in der sprichwörtlichen Abwärtsspirale.
Nach Beendigung der Tour wusste ich nicht mehr, wer ich war. Ich definierte
mich bloß noch über das, was ich in den Printmedien über mich las. Meine
Methode, mit dem Leben klarzukommen, bestand darin, das Leben zu meiden. Ich
klinkte mich, wann immer es ging, aus. Das funktionierte eine Zeit lang
wunderbar. Ich hätte damals nicht gleich nach der Tour das Antichrist
Superstar-Album von Marilyn Manson produzieren sollen. Das gab mir den Rest,
Danach war mir klar, dass ich in ernsten Schwierigkeiten steckte. Ich war
depressiv, konnte nicht mehr denken und war ständig von Drogen betäubt. Also vergrub
ich mich, um alleine an meinen Problemen und an The Fragile zu arbeiten. Ich glaubte, mich wieder gesammelt zu
haben, und war der festen Überzeugung, keiner dieser lebensunfähigen Menschen
zu sein, von denen immer berichtet wird. Leider fehlte es mir völlig an
Selbstdistanz; ich nahm eine komplette Verweigerungshaltung ein“, erinnert sich
Trent. Die auf The Fragile folgende
Tour hat mich fast getötet. Hierbei blickt Trent dermaßen ernst drein dass
jeglicher Zweifel an diesem Statement a priori obsolet erscheint. „Ich hatte
einen Punkt erreicht, an dem nichts mehr ging. Anstatt wieder eine neue CD zu
schreiben, entschied ich mich dazu, eine zweijährige Auszeit zu nehmen, die mir
sehr gut tat.“ Just in diesem Moment dringt die Sonne durch die dräuende
Wolkendecke und illuminiert das Hotelzimmer in einem golden-braunen Licht, das
Wärme und Hoffnung ausstrahlt so als wollte es Trents Worte unterstreichen. Seltsam...
Vor nicht allzu langer Zeit
erschien eine Cover-Version von Hurt,
der finalen, sich traurig die Pulsadern aufschlitzenden Pianoballade auf The Downward Spiral. Die
Neuinterpretation von Johnny Cash ist mitnichten schlechter als jene Trents,
verstand es doch Cash vorzüglich, seine Lebenserfahrung in Hurt mit einfließen zu lassen, ohne aber
die Aussage des Originals zu verändern. Wie denkt der Meister darüber? ,, Nun, anfangs
dachte ich mir: Verdammt das ist mein Song! Wie kann er nur? Als ich jedoch das
Video dazu sah machte es Sinn. Wenn man auf Cashs Leben in Verbindung mit dem
Clip zurückblickt — diese Reue gepaart mit Melancholie — dann gibt er meinem
Lied eine andere Färbung, obwohl er den gleichen Text singt. Eigentlich war The Downward Spiral damals bereits
beendet als plötzlich Hurt aus mir
heraussprudelte. Es fehlte noch der richtige Abschluss. In Hurt bündeln sich noch mal die Emotionen einer Person deren Leben
fragmentiert und sinnentleert ist. Nach all der vorangegangenen Selbstzerstörung
blieben eben bloß noch tote, verletzte Gefühle. Meine Interpretation dieses Stückes
hat mehr Blut an den Händen. Cashs Version konzentrierte sich hingegen mehr auf
sein schmerzvolles Leben. Es war so als zöge er Resümee, als wüsste er dass er
nicht mehr lange zu leben hatte. Als seine Neueinspielung herauskam begann ich
gerade With Teeth zu schreiben. Ich
war unsicher, wusste nicht so recht was ich machen sollte. Cash erinnerte mich
daran wie magisch Musik sein kann und verhalf mir dazu mich wieder auf meine
eigenen Stärken zu besinnen. Im Nachhinein fühle ich mich sehr geehrt‘, nickt
er nachdenklich.
