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Jahr 2005

Rockhard

Juni 2005

Außer Kontrolle

 

von Conny Schiffbauer

 

 

 

Ein halbes Jahrzehnt kehrte Trent Reznor der Öffentlichkeit den Rücken zu. Doch hinter dem Rückzug ins Privatleben steckte mehr als nur eine kreative Pause. Für den Kopf der Industrial-Kultband NINE INCH NAILS war es eine Zeit der Selbstfindung, begleitet von einem Kampf gegen Depressionen, Drogen und falsche Freunde. "With Teeth" ist ein Befreiungsschlag und ein musikalischer Neuanfang für ein Idol, das fast an der eigenen Karriere zerbrechen wären.

 Trent Reznor sitzt in der Suite eines Kölner Nobelhotels und nippt an einem Kaffee. Laut eigener Aussage ist es bereits die 15. Tasse des braunen Gesöffs, die er sich an diesem Tag gönnt. Eine beachtliche Menge, wenn man bedenkt, dass es gerade erst 13 Uhr ist. Der Mann hinter NINE INCH NAILS wirkt höflich, konzentriert und ein wenig distanziert. Doch schon bei der ersten Frage weicht die anfängliche Unnahbarkeit überraschend offenen Statements.

 Trent, seit dem Release deines letzten Studioalbums ist wieder mal ein halbes Jahrzehnt vergangen. Wie kommt es zu den langen Wartezeiten zwischen deinen Veröffentlichungen?

Diese Zeitspannen haben nichts mit einer Strategie zu tun Die Realität hat diese großen zeitlichen Abstände verursacht. Ich war süchtig, ein Alkoholiker. Das ist der Grund, warum es so lange gedauert hat, "The Downward Spiral, ‚The Pragile und "Wiih Teeth' zu veröffentlichen. Es begann alles während der ‚The Downward Spiral-Tournee. Ich verlor langsam die Kontrolle über mein Leben weil ich nicht mit dem Erfolg und der neu gewonnenen Macht umgehen konnte. Zudem lauerte in mir ein latentes Suchtpotenzial, das täglich wuchs und ein unbezwingbarer Bestandteil meines Lebens wurde. Obwohl ich langsam die Übersicht über nein Lehen verlor, dachte ich, dass alles ganz normal läuft. Ich hielt mich für einen cleveren Geschäftsmann, einen starken Charakter und einen Menschen, der für jedes Problem eine Lösung hat. Diese maßlose Selbstüberschätzung und die Fehleinschätzung der Situation brachten mich auf einen verhängnisvollen Pfad.

 Als die Tournee zu Ende war, ging ich mit Marilyn Manson ins Studio, um Antichrist Superstar einzuspielen. In dieser Phase verlor ich endgültig die Kontrolle über mein Leben, Ich war in einer furchtbaren Verfassung und merkte langsam dass irgendetwas mit mir nicht in Ordnung war. Die Auseinandersetzung mit meiner Psyche schlug sich in den Texten und der Musik des ‚The Fragile'-Albums nieder. Die Gedanken strömten regelrecht aus meinem Kopf. Die Platte wurde veröffentlicht, stieg auf Platz eins der Charts ein, und ich bildete mir ein, dass alles wieder in Ordnung sei. Aber nichts war in Ordnung.

 Dann brachen für mich ein paar finstere Jahre an. Ich ging auf Tournee und fühlte mich jeden Tag beschissen. Als ich wieder zu Hause war, hasste ich mich selbst. Ich war an einem Punkt, an dem ich nicht nur mich selbst, sondern auch meine Karriere und sogar mein Musik verabscheute, Ich war unfähig, zwischen Tourneen, Chartpositionen, Verkaufszahlen sowie guten und schlechten Kritiken zu unterscheiden. Für mich war es alles das Gleiche, und es machte mich unglücklich hatte keinen Lebenswillen mehr, kam mir vollkommen wertlos vor und wollte sterben. Ich stand kurz vor dem Selbstmord. Erst die Ermordung meines besten Freundes in New Orleans rüttelte mich wach. Ich erkannte endlich, dass ich so nicht weitermachen durfte, denn das wäre mein sicherer Tod gewesen- Mir wurde klar, dass ich nicht besser war als irgendein anderer Mensch auf diesem Planeten, dass ich echte Freunde und vor allen Dingen Hilfe brauchte, um endlich ein wenig mit meinem Leben klarzukommen.

 Es dauerte zwei Jahre, bis es mir wieder einiger maßen gut ging. Ich legte die Arbeit zur Seite und versuchte mich in meinem Leben zurechtzufinden. Langsam konnte ich mein Dasein wieder genießen und endlich eine Trennlinie zwischen der Liebe zur Musik und der Karriere ziehen. Ich lernte, mit meinem Erfolg umzugehen und ihn als Teil meines Lobs zu akzeptieren. Nach einiger Zeit bekam ich auch wieder Lust, Songs zu schreiben. Allerdings plagten mich Zweifel, ob mein Gehirn nach diesen selbstzerstörerischen Jahren den Anforderungen einer Albumproduktion überhaupt noch gewachsen war. Ich hatte Angst, zu versagen. In Januar 2004 begann ich endlich damit, die ersten Songs für ‚With Teeth' zu schreiben. überraschenderweise schossen mir die Ideen regelrecht aus dem Kopf - Ich war glücklich, als ich sah wie leicht mir die Kompositionen nüchtern von der Hand gingen. Mein Selbstbewusstsein stieg von Tag zu Tag, und im Mai hatte ich bereits Material für zwei Alben zusammen. Im Sommer nahmen wir die Platte auf, und im Herbst mixten wir sie."

Was wird mit den übrigen Songs passieren, die es nicht auf ,,With Teeth" geschafft haben?

 "Einen Teil der restlichen Stücke werde ich für mein nächstes Album aufbewahren, das am Ende der anstehenden Tournee fertig sein soll. Momentan habe Ich so viel Zeit und Energie, dass ich vor Tatendrang nur so strotze. Ich fühle mich verdammt gut. Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass sich noch so viele Leute für meine Musik interessieren. Das sage ich nicht, weil ich NINE INCH NAILS schlecht machen will, sondern  weil mir bewusst ist, wie lange ich von der Bildfläche verschwunden war. Die Such hat mich viele Jahre meines Lebens gekostet, aber die Karten wurden neu gemischt."

 Für ein paar Wochen gehörte auch der deutsche Gitarrist Ralph Dietel zu deinem neuen Live-Line-Up. Warum hast du ihn wieder rausgeworfen?

 "Ralph ist ein guter Gitarrist und ein netter Typ die Entscheidung, ihn aus der Band zu werfen, ist mir nicht leicht gefallen. Als wir mit den Proben für unsere Auftritte begannen, merkte ich, dass er den Anforderungen nicht gewachsen war. Ab der dritten Probe machte er keine Fortschritte mehr. Es war eine total ätzende  Situation. Obwohl er unglaublich engagiert  war, spürten wir beide, dass ihn seine fehlenden Fortschritte in die Knie zwingen würden. Im Endeffekt war es die beste Entscheidung die Sache aufzugeben und nach  einem neuen Gitarristen zu suchen."

 "Bei "The Downward Spiral" und "The Fragile' hat man den Eindruck, dass die Songs regelrecht ineinander fließen. Dieser organische Charakter fehlt "With Teeth. War es deine Absicht, die Stücke dieses Mal Eigenständig für sich stehen zu lassen, oder hat sich das zufällig ergeben?

 "Bei "The Downward Spiral' und ‚The Fragile" gab es ein Grundkonzept, in das ich die Lieder "hineinkomponierte". Ich überlegte mir Überschriften und erfand eine Art Handlungsablauf, der die Basis für das Songwriting und die Texte war. ‚The Fragile habe ich damals im Studio geschrieben. Ich will nicht sagen, dass das besser oder schlechter ist als eine andere Herangehensweise. Fakt ist aber, dass das Komponieren, Produzieren und Arrangieren der Lieder im Studio kaum voneinander trennbare Prozesse sind. Man hat eine Grundidee für ein Stück ergänzt einen Bass-Sound, legt eine Gesangsspur drauf - und fertig ist ein neuer Track.

