.

 

 

 

 

 

 

 

NIN-PAGES

Interviews

Album

Live

Gesamt-Übersicht

Jahr 2005

 

Rolling Stone

 

Mai 2005

 

Die Sonnenseite der Nacht

 

Autor: Jürgen Zimmer

 

 

 

Sechs Jahre warteten wir auf ein neues Album von Nine Inch Nails. Trent Reznor ging in dieser Zeit durch die Hölle und kommt nun mit einem kathartischen Werk ans Tageslicht

Der Fürst der Finsternis sitzt lächelnd auf einer schneeweißen Couch. Ein leichter Frühlingswind zieht durch den Raum. Es ist hell, freundlich, und das Mineralwasser schmeckt, als sei es soeben im französischen Jura aus einer kühlen kleinen Quelle gesprudelt. Die gepflegte Haut des Mannes schimmert in einem dezenten Bronze-Ton, der verrät: Wellness-Farm, Sonnenseite, aber immer schön brav im Schatten gebräunt. Der muskulöse Oberkörper dagegen berichtet von eisernen, aber klimagekühlten Workouts in einem der exklusiveren Fitness-Clubs Hollywoods. Eigentlich hatte man sich Trent Reznor ja ganz anders vorgestellt. Weniger gesund auf jeden Fall. Zum Glück fallen ihm die noch immer lackschwarz gefärbten Haare romantisch und ein wenig traurig ins Gesicht, als er sagt: „Ich hatte Angst, wahnsinnige Angst. Wie sehr meine Musik davon beherrscht wurde, ist mir erst bei den Arbeiten zu ,With Teeth‘ klar geworden.“

Nun ist der Nine lnch Nails-Kommandant nicht gerade der Typ, von dem man ein solches Bekenntnis erwartet. Seit über l5 Jahren gilt der 39jährige als Ikone des Goth-Metal und als einer, der gerade dann gerne hinschaut, wenn andere entsetzt wegsehen: Das Video zu „Happiness In Slavery“ wurde weltweit aus allen Sendern verbannt, weil es zeigt, wie der selbsternannte Supermasochist und Performancekünstler Bob Flanagan von einer Maschine vergewaltigt, gequält und schließlich „getötet“ wird. Diese Inszenierung von Peter „Sleazy“ Christopherson, einem ehemaligen Mitglied der Industrial-Legende Throbbing Gristle, ist selbst für S&M Fans kaum erträglich. 1994 mietete Reznor dann das berüchtigte Anwesen am Cielo Drive 10050 in Los Angeles, um dort sein Meisterwerk „The Dowonward Spiral“ einzuspielen. 25 Jahre zuvor hatten hier die Jünger von Charles Manson die schwangere Schauspielerin Sharon Tate und vier ihrer Freunde bestialisch ermordet. Für viele das endgültige Ende des Summer of Love. Gerüchten zufolge soll Reznor bei seinem Auszug die mit „PIG“ beschmierte Eingangstür mitgenommen haben. Die Verehrung von Serialkillern als romantische Außenseiter der Gesellschaft war Mitte der 90er immerhin auf ihrem Höhepunkt. Und das sogenannte Abseitige und Perverse übte auf den NIN-Frontmann schon immer große Faszination aus.

Daß sich unser Prince of Darkness anschließend ein ehemaliges Beerdigungsinstitut in New Orleans zum Studio umbauen ließ, ist deshalb nicht verwunderlich. Dort entstand die 1999 veröffentlichte Doppel-CD „Fragile“ ein zweistündiges Fegefeuer des musikalischen Größenwahns, eine gotische Kathedrale des songfernen Lärms, bei deren Errichtung der Bauherr weder auf Zeit noch auf Kosten geschaut hat.

Danach war Funkstille. Abgesehen von der Remix-Sammlung „Things Falling Apart“, einer Tour und der Live-DVD „And All That Could Have Been“ hat man sechs Jahre lang wenig von Reznor gehört und gesehen. Lange Wartezeiten zwischen den einzelnen Nine Inch Nails-Alben sind zwar nichts Neues, doch diesmal war das Schweigen dichter.