Trent ist sich derweil nicht im
Klaren darüber, ob er With Teeth
lebensbejahend finden soll. Hierzu fehlt ihm noch die zeitliche Distanz zum
frisch Geschaffenen. Zumindest bezeichnet er das aktuelle Werk im Vergleich zu
dessen Vorgängern als „weniger selbstzerstörerisch“. Absolut bejahen kann er
allerdings die Einschätzung, dass With
Teeth sich mehr auf das Wesentliche beschränkt, weniger detailverliebt
daherkommt und insgesamt simpler strukturiert ist. „Die letzten beiden Alben
schrieb ich im Studio. Dort beginne ich meist mit einem Loop, Riff oder
Soundeffekt, was dazu verleitet sofort mit der Produktion anzufangen. Diesmal
begann ich mit dem Gesang und den Texten. Zudem beschränkte ich mich nur auf
ein Klavier und einen Drumcomputer. Ich wollte lediglich Demos aufnehmen und
nicht schon Modulationen vornehmen. Deshalb klingen die neuen Stücke sehr viel
songorientierter. Obendrein wollte ich ausschließlich Effekte und Ergänzungen
integrieren die wirklich vonnöten waren. Alles sollte so einfach wie möglich
aufgebaut sein. Im Gegensatz hierzu häufte sich bei The Fragile Klangschicht über Klangschicht. Ein weiteres Motiv es
dieses Mal möglichst schlicht zu halten liegt darin begründet, dass ich der
Musik die derzeit produziert wird kritisch gegenüberstehe. Jeder kann sich Pro
Tools und Software beschaffen um ein ansprechendes Album aufzunehmen das nicht
viel kostet. Im Prinzip finde ich das in Ordnung. Die negative Folge ist jedoch,
dass sehr viele Produktionen ähnlich klingen, weil sie auf die gleiche Software
zurückgreifen. Manchmal hat es den Anschein als würde immer nur dieselbe eine
Band im Radio laufen. Früher war es nicht eben leicht eine perfekt klingende
Platte aufzunehmen. Heute ist es im Umkehrschluss umso schwieriger mit Pro
Tools eine CD zu gestalten die so klingt als wäre sie von wirklichen Musikern
eingespielt worden“, gibt Trent zu bedenken. „Ich wollte keine Retro-Platte
machen. Das wäre reaktionär gewesen. Ich wollte Musik, die mit der Aussage der
Texte übereinstimmt. Die Texte wollen wiederum vermitteln, dass nichts perfekt
ist. Deshalb muss sich dies auch in der Musik widerspiegeln. Auf The Downward Spiral oder auch Broken befinden sich Gitarrenpassagen,
die auf nur einem echten Riff basieren, das dann in der Folge geloopt wurde.
Damals fand ich das toll: eine Gitarre, die präzise wie eine Maschine klingt.
Auf With Teeth hörst du hingegen Gitarren,
die nicht geloopt sind. Selbst die Gitarrensynths sind so arrangiert, dass es
den Anschein erweckt als spielte eine authentische Band, was wiederum damit zu
tun hat, dass auf With Teeth diesmal
ein echtes Schlagzeug zum Einsatz kommt. Auf der Hälfte der Lieder ist Dave
Grohl (ehemals Nirvana, jetzt Foo Fighters) an den Schlagstöcken zu hören. Ist
Trent dabei eigentlich aufgefallen, dass Sunspots wie ein typischer Nirvana-Song
arrangiert ist? ,,Interessant:‘ Er überlegt kurz‘.,, Gerade Sunspots sehe ich
nicht als NIN-Komposition. Doch, kann durchaus sein, zumal ich Nirvana wirklich
schätze. Da wurde ich wohl ertappt“, grinst er verlegen in den Raum.
Lyrisch gesehen, sticht The Hand That Feeds hervor, das sich
nicht, wie viele andere Stücke auf With
Teeth mit Selbstentfremdung, Anpassung, Schwäche und der Frage nach der
Existenz einer absoluten nicht subjektiv gefärbten Realität beschäftigt. In
besagtem Track ist von einem „Kreuzzug“ und einem „Preis“, der „mit Blut
gezahlt werden muss“, die Rede. Wenn Trent dann auch noch davon spricht, dass
alles im Lichte „des Heiligen und Göttlichen“ gerechtfertigt werden kann,
klingt das schon sehr nach George W. Bushs Irak-Krieg. Trent richtet sich
kerzengerade auf und verschränkt die Arme: „Mir war nie daran gelegen, NIN für
politische Zwecke zu instrumentalisieren. Bush machte mich aber dermaßen
zornig, dass es ein Verbrechen gewesen wäre, untätig zu bleiben. Seine groteske
Entstellung der Demokratie ist unentschuldbar. Es ist einfach erschreckend, mit
welchen Propagandatricks Bush die
Wirtschaft und religiöse Fanatiker hinter sich gebracht hat. Er stellte
Homosexuelle als Bedrohung dar und versteckte sich gleichzeitig hinter seiner
Bibel. Als Amerikaner muss man sich in der Weltöffentlichkeit für diesen Präsidenten
entschuldigen was ich hiermit tun möchte“, schließt Trent das Interview ab.
www nin com
Michael Schäfer
Discographie (Alben):
Pretty Hate
Machine (1989)
The Downward
Spiral (1994)
The Fragile
(1999)
And All
That Could Have Been (Live 2002)
With Teeth
(2005)
Live-Line-Up:
Trent
Reznor — Gesang, Gitarre
Aaron North
— Gitarre
Jeordie
White — Bass
Alessandro Cortini — Keyboard
Jerome Dillon — Schlagzeug
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