Ein halbes Jahrzehnt kehrte Trent Reznor der
Öffentlichkeit den Rücken zu. Doch hinter dem Rückzug ins Privatleben steckte
mehr als nur eine kreative Pause. Für den Kopf der Industrial-Kultband NINE INCH
NAILS war es eine Zeit der Selbstfindung, begleitet von einem Kampf gegen
Depressionen, Drogen und falsche Freunde. "With Teeth" ist ein Befreiungsschlag
und ein musikalischer Neuanfang für ein Idol, das fast an der eigenen Karriere
zerbrechen wären.
Trent Reznor sitzt in der Suite eines Kölner Nobelhotels und
nippt an einem Kaffee. Laut eigener Aussage ist es bereits die 15. Tasse des
braunen Gesöffs, die er sich an diesem Tag gönnt. Eine beachtliche Menge, wenn
man bedenkt, dass es gerade erst 13 Uhr ist. Der Mann hinter NINE INCH NAILS
wirkt höflich, konzentriert und ein wenig distanziert. Doch schon bei der ersten
Frage weicht die anfängliche Unnahbarkeit überraschend offenen Statements.
Trent, seit dem Release deines letzten Studioalbums ist
wieder mal ein halbes Jahrzehnt vergangen. Wie kommt es zu den langen
Wartezeiten zwischen deinen Veröffentlichungen?
Diese Zeitspannen haben nichts mit einer Strategie zu tun Die
Realität hat diese großen zeitlichen Abstände verursacht. Ich war süchtig, ein
Alkoholiker. Das ist der Grund, warum es so lange gedauert hat, "The Downward
Spiral, ‚The Pragile und "Wiih Teeth' zu veröffentlichen. Es begann alles
während der ‚The Downward Spiral-Tournee. Ich verlor langsam die Kontrolle über
mein Leben weil ich nicht mit dem Erfolg und der neu gewonnenen Macht umgehen
konnte. Zudem lauerte in mir ein latentes Suchtpotenzial, das täglich wuchs und
ein unbezwingbarer Bestandteil meines Lebens wurde. Obwohl ich langsam die
Übersicht über nein Lehen verlor, dachte ich, dass alles ganz normal läuft. Ich
hielt mich für einen cleveren Geschäftsmann, einen starken Charakter und einen
Menschen, der für jedes Problem eine Lösung hat. Diese maßlose
Selbstüberschätzung und die Fehleinschätzung der Situation brachten mich auf
einen verhängnisvollen Pfad.
Als die Tournee zu Ende war, ging ich mit Marilyn Manson ins
Studio, um Antichrist Superstar einzuspielen. In dieser Phase verlor ich
endgültig die Kontrolle über mein Leben, Ich war in einer furchtbaren Verfassung
und merkte langsam dass irgendetwas mit mir nicht in Ordnung war. Die
Auseinandersetzung mit meiner Psyche schlug sich in den Texten und der Musik des
‚The Fragile'-Albums nieder. Die Gedanken strömten regelrecht aus meinem Kopf.
Die Platte wurde veröffentlicht, stieg auf Platz eins der Charts ein, und ich
bildete mir ein, dass alles wieder in Ordnung sei. Aber nichts war in
Ordnung.
Dann brachen für mich ein paar finstere Jahre an. Ich ging
auf Tournee und fühlte mich jeden Tag beschissen. Als ich wieder zu Hause war,
hasste ich mich selbst. Ich war an einem Punkt, an dem ich nicht nur mich
selbst, sondern auch meine Karriere und sogar mein Musik verabscheute, Ich war
unfähig, zwischen Tourneen, Chartpositionen, Verkaufszahlen sowie guten und
schlechten Kritiken zu unterscheiden. Für mich war es alles das Gleiche, und es
machte mich unglücklich hatte keinen Lebenswillen mehr, kam mir vollkommen
wertlos vor und wollte sterben. Ich stand kurz vor dem Selbstmord. Erst die
Ermordung meines besten Freundes in New Orleans rüttelte mich wach. Ich erkannte
endlich, dass ich so nicht weitermachen durfte, denn das wäre mein sicherer Tod
gewesen- Mir wurde klar, dass ich nicht besser war als irgendein anderer Mensch
auf diesem Planeten, dass ich echte Freunde und vor allen Dingen Hilfe brauchte,
um endlich ein wenig mit meinem Leben klarzukommen.
