VISIONS: Ralf, bist du nach dem Ende von CMF sofort nach Los
Angeles aufgebrochen?
Ralf Dietel: Nachdem der GMF-Schlagzeuger an Tinnitus
erkrankt war, mussten wir die Band auf Eis legen. Ich habe einige Projekte in
Deutschland gestartet, aber die Idee, in die USA zu gehen, steckte seit 2000 in
meinem Kopf.
VISIONS: Wie kam's?
Dietel: Da ich musikmäßig schon immer alles initiiert habe,
wurde mir irgendwann klar, dass ich eigentlich überall auf der Welt Musik machen
konnte. Wenn man also freie Wahl hat, gibt es für mich nur drei Faktoren, die
wirklich wichtig sind: gute Musiker, Sonne und Meer - also definitiv nicht
Deutschland. Während meines ersten USA-Trips habe ich dann mit Freuden
festgestellt, dass es auch ein Leben ohne deutsche kleinkarierte Maßstäbe gibt.
Obendrein wissen es die Leute in Kalifornien noch zu schätzen, wenn man sein
Leben mit so unwichtigen Sachen wie Kunst verschwendet.
VISIONS: Wie hast du das gemacht mit der
Aufenthaltsgenehmigung, der Green Card und solchen Sachen?
Dietel: Nach zwei Trips, jeweils mit Dreimonatsvisum, bin ich
in eine Band eingestiegen, die gesignt wurde. Über die Plattenfirma habe ich
dann mein Künstlervisum bekommen. Das ist für Leute aus dem Film- und
Musikbereich und kann jedes Jahr verlängert werden.
VISIONS: Wie waren die ersten Wochen in L.A.? Wie hast du
Anschluss an die dortige Musikszene gefunden?
Dietel: Fast jeder dort kommt aus irgendeiner Ecke der Welt,
um Musik oder Filme zu machen. Deswegen knüpft jeder ständig Kontakte. Ein alter
Freund aus Deutschland hat zu der Zeit in Redondo Beach, zehn Minuten südlich
von Los Angeles, sein neues Album aufgenommen. Sein Label wird von den
Sublime-Jungs betrieben, und so habe ich gleich die richtigen Leute kennen
gelernt. Über den Produzenten bin ich dann zur Band vermittelt worden, die
gesignt wurde.
VISIONS: Wie hast du Trent kennen gelernt?
Dietel: Während der NIN-Auditions bin ich von ihm ins Studio
eingeladen worