So antwortet ein sichtlich (auch noch am achten Interviewtag
in Folge) entspannter Trent Reznor auf meine Frage, wie es sich anfühlt, ein
Album zu veröffentlichen, das so viele Erwartungen mich sich zieht. Und ich muss
zugeben, dass ich ob des Eindruckes, den ich von ihm bekomme, etwas überrascht
bin. Es werden Trent Reznor ja eine Menge Eigenschaften zugeschrieben: So soll
er ein starrköpfiges Ekel sein, ein Besessener, und Reden (vor allem mit der
Presse) mag er schon gar nicht. Alles falsch. Zumindest in diesem Moment, in
einem von der Bar abgetrennten Raum im Berliner Nobelhotel Hyatt. Die Wände sind
mit rotem Samt ausgeschmückt, man sitzt auf schwarzem Leder und das Licht ist
gedimmt. Ein angemessenes Ambiente also, um den Meister der vertonten Dunkelheit
zu befragen. Das Medieninteresse ist wohl nervenaufreibend und so bekomme ich
nur 15 Minuten, um meine Fragen zu stellen. Fünfzehn Minuten sind nicht viel,
wenn man bedenkt, dass das letzte Studioalbum "The Fragile" gut sechs Jahre
zurückliegt und in der Zwischenzeit eine Menge passiert ist. Zum Beispiel gab es
einen Ortswechsel für Herr Reznor, der aus seiner Abgeschiedenheit in New
Orleans ausgebrochen ist, um sich in Los Angeles niederzulassen. Eigentlich ein
überraschender Schritt für jemanden, der mit "Starfuckers Inc." So etwas wie
eine Anti-Stardom-Hyme geschrieben hat, sich in der Fake Pastic City ein Zuhause
zu suchen. Aber laut eigener Aussage dennoch ein Schritt, der ihm gut getan hat.
Außerdem hat er seine schwelende Abhängigkeit von diversen illegalen Substanzen
hinter sich gelassen, was ihm nicht nur ein längeres Leben bescheren dürfte,
sondern auch zu neuen Höhen geführt hat, was sein kreatives Schaffen betrifft.
Und dann natürlich noch die komplette Auswechslung seiner Live-Band, was wieder
einmal unterstreiche, wer bei den NINE INCH NAILS der Kopf, das Rückgrat und die
Seele ist.
You know who you are?
Der Grund, wieso ich die Veränderungen, die das Leben von
Trent Reznor betreffen, an den Anfang dieses Artikels stelle, ist natürlich
nicht, dass ich euch auf dem Laufenden halten will, was den Klatsch betrifft,
sondern weil mir Trent Reznor während des Interviews zu verstehen gibt, dass
sich das alles stark auf die Entstehung von "With Teeth" ausgewirkt hat und dort
auch wiederzufinden ist. So hat er diesmal zuerst mit den Texten begonnen und
diese nach und nach musikalisch umgesetzt. Somit liegt natürlich auch ein
starkes Gewicht auf den Texten. Das ist ein ganz neuer Ansatz für Trent Reznor,
an dem das Erlebte der letzten Jahre schuld und der deshalb auch durchaus
angebracht ist.
"Ich kann jetzt klarer auf die Vergangenheit zurückblicken,
als ich es für eine lange Zeit konnte. Mein Leben war ganz schön außer
Kontrolle. 2001 beschloss ich endlich, clean zu werden. Eigentlich hatte ich
auch keine andere Wahl. Entweder clean werden oder sterben. Ich hatte seit der
Downward-Spiral-Tour mit (Drogen-)Abhängigkeit zu kämpfen und ein Nebeneffekt
dieses Zustandes war nicht nur geringes Selbstbewusstsein, sondern auch, dass
ich damit meine Fähigkeiten, Musik und auch Texte zu schreiben vernebelt habe.
Bei den Texten zeigte sich das am Deutlichsten. Während "The Fragile" habe ich
meine Situation mir selbst gegenüber nicht eingestehen können. Ich konnte nicht
wirklich klar denken. Ich konnte zwar ins Studio gehen und improvisieren und
dabei auf interessante Dinge stoßen, dieser Teil meines Gehirns hat also noch
funktioniert. Also tat ich es solange, bis ich ziemlich viel an Musik hatte.