„With Teeth“ wirkt deshalb doppelt irritierend: Man hatte ja kaum noch mit dem Libertin und Düstermann gerechnet, und nun kommt er tatsächlich zurück, mit einem Album voller... Songs. Alle komplett alleine eingespielt, nur am Schlagzeug wurde er von Jerome Dillon und dem beliebten Session-Trommler und Sänger der Foo Fighters Dave Grohl unterstützt.

Was war los, Herr Reznor? Die blauen Augen des Musikers weiten sich einen Moment, dann sagt er mit einer völlig nüchternen und undramatischen Stimme: „Ich war kurz davor zu sterben. Jahrelang habe ich meine schwere Abhängigkeit verdrängt, bis mich die Trinkerei und mein Drogenkonsum fast umgebracht haben. Ich haßte mich dafür, fühlte mich nutzlos. Auch meine Kunst litt darunter, ich hatte meine Persönlichkeit komplett verloren, ich war an einem Endpunkt angekommen, den ich nie wieder erleben möchte. Nach der letzten Tour mußte eine Entscheidung fallen: Stirb oder werde gesund

Da sitzt man einem Menschen gegenüber, den man bis vor wenigen Minuten für einen abgründigen Wüstling hielt, und fühlt sich da bei wie ein Psycho-Therapeut. Trent Reznor hat eine Menge zu erzählen, soviel ist klar: „Fragile‘ ist für mich ein seltsames Album“, sprudelt es aus ihm heraus. „Ich wollte mich damals so fühlen, als würde mir das Leben übel mitspielen. Doch alles, was ich im Studio tun konnte, war improvisieren: fünf Spritzer komische Geräusche hier, ein paar verzerrte Beats dort, und dann alles tüchtig durcheinander gerüttelt. Das klang interessant, aber ich hatte keine Ahnung, was das alles sollte. (acht) Das ging zwei jahrelang so. Plötzlich waren es 50 Spritzer komische Geräusche, und ich hatte immer noch keine Ahnung, was ich da überhaupt tue. Es war verrückt. Ich stürzte mich in die Sounds, weil.., ich das gut konnte. Was ich nicht konnte, war Texte schreiben, was ich nicht mehr konnte, war Songs schreiben. Ich hoffe, daß ich nie wieder so ein Album aufnehmen werde. Es ist verrückt, total wahnsinnig. Es war eine Flucht vor der Angst. Nichts fürchtete ich damals so sehr wie den Gedanken, dass mir die letzte line Koks die letzte Gehirnzelle weggebrutzelt hat und ich nun definitiv nichts mehr zu sagen habe.“

Er hat an diesem Vormittag noch sehr viel mehr erzählt, über sein kaputtes Leben, über den Trottel, den er angeblich jahrelang aus sich gemacht hat. Aber man muß das nicht wissen, um zu verstehen, warum „With Teeth“ das beste Nine Inch Nails-Album seit „TheDownward Spiral“ ist. Denn die Verwundbarkeit, die dieser Apologet des Abseitigen neuerdings an den Tag legt, ist auch seine große Stärke. Nirgendwo wird das so deutlich wie in „Right Were lt Belongs“, einem Song, der zu seinen besten gehört. Obwohl man wenig mehr hört als ein präpariertes Piano, etwas elektronisches Summen und Reznors anklagenden Gesang:

 „See the animal in his cage that you build /Are you sure what side you‘re on?/ Better not look him too closely in the eye/Are you sure wha tsideof the glass you are on?“

Gegen Ende verändert sich der subtile Sound des Stücks und damit auch die Perspektive des Zuhörers. Ein raffinierter Kunstgriff; der nachdrücklich die Frage stellt: Wer bin ich, und was ist meine Realität?

oben