Es dauerte zwei Jahre, bis es mir wieder einiger maßen gut
ging. Ich legte die Arbeit zur Seite und versuchte mich in meinem Leben
zurechtzufinden. Langsam konnte ich mein Dasein wieder genießen und endlich eine
Trennlinie zwischen der Liebe zur Musik und der Karriere ziehen. Ich lernte, mit
meinem Erfolg umzugehen und ihn als Teil meines Lobs zu akzeptieren. Nach
einiger Zeit bekam ich auch wieder Lust, Songs zu schreiben. Allerdings plagten
mich Zweifel, ob mein Gehirn nach diesen selbstzerstörerischen Jahren den
Anforderungen einer Albumproduktion überhaupt noch gewachsen war. Ich hatte
Angst, zu versagen. In Januar 2004 begann ich endlich damit, die ersten Songs
für ‚With Teeth' zu schreiben. überraschenderweise schossen mir die Ideen
regelrecht aus dem Kopf - Ich war glücklich, als ich sah wie leicht mir die
Kompositionen nüchtern von der Hand gingen. Mein Selbstbewusstsein stieg von Tag
zu Tag, und im Mai hatte ich bereits Material für zwei Alben zusammen. Im Sommer
nahmen wir die Platte auf, und im Herbst mixten wir sie."
"Einen Teil der restlichen Stücke werde ich für mein nächstes
Album aufbewahren, das am Ende der anstehenden Tournee fertig sein soll.
Momentan habe Ich so viel Zeit und Energie, dass ich vor Tatendrang nur so
strotze. Ich fühle mich verdammt gut. Ehrlich gesagt habe ich nicht damit
gerechnet, dass sich noch so viele Leute für meine Musik interessieren. Das sage
ich nicht, weil ich NINE INCH NAILS schlecht machen will, sondern weil mir
bewusst ist, wie lange ich von der Bildfläche verschwunden war. Die Such hat
mich viele Jahre meines Lebens gekostet, aber die Karten wurden neu
gemischt."
Für ein paar Wochen gehörte auch der deutsche Gitarrist
Ralph Dietel zu deinem neuen Live-Line-Up. Warum hast du ihn wieder
rausgeworfen?
"Ralph ist ein guter Gitarrist und ein netter Typ die
Entscheidung, ihn aus der Band zu werfen, ist mir nicht leicht gefallen. Als wir
mit den Proben für unsere Auftritte begannen, merkte ich, dass er den
Anforderungen nicht gewachsen war. Ab der dritten Probe machte er keine
Fortschritte mehr. Es war eine total ätzende Situation. Obwohl er unglaublich
engagiert war, spürten wir beide, dass ihn seine fehlenden Fortschritte in die
Knie zwingen würden. Im Endeffekt war es die beste Entscheidung die Sache
aufzugeben und nach einem neuen Gitarristen zu suchen."
"Bei "The Downward Spiral" und "The Fragile' hat man den
Eindruck, dass die Songs regelrecht ineinander fließen. Dieser organische
Charakter fehlt "With Teeth. War es deine Absicht, die Stücke dieses Mal
Eigenständig für sich stehen zu lassen, oder hat sich das zufällig
ergeben?
"Bei "The Downward Spiral' und ‚The Fragile" gab es ein
Grundkonzept, in das ich die Lieder "hineinkomponierte". Ich überlegte mir
Überschriften und erfand eine Art Handlungsablauf, der die Basis für das
Songwriting und die Texte war. ‚The Fragile habe ich damals im Studio
geschrieben. Ich will nicht sagen, dass das besser oder schlechter ist als eine
andere Herangehensweise. Fakt ist aber, dass das Komponieren, Produzieren und
Arrangieren der Lieder im Studio kaum voneinander trennbare Prozesse sind. Man
hat eine Grundidee für ein Stück ergänzt einen Bass-Sound, legt eine Gesangsspur
drauf - und fertig ist ein neuer Track.
Bei "With Teeth wollte ich richtige Demosongs schreiben. Sie
sollten die Basis für das Album sein. Ich zog nach Los Angeles und suchte mir
einen kleinen Proberaum in dem nur ein Klavier ein Drumcomputer und ein Mikrofon
standen. Dieses Mal begann ich mit dem Gesang, den Texten und den Akkorden. Erst
dann machte ich mich an das Arrangieren der Kompositionen. Nachdem ich die
Stücke fertig hatte, versuchte ich, sie in ein übergreifendes Konzept zu
integrieren. Allerdings merkte ich schnell, dass das nicht nötig war. Mir
gefielen die Songs, und ich fand es überflüssig, zwanghaft nach einem alles
umfassenden Kontext zu suchen. Ich schließe nicht aus, dass ich mein nächstes
Album wieder auf eine andere Art produziere, aber dieses Mal hatte ich einfach
Lust, etwas Neues auszuprobieren. Ich wollte die wiedergewonnene
Leistungsfähigkeit meines Gehirns ausnutzen. Als ich "The Fragile" schrieb,
konnte ich nicht klar denken. Ich musste zwangsweise mit Soundlandschaften
improvisieren, um meine Unzulänglichkeiten zu kompensieren."
Warum hast du dieses Mal ganz auf Instrumental-Stücke
verzichtet?
"Weil ich sehr schnell genügend gute Songs mit Texten zur
Auswahl hatte, musste ich keine Instrumental-Stücke mehr schreiben. Außerdem war
es mir wichtig, ein klassisches, kompaktes Album mit einer überschaubaren Anzahl
von Tracks und ohne Lückenfüller vorzulegen. Die Vergangenheit hat leider
gezeigt dass viele Kompositionen, die weniger auffällig, mir aber dennoch sehr
wichtig sind, nicht richtig wahrgenommen und verstanden werden. Ein Großteil
meiner Lieblingslieder steckt tief in den Alben, aber ich habe die Hoffnung
aufgegeben, dass die Hörer bis zu diesen Songs vordringen.
Seit einiger Zeit gibt es dein Label Nothing Records und
die dazugehörigen Studios nicht mehr, was hat dich veranlasst, das Unternehmen
zu schließen?
‚Alles, was in irgendeiner Form mit dem Namen Nothing zu tun
hat, wurde in der Vergangenheit gemeinsam von mir und meinem Manager John Malm
betrieben. John war lange Zeit wie ein Bruder für mich, dem ich vollkommen
vertraute. Als ich nach meinem Entzug wieder klar denken konnte, bemerkte Ich
allerdings, dass einige Dinge in unseren Unternehmen nicht in Ordnung waren. Ich
stellte ihm ein paar simple Fragen, Zum Beispiel: Wo ist mein Geld? Und ich
bekam Antworten, mit denen sich eine nüchterne Person nicht zufrieden gibt. Das
führte zu einer heftigen Auseinandersetzung bei der es nicht nur um Kohle ging.
Während meines Entzugs habe ich häufig mit Leuten zusammengesessen, die
erzählten, wie sie im betrunkenen Zustand ihre Frauen und Kinder terrorisiert
haben. In diesem Momenten dachte ich immer: Mein Gott, ich bin froh, dass ich
nie eine Familie gegründet habe, deren Leben ich vielleicht mit meinem
Alkoholismus zerstört hätte.