Aber ich hatte ziemlich wenige Texte und das hat auch das Album bestimmt. Wenn
du mich damals so gefragt hättest, hätte ich dir nicht sagen können, was los
ist. Ich erkannte meinen Zustand nicht. Diesmal aber merkte ich, als ich mich
hingesetzt habe, um die Platte anzugehen, dass ich Fähigkeiten habe, die ich
lange nicht hatte. Es fühlte sich an, als hätte ich ein neues Gehirn und dazu
Superkräfte, die ich unbedingt benutzen wollte. Deshalb fing ich diesmal mit den
Texten an. Das ist es auch, was die Platte von "The Fragile" so unterscheidet.
Sie ist thematisch anders und deswegen klingt sie auch anders. Das fühlt sich
ziemlich gut an. Es war aber keine Reaktion auf "The Fragile". Es ist mehr so
passiert. Wenn ich mich hinsetze und Ideen ausbrüte, lassen sich einige davon
nicht wirklich umsetzen und andern Dinge funktionieren viel besser; als man
gedacht hätte. Man muss sich dann einfach mitreißen lassen."
Das klingt schon ganz schön nach geläutertem Rockstar. Nach
gelebten Erfahrungen und Konsequenzen, die aus diesen gezogen wurden. Und wenn
man sich die Albumtitel von den NINE INCH NAILS mit dieser Aussage im Kopf noch
einmal vor Augen führt, könnte man jene schon als Überschriften für die
Entwicklung von Trent Reznors Seelenleben stehen lassen. So beginnt er auf der
Tour zu "The Downward Spiral" den Tanz mit dem Drogenteufel und landet ziemlich
schnell selbst in der Abwärtsspirale. Das hinterlässt natürlich Spuren und führt
dazu, dass er um die Zeit von "The Fragile" schon nahe am Abgrund entlang
schlittert. Diese Stimmung hört man dem Album auch deutlich an, wie ich finde.
Eine ziemlich präsente Ziellosigkeit bestimmt diese Platte und auch wenn es
zwischen der ganzen Verwirrung immer wieder ruhige, harmonische Momente gibt, so
ist das mögliche Zerbrechen des Ganzen stets greifbar. Und jetzt kommt er mit
einem Album wieder, das er "With Teeth" nennt. Wenn man bei der von mir eben
vorgeschlagenen Lesart bleibt, kann das ja eigentlich nur positiv zu verstehen
sein. Er ist sich seiner Lage bewusst geworden, kann die Dämonen, die ihn jagen,
ausmachen und auch wenn er vielleicht mit dem Rücken zur Wand steht, "beißt er
zurück". Klingt ganz schön überzogen und ist auch nicht so ernst gemeint. Aber
trotzdem, der Gegensatz der beiden letzten Titel hat mich nicht losgelassen und
deshalb habe ich Trent Reznor auch gefragt, ob er diesen bewusst geschaffen hat
und ob meine Interpretation ungefähr hinkommt. Geantwortet hat er:
"Es war schon beabsichtigt. Es ist interessant die
Interpretation von anderen Menschen auf den Titel bezogen zu hören. Ich habe den
Titel gewählt weil er nicht sofort verrät, was ich eigentlich meine. Man kann
ihn verschieden lesen. Was mir daran gefiel, war, dass er ungewöhnlich und auch
gefährlich klang. Viele Themen der Platte befassen sich mit Sucht und sie sind
für mich so etwas wie Allegorien dafür geworden, aus einer ziemlich ausweglosen
Situation rauszukommen und in eine Art neue Welt einzutreten, die ich nicht ganz
verstehe. Viel kommt das von meinem Depressionen und dem Liebäugeln mit der
dunklen Seite, was ich oft getan habe. Ich fand das immer inspirierend. Und
früher, wenn ich mich schlecht fühlte, was wohl offensichtlich oft der Fall war,
habe ich es benutzt, mich zu inspirieren. Wenn ich mich gut fühle, schreibe ich
keine Songs. Das Problem an der Sache ist je weiter ich in die Dunkelheit
vorgestoßen bin, desto dunkler wurde es auch und ich konnte diese Dunkelheit
nicht einfach wieder loswerden. Ich habe dann versucht, das in etwas Gutes
umzuwandeln, denn wenn ich weiter ins Dunkel vorgedrungen wäre, wäre ich
vielleicht nicht mehr heraus gekommen. Und das ist es, was der Titel für mich
repräsentiert, etwas Gefährliches, etwas mit Zähnen das dich wirklich verletzen
kann. Das war jetzt die lange Version, wieso ich "With Teeth" als Titel genommen
habe."