 Bei "With Teeth wollte ich richtige Demosongs schreiben. Sie sollten die Basis für das Album sein. Ich zog nach Los Angeles und suchte mir einen kleinen Proberaum in dem nur ein Klavier ein Drumcomputer und ein Mikrofon standen. Dieses Mal begann ich mit dem Gesang, den Texten und den Akkorden. Erst dann machte ich mich an das Arrangieren der Kompositionen. Nachdem ich die Stücke fertig hatte, versuchte ich, sie in ein übergreifendes Konzept zu integrieren. Allerdings merkte ich schnell, dass das nicht nötig war. Mir gefielen die Songs, und ich fand es überflüssig, zwanghaft nach einem alles umfassenden Kontext zu suchen. Ich schließe nicht aus, dass ich mein nächstes Album wieder auf eine andere Art produziere, aber dieses Mal hatte ich einfach Lust, etwas Neues auszuprobieren. Ich wollte die wiedergewonnene Leistungsfähigkeit meines Gehirns ausnutzen. Als ich "The Fragile" schrieb, konnte ich nicht klar denken. Ich musste zwangsweise mit Soundlandschaften improvisieren, um meine Unzulänglichkeiten zu kompensieren."

 Warum hast du dieses Mal ganz auf Instrumental-Stücke verzichtet?

 "Weil ich sehr schnell genügend gute Songs mit Texten zur Auswahl hatte, musste ich keine Instrumental-Stücke mehr schreiben. Außerdem war es mir wichtig, ein klassisches, kompaktes Album mit einer überschaubaren Anzahl von Tracks und ohne Lückenfüller vorzulegen. Die Vergangenheit hat leider gezeigt dass viele Kompositionen, die weniger auffällig, mir aber dennoch sehr wichtig sind, nicht richtig wahrgenommen und verstanden werden. Ein Großteil meiner Lieblingslieder steckt tief in den Alben, aber ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass die Hörer bis zu diesen Songs vordringen.

 Seit einiger Zeit gibt es dein Label Nothing Records und die dazugehörigen Studios nicht mehr, was hat dich veranlasst, das Unternehmen zu schließen?

 ‚Alles, was in irgendeiner Form mit dem Namen Nothing zu tun hat, wurde in der Vergangenheit gemeinsam von mir und meinem Manager John Malm betrieben. John war lange Zeit wie ein Bruder für mich, dem ich vollkommen vertraute. Als ich nach meinem Entzug wieder klar denken konnte, bemerkte Ich allerdings, dass einige Dinge in unseren Unternehmen nicht in Ordnung waren. Ich stellte ihm ein paar simple Fragen, Zum Beispiel: Wo ist mein Geld? Und ich bekam Antworten, mit denen sich eine nüchterne Person nicht zufrieden gibt. Das führte zu einer heftigen Auseinandersetzung bei der es nicht nur um Kohle ging. Während meines Entzugs habe ich häufig mit Leuten zusammengesessen, die erzählten, wie sie im betrunkenen Zustand ihre Frauen und Kinder terrorisiert haben. In diesem Momenten dachte ich immer: Mein Gott, ich bin froh, dass ich nie eine Familie gegründet habe, deren Leben ich vielleicht mit meinem Alkoholismus zerstört hätte.