Neben dieser positiven Erkenntnis brachte mein Entzug aber
auch ein paar negative Konsequenzen mit sich. Die enge geschäftliche und
freundschaftliche Beziehung zu meinem Manager, die - so lange ich nicht klar
denken konnte - reibungslos funktioniert hatte, überstand die Veränderungen die
in mir vorgingen nicht. John und ich konnten nicht mehr zusammenarbeiten. Zudem
verschlang unser Label nur noch Zeit und Geld. Deswegen entschied ich mich, es
zu schließen. Das Equipment aus den Nothing-Studios gehört mir, und ich überlege
momentan, was ich damit machen werde. Ich glaube, dass ich in Los Angeles nicht
zwingend ein eigenes Studio brauche, denn in vielerlei Beziehung ist es reine
Zeitverschwendung. Natürlich ist es schön, einen eigenen Arbeitsplatz zu haben,
aber gleichzeitig kann man sich in einem Studio voller Equipment auch sehr
eingeengt fühlen. Ich kann mir gut vorstellen in Zukunft nur noch in fremden
Studios meine Alben zu produzieren und nach erledigter Arbeit einfach nach Hause
zu gehen. Ich bin glücklich, dass das Kapitel Nothing so gut wie abgeschlossen
ist"
Für viele war dein Umzug von New Orleans nach Los Angeles
eine Überraschung. In der glitzernden Musikmetropole wirst du vermutlich nicht
so anonym leben können wie in deiner alten Heimat.
"New Orleans ist tatsächlich das Gegenteil von Los Angeles.
Es ist ein seltsamer Ort, der irgendwo im Nichts liegt. Für mich hatte New
Orleans aber immer den Vorteil, dass ich mich gut verstecken konnte.
Rückblickend würde ich sagen, dass ich mich regelrecht isoliert habe und dass
mir das nicht gut bekommen ist. Ich hatte dort nur wenige Freunde, und es gab
kaum Leute, die in meinem Metier tätig waren. Wenn man ein Rockstar ist, kann es
schwer sein, eine Beziehung zu ganz normalen Menschen aufzubauen - und das sage
ich nicht arrogant oder abwertend. In Los Angeles leben viele meiner Freunde,
ich kann dort meine Geschäfte abwickeln und muss mich nicht mehr jeden Tag mit
Nothing abmühen. Dieser Umzug hat mir sehr gut getan. Als ich während der "The
Downward Spiral"-Phase in L.A. wohnte, knallte ich mich konsequent weg und baute
Scheiße. Echten Spaß hatte ich dabei nie. Heute ist alles anders. Ich hänge
nicht auf dem Sunset Boulevard zwischen den Promis ab, sondern setze mich auf
mein Mountain-Bike und fahre in die Natur wo mich niemand stört."
Lass uns zum Abschluss kurz über Two - das von dir als
Produzent betreute, frühere Projekt von Rob Halford - sprechen. Aus der Sicht
vieler Judas-Priest-Fans die momentan die Reunion der Band feiern, war "Voyeurs'
ein peinlicher Fehler Halfords. Wie denkst du heute über diese
Zusammenarbeit?
"Ich kann Rob sehr gut leiden, und ich fand es damals sehr
mutig von ihm, diesen Schritt zu wagen. Inzwischen klingt die Produktion
vielleicht ein wenig veraltet, aber peinlich ist mir diese Scheibe nicht. Die
Platte hätte ein wenig mehr Unterstützung vom Label und von den Vertrieben
gebrauchen können. Das war mein Fehler. Ansonsten habe ich an dieser Kooperation
aber nichts auszusetzen. Ich rechne Rob noch heute hoch an, dass er in der
Öffentlichkeit mit allen Konsequenzen zu diesem Album stand und Two vor der
Presse nicht zu einem unwichtigen Nebenprojekt degradiert hat.
Ich war nie ein richtiger Metalhead, aber mir ist immer
aufgefallen, wie sehr sich diese Szene ihren Ideologien verpflichtet fühlt. Die
Fans leben ihre Musik mit jedem Atemzug, besonders hier in Deutschland. Das
kritisiere ich auch nicht. Die mächtige Metal-Maschinerie ist ein sicherer Platz
für ihre Protagonisten, weil sich die Szene in meinen Augen nicht sonderlich
verändert. Es gelten Regeln, die vorgeben, was man zu tun und zu lassen hat, Ich
kann nachvollziehen, warum es Ablehnung gegen dieses Projekt gab, aber ich
bereue diesen Schritt nicht."
Conny Schiffbauer