Sechs Jahre warteten wir auf ein neues
Album von Nine Inch Nails. Trent Reznor ging in dieser Zeit durch die Hölle und
kommt nun mit einem kathartischen Werk ans Tageslicht
Der Fürst der
Finsternis sitzt lächelnd auf einer schneeweißen Couch. Ein leichter Frühlingswind
zieht durch den Raum. Es ist hell, freundlich, und das Mineralwasser schmeckt,
als sei es soeben im französischen Jura aus einer kühlen kleinen Quelle gesprudelt.
Die gepflegte Haut des Mannes schimmert in einem dezenten Bronze-Ton, der
verrät: Wellness-Farm, Sonnenseite, aber immer schön brav im Schatten gebräunt.
Der muskulöse Oberkörper dagegen berichtet von eisernen, aber klimagekühlten
Workouts in einem der exklusiveren Fitness-Clubs Hollywoods. Eigentlich hatte
man sich Trent Reznor ja ganz anders vorgestellt. Weniger gesund auf jeden
Fall. Zum Glück fallen ihm die noch immer lackschwarz gefärbten Haare romantisch
und ein wenig traurig ins Gesicht, als er sagt: „Ich hatte Angst, wahnsinnige
Angst. Wie sehr meine Musik davon beherrscht wurde, ist mir erst bei den
Arbeiten zu ,With Teeth‘ klar geworden.“
Nun ist der
Nine lnch Nails-Kommandant nicht gerade der Typ, von dem man ein solches
Bekenntnis erwartet. Seit über l5 Jahren gilt der 39jährige als Ikone des
Goth-Metal und als einer, der gerade dann gerne hinschaut, wenn andere entsetzt
wegsehen: Das Video zu „Happiness In Slavery“ wurde weltweit aus allen Sendern
verbannt, weil es zeigt, wie der selbsternannte Supermasochist und
Performancekünstler Bob Flanagan von einer Maschine vergewaltigt, gequält und
schließlich „getötet“ wird. Diese Inszenierung von Peter „Sleazy“
Christopherson, einem ehemaligen Mitglied der Industrial-Legende Throbbing
Gristle, ist selbst für S&M Fans kaum erträglich. 1994 mietete Reznor dann
das berüchtigte Anwesen am Cielo Drive 10050 in Los Angeles, um dort sein
Meisterwerk „The Dowonward Spiral“ einzuspielen. 25 Jahre zuvor hatten hier die
Jünger von Charles Manson die schwangere Schauspielerin Sharon Tate und vier
ihrer Freunde bestialisch ermordet. Für viele das endgültige Ende des Summer of
Love. Gerüchten zufolge soll Reznor bei seinem Auszug die mit „PIG“ beschmierte
Eingangstür mitgenommen haben. Die Verehrung von Serialkillern als romantische
Außenseiter der Gesellschaft war Mitte der 90er immerhin auf ihrem Höhepunkt.
Und das sogenannte Abseitige und Perverse übte auf den NIN-Frontmann schon
immer große Faszination aus.
Daß sich
unser Prince of Darkness anschließend ein ehemaliges Beerdigungsinstitut in New
Orleans zum Studio umbauen ließ, ist deshalb nicht verwunderlich. Dort entstand
die 1999 veröffentlichte Doppel-CD „Fragile“ ein zweistündiges Fegefeuer des
musikalischen Größenwahns, eine gotische Kathedrale des songfernen Lärms, bei
deren Errichtung der Bauherr weder auf Zeit noch auf Kosten geschaut hat.
Danach war Funkstille.
Abgesehen von der Remix-Sammlung „Things Falling Apart“, einer Tour und der
Live-DVD „And All That Could Have Been“ hat man sechs Jahre lang wenig von Reznor
gehört und gesehen. Lange Wartezeiten zwischen den einzelnen Nine Inch
Nails-Alben sind zwar nichts Neues, doch diesmal war das Schweigen dichter.
„With Teeth“
wirkt deshalb doppelt irritierend: Man hatte ja kaum noch mit dem Libertin und Düstermann
gerechnet, und nun kommt er tatsächlich zurück, mit einem Album voller...
Songs. Alle komplett alleine eingespielt, nur am Schlagzeug wurde er von Jerome
Dillon und dem beliebten Session-Trommler und Sänger der Foo Fighters Dave
Grohl unterstützt.
Was war los,
Herr Reznor? Die blauen Augen des Musikers weiten sich einen Moment, dann sagt
er mit einer völlig nüchternen und undramatischen Stimme: „Ich war kurz davor
zu sterben. Jahrelang habe ich meine schwere Abhängigkeit verdrängt, bis mich
die Trinkerei und mein Drogenkonsum fast umgebracht haben. Ich haßte mich
dafür, fühlte mich nutzlos. Auch meine Kunst litt darunter, ich hatte meine
Persönlichkeit komplett verloren, ich war an einem Endpunkt angekommen, den ich
nie wieder erleben möchte. Nach der letzten Tour mußte eine Entscheidung
fallen: Stirb oder werde gesund
Da sitzt man
einem Menschen gegenüber, den man bis vor wenigen Minuten für einen abgründigen
Wüstling hielt, und fühlt sich da bei wie ein Psycho-Therapeut. Trent Reznor
hat eine Menge zu erzählen, soviel ist klar: „Fragile‘ ist für mich ein
seltsames Album“, sprudelt es aus ihm heraus. „Ich wollte mich damals so
fühlen, als würde mir das Leben übel mitspielen. Doch alles, was ich im Studio
tun konnte, war improvisieren: fünf Spritzer komische Geräusche hier, ein paar
verzerrte Beats dort, und dann alles tüchtig durcheinander gerüttelt. Das klang
interessant, aber ich hatte keine Ahnung, was das alles sollte. (acht) Das ging
zwei jahrelang so. Plötzlich waren es 50 Spritzer komische Geräusche, und ich
hatte immer noch keine Ahnung, was ich da überhaupt tue. Es war verrückt. Ich
stürzte mich in die Sounds, weil.., ich das gut konnte. Was ich nicht konnte,
war Texte schreiben, was ich nicht mehr konnte, war Songs schreiben. Ich hoffe,
daß ich nie wieder so ein Album aufnehmen werde. Es ist verrückt, total
wahnsinnig. Es war eine Flucht vor der Angst. Nichts fürchtete ich damals so
sehr wie den Gedanken, dass mir die letzte line
Koks die letzte Gehirnzelle weggebrutzelt hat und ich nun definitiv nichts mehr
zu sagen habe.“
Er hat an
diesem Vormittag noch sehr viel mehr erzählt, über sein kaputtes Leben, über
den Trottel, den er angeblich jahrelang aus sich gemacht hat. Aber man muß das
nicht wissen, um zu verstehen, warum „With Teeth“ das beste Nine Inch
Nails-Album seit „TheDownward Spiral“ ist. Denn die Verwundbarkeit, die dieser
Apologet des Abseitigen neuerdings an den Tag legt, ist auch seine große
Stärke. Nirgendwo wird das so deutlich wie in „Right Were lt Belongs“, einem
Song, der zu seinen besten gehört. Obwohl man wenig mehr hört als ein
präpariertes Piano, etwas elektronisches Summen und Reznors anklagenden Gesang:
„See the animal in his cage that you build /Are you sure what side
you‘re on?/ Better not look him too closely in the eye/Are you sure wha tsideof
the glass you are on?“
Gegen Ende
verändert sich der subtile Sound des Stücks und damit auch die Perspektive des
Zuhörers. Ein raffinierter Kunstgriff; der nachdrücklich die Frage stellt: Wer
bin ich, und was ist meine Realität?
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