 Neben dieser positiven Erkenntnis brachte mein Entzug aber auch ein paar negative Konsequenzen mit sich. Die enge geschäftliche und freundschaftliche Beziehung zu meinem Manager, die - so lange ich nicht klar denken konnte - reibungslos funktioniert hatte, überstand die Veränderungen die in mir vorgingen nicht. John und ich konnten nicht mehr zusammenarbeiten. Zudem verschlang unser Label nur noch Zeit und Geld. Deswegen entschied ich mich, es zu schließen. Das Equipment aus den Nothing-Studios gehört mir, und ich überlege momentan, was ich damit machen werde. Ich glaube, dass ich in Los Angeles nicht zwingend ein eigenes Studio brauche, denn in vielerlei Beziehung ist es reine Zeitverschwendung. Natürlich ist es schön, einen eigenen Arbeitsplatz zu haben, aber gleichzeitig kann man sich in einem Studio voller Equipment auch sehr eingeengt fühlen. Ich kann mir gut vorstellen in Zukunft nur noch in fremden Studios meine Alben zu produzieren und nach erledigter Arbeit einfach nach Hause zu gehen. Ich bin glücklich, dass das Kapitel Nothing so gut wie abgeschlossen ist"

 Für viele war dein Umzug von New Orleans nach Los Angeles eine Überraschung. In der glitzernden Musikmetropole wirst du vermutlich nicht so anonym leben können wie in deiner alten Heimat.

 "New Orleans ist tatsächlich das Gegenteil von Los Angeles. Es ist ein seltsamer Ort, der irgendwo im Nichts liegt. Für mich hatte New Orleans aber immer den Vorteil, dass ich mich gut verstecken konnte. Rückblickend würde ich sagen, dass ich mich regelrecht isoliert habe und dass mir das nicht gut bekommen ist. Ich hatte dort nur wenige Freunde, und es gab kaum Leute, die in meinem Metier tätig waren. Wenn man ein Rockstar ist, kann es schwer sein, eine Beziehung zu ganz normalen Menschen aufzubauen - und das sage ich nicht arrogant oder abwertend. In Los Angeles leben viele meiner Freunde, ich kann dort meine Geschäfte abwickeln und muss mich nicht mehr jeden Tag mit Nothing abmühen. Dieser Umzug hat mir sehr gut getan. Als ich während der "The Downward Spiral"-Phase in L.A. wohnte, knallte ich mich konsequent weg und baute Scheiße. Echten Spaß hatte ich dabei nie. Heute ist alles anders. Ich hänge nicht auf dem Sunset Boulevard zwischen den Promis ab, sondern setze mich auf mein Mountain-Bike und fahre in die Natur wo mich niemand stört."

 Lass uns zum Abschluss kurz über Two - das von dir als Produzent betreute, frühere Projekt von Rob Halford - sprechen. Aus der Sicht vieler Judas-Priest-Fans die momentan die Reunion der Band feiern, war "Voyeurs' ein peinlicher Fehler Halfords. Wie denkst du heute über diese Zusammenarbeit?

 "Ich kann Rob sehr gut leiden, und ich fand es damals sehr mutig von ihm, diesen Schritt zu wagen. Inzwischen klingt die Produktion vielleicht ein wenig veraltet, aber peinlich ist mir diese Scheibe nicht. Die Platte hätte ein wenig mehr Unterstützung vom Label und von den Vertrieben gebrauchen können. Das war mein Fehler. Ansonsten habe ich an dieser Kooperation aber nichts auszusetzen. Ich rechne Rob noch heute hoch an, dass er in der Öffentlichkeit mit allen Konsequenzen zu diesem Album stand und Two vor der Presse nicht zu einem unwichtigen Nebenprojekt degradiert hat.

 Ich war nie ein richtiger Metalhead, aber mir ist immer aufgefallen, wie sehr sich diese Szene ihren Ideologien verpflichtet fühlt. Die Fans leben ihre Musik mit jedem Atemzug, besonders hier in Deutschland. Das kritisiere ich auch nicht. Die mächtige Metal-Maschinerie ist ein sicherer Platz für ihre Protagonisten, weil sich die Szene in meinen Augen nicht sonderlich verändert. Es gelten Regeln, die vorgeben, was man zu tun und zu lassen hat, Ich kann nachvollziehen, warum es Ablehnung gegen dieses Projekt gab, aber ich bereue diesen Schritt nicht."       

 Conny Schiffbauer

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