Das zeigt einmal wieder, wie weit Dichtung und Wahrheit
auseinander liegen können und wieso man Deutschlehrern und Interpretationshilfen
nur bedingt vertrauen sollte, Aber dennoch bin ich überzeugt, dass mein Ansatz
nicht ganz falsch war und dass Mr. Reznor nicht einfach seine Dämonen besingt,
sondern versucht, sie zu vertreiben, indem er ihnen ins Antlitz blickt. Auch
musikalisch hat er versucht, die Stimmung der Texte zu unterstreichen. So ist
"With Teeth" das wohl bis dato reduzierteste Werk der NINE INCH NAILS. Mitunter
ist es so direkt und dreckig, dass man es glatt eine Rockplatte nennen will. Und
Trent Reznor hat nicht nur seine Herangehensweise ans Songwriting verändert,
sondern auch die Arbeit im Studio an sich. So wurde ungefähr die Hälfte der
Songs mit, wie er es nennt, "Live Drums" eingespielt. Bedient wurden diese
natürlich von niemand geringerem als dem Schlagzeuger der sich an den Fellen bei
NIRVANA einen beachtlichen Ruf erspielt hat und nachdem er zwischendurch von den
Drums an die Gitarre und ans Mikrofon gewechselt ist, zuletzt wieder als
"Edel-Schlagzeuger" sein Unwesen treibt. Man kann Dave Grohl wirklich nur
beneiden um die Liste an Platten, an denen er mitgewirkt hat. Was bei "With
Teeth" besonders auffällt, ist der stark ausgeprägte Live-Charakter der Songs.
Nachdem im Jahr 2002 erst die Live-CD und später auch die Live-DVD mit dem für
mich passendsten Titel da das meine einzige Live-Erfahrung mit den NINE NICH
NAILS bislang ist "And All That Could Have Been" erschien und ich somit eine
Vorstellung bekommen habe, wie selbst die dichtesten Songs live aufgebrochen
werden und dennoch nichts an Intensität verlieren (sogar noch gewinnen), kam ich
nicht umher zu fragen, ob sich die Arbeit an dem Live-Album auf "With Teeth"
ausgewirkt hat.
"Schwer zusagen. Es ist zumindest nicht bewusst passiert. Die
Arbeit an "And All That Could Have Been" war nicht sehr inspirierend. Ich sollte
das viel leicht ein bisschen klarer ausdrücken. Die meiste Zeit habe ich damit
verbracht, mir die Aufnahmen von Live-Shows anzuhören und mir die am wenigsten
misslungenen Songs rauszusuchen. Das Problem, wenn man sich Live-Shows anhört,
ist, dass man eine Menge Fehler hört aber nicht sieht was wirklich passiert. Und
oft ist was passiert - ziemliches Chaos. Die meiste Arbeit an der Live-Platte
war größtenteils, sich immer wieder dieselben Sachen anzuhören und diese zu
bearbeiten, Was ich mehr als Grund für den Sound von "With Teeth" sehen würde
ist Folgendes: Als ich angefangen habe, an der Platte zu arbeiten und die ersten
Sachen programmierte, fand ich es sehr ermüdend. Ich wollte, dass es mehr
klingt, als würden da tatsächlich Menschen spielen. Das hat aber nicht soviel
damit zu tun, dass ich es auf dem "normalen" Weg machen wollte, sondern das
bezog sich mehr auf die Texte. Ich wollte damit die Texte unterstützen, die eher
unsicher und rauer sind. Das sollte sich auch in der Musik wieder finden."
Und das tut es definitiv. Wie schon gesagt, man möchte es
fast eine Rockplatte nennen. Aber keine Angst, es ist natürlich ein NINE INCH
NAILS Album, und auch wenn die Herangehensweise dies mal eine andere war, kann
nun mal nur ein Trent Reznor am Besten NINE INCH NAILS-Alben machen.
The line begins to blur
Als ich mich auf das Interview vorbereitet habe, kam ich
natürlich nicht daran vorbei, bereits gegebene Interviews zu studieren, um mir
einen besseren Eindruck von der Person Trent Reznor zumachen. Und in einem
Interview aus dem Jahre 2002, auf das ich bei meiner Recherche stieß, sprach er
das erste Mal von neuen Songs. In diesem Interview beschrieb er den Klang der
neuen Songs mit the old JESUS & THE MARY CHAIN meet BAUHAUS meets JOY
DIVISION". Kurz bevor ich auf diese Stelle im Interview stieß, habe ich mir auf
meinem Schmierzettel den Namen JOY DIVISION notiert, weil mich ein paar Sounds
von "With Teeth" an eben jene Band erinnert haben. Nachdem ich mir für mein
geschultes Gehör auf die Schulter geklopft habe, kam mir die Idee, dass es ganz
schön viel Zielstrebigkeit verlangt, solange an einer Sound Vorstellung
festzuhalten. Ich habe mich gefragt, wie wichtig es für Trent Reznor ist, mit
eben so einer Vorstellung an das Schreiben von Songs und später auch ans
Aufnehmen dieser heranzugehen.
"Das ist eine sehr interessante Herangehensweise, da ich
diese Bands offensichtlich ziemlich viel höre. Bei dieser Platte war es so, dass
ich, bevor ich angefangen habe, wirklich daran zu arbeiten, schon eine ziemlich
genaue Vorstellung hatte, wie sie klingen wird. Ich hatte Ideen, was Sounds
betrifft die ich verwenden wollte, wie zum Beispiel Live-Drums, die ich mit
verschiedenen Dingen kombinieren wollte. Aber wenn man sich dann wirklich
hinsetzt und daran arbeitet, passiert es oft, dass dabei coolere Dinge um die
Ecke kommen als die Dinge, die man eigentlich machen wollte. Keine der Regeln
oder besser Richtlinien, die wir uns für dieses Album gesetzt hatten, haben sich
wirklich gehalten. Bei dieser Platte war meine Vorstellung mit den Live-Drums
verbunden. Ich wollte auf dieser Platte mehr wirkliche Performances haben und
nicht soviel computergestützte Musik verwenden. Der Grund dafür mag eine
Reaktion auf "The Fragile" sein. Es ging darum, ein Album zu machen, das nicht
so vollgestopft ist mit zu vielen Schichten und Sounds. Es wurden diesmal nur
die Parts für die Songs verwendet die unbedingt benötigt wurden. Außerdem bin
ich diesmal ganz anders an die Sache rangegangen. Ich habe zuerst mit den Texten
und den Melodien angefangen und habe dann einfache Arrangements mit Piano und
Drum-Maschine gemacht. Nicht so wie bei den vorangegangenen Platten, die ich
alle im Studio geschrieben habe. Ich glaube, das hat das Album sehr stark
geprägt Es ist eine viel stärker an den Songs orientierte Platte, ob das jetzt
gut ist oder nicht."
Mir gefällt zumindest sehr, was dabei herausgekommen ist.
Aber eine andere Sache, die in dem bereits erwähnten Interview auch stand, war,
dass sich Trent Reznor zu dem damaligen Zeitpunkt noch nicht sicher war, ob er
die Songs für NINE INCH NAILS verwenden würde. Da er es aber scheinbar doch
getan hat, lag die Frage nahe, was ein Song haben muss, damit er für NINE INCH
NAILS verwendet wird.
"Meine Einstellung hat sich verändert, während ich die Platte
gemacht habe. Während des Schreibensprozesses, habe ich wieder Vertrauen in mich
und meine Fähigkeiten bekommen. Ein paar Songs auf der Platte habe ich sehr
gemocht und war begeistert von ihnen, aber ich war mir trotzdem nicht sicher ob
sie zu NINE INCH NAILS passen. Was auch immer das bedeutet. Normalerweise
bedeutet es, dass ich mich nicht traue, die Songs NINE INCH NAILS zu verwenden,
weil sie zu catchy sind oder zu simpel oder Elemente in ihnen vorkommen, die bei
NINE INCH NAILS normalerweise nicht auftreten. Aber am Ende habe ich mir die
Frage gestellt, ob ich die Songs wirklich mag, und ja, das tue ich. Wenn ich mir
nicht sicher bin, ob ich bestimmte Songs mit auf eine Platte nehme, dann
meistens deswegen, weil ich Angst habe, dass jemand anderes sie als nicht
passend für NINE INCH NAILS empfinden könnte. Aber natürlich ist das kein guter
Grund, einen Song von der Platte zu nehmen. "The Hand That Feed" ist so ein
Song, bei dem ich mir nicht sicher war. Ich mag den Song sehr, aber hatte das
Gefühl, dass er zu catchy ist. Aber was ist falsch daran? Außerdem steht er
neben einem Song, der nicht im geringsten catchy ist und so gehen die zwei Songs
Hand in Hand. Am Ende habe ich nur Angst dass man sich über mich lustig macht
oder dass ich vorgehalten bekomme, ich würde nur versuchen, einen Song ins Radio
zu bekommen. Aber scheiß drauf; ich mache was ich will und ich bin bereit mich
den Schandmäulern zustellen. "All The Love In The World" ist ein anderer Sony,
bei dem ich das Gefühl hatte, dass er sich in eine Richtung entwickelt die nicht
typisch ist für NINE INCH NAILS. Aber ich habe während der Aufnahme eine
Gänsehaut bekommen, ich bekomme jetzt noch Gänsehaut wenn ich mir den Song
anhöre, und ich liebe diesen Song. Also habe ich ihn nicht nur auf das Album
gesetzt sondern gleich an die erste Stelle gepackt. Und wer damit nicht umgehen
kann, hat vielleicht ein falsches Bild von NINE INCH NAILS."
"All The Love In The World" ist wirklich ein ziemlich guter
Song.
"Ja das stimmt, und beinahe hättest du ihn nicht gehört, weil
ich Schiss hatte. Aber manch mal kann Angst auch motivieren. Was sicher ist, ist
tot. Das ist meine Theorie im Moment."
Und die Theorie funktioniert bestens. Es wäre wirklich eine
Schande gewesen, wenn es "All The Love In The World" nicht auf das Album
geschafft hätte.
Alles neu macht der Mai (?)
So sagt das Sprichwort. Trent Reznor scheinen die
Veränderungen gut getan und auch neu beflügelt zu haben. Aber wer jetzt Angst
hat. "With Teeth" würde nicht mehr die Tiefe und die für NINE INCH NAILS
typische fatalistische, gegen sich selbst gerichtete Melancholie, die sich oft
in Verzweiflung und in Wut steigern und nicht selten die totale seelische
Schwarze offenbaren, in sich tragen oder gar positiv gerichtet sein, der soll
hier beruhigt werden. Titel wie "Love Is Not Enough" oder "Getting Smaller"
lassen keine Zweifel aufkommen. Trent Reznor versteht es nur mittlerweile (und
er wird dieses Jahr 40!), die in ihm aufgestauten Gefühle in die richtige
Richtung zu kanalisieren und sich damit ein wenig mehr Ruhe und ein gesünderes
Leben zu verschaffen.
Pünktlich zum veränderten Sound gibt es auch einen viel
diskutierten Wechsel im Live-Line-Up der NINE INCH NAILS. Nicht weniger als die
gesamte Band wurde ausgewechselt. Der wohl populärste Neuzugang ist Twiggy
Ramirez (oder auch Jeordie White, wie sein bürgerlicher Name lautet, auf den er
sich nach seinem Ausstieg bei MARILYN IMANSON wieder besonnen hat) am Bass.
Trent Reznor hat in einem Online Chat dazu gesagt, dass es für ihn das Ende
eines guten Kapitels und den Anfang eines neuen bedeutet. Das ist zwar schön
formuliert, aber auch sehr vage, wie ich fand, und deshalb habe ich ihn mit
diesem Zitat konfrontiert.
"Nun ja, die Zusammensetzung der Band, die Leute in der Band
und die Art und Weise, wie sich das auf die Musik und die Show ausgewirkt hat,
drehte sich nach "And All That Could Have Been" im Kreis Ich hatte das Gefühl,
die Sache war am Ende angelangt. Ich habe jetzt neue Leute in der Band, ein
neues Gehirn im Kopf und eine neue Sicht auf das Leben, die meine Chancen auf
ein Weiterleben definitiv verbessert. Als ich die neue Platte geschrieben hatte,
bekam ich das Gefühl, dass die Songs noch nicht wirklich fertig waren. Die
Platte war schon fertig, nur die Songs noch nicht. Im Moment entwickelt sich da
noch Einiges. Es fühlt sich an wie ein neuer Anfang. So versuche ich das zu
sehen."
So so, ein neuer Anfang also. Die 15 Minuten, die ich Zeit
hatte, haben nun leider nicht ausgereicht, um die Person Trent Reznor nur im
Ansatz kennen zu lernen oder gar zu verstehen, und teilweise hatte ich schon das
Gefühl, dass mir da ein kleiner Dramatiker gegenüber saß. Ein bisschen zu oft
wurden da Phrasen benutzt, die sich sehr nach Rockstar-Wörterbuch anhörten. Auf
der anderen Seite, so radikal wie sich die Veränderungen durch sein Schaffen und
seine Lebensumstände ziehen, wäre es falsch, hier Aufmerksamkeitsgeheische zu
unterstellen. Er wird es wohl auch nicht nötig haben. Und was in Worte verpackt
vielleicht hier und da ein wenig plump erscheint, kommt auf Tonträger klar und
überzeugend. Und letztendlich ist es ja auch das, was wichtig ist. Hoffen wir
also, dass es ihm so gut geht, wie er sagt, denn dann können wir auch weiterhin
hoffen, dass so gute Alben wie "With Teeth" aus seiner Feder in unsere
Gehörgänge gelangen.
Norbert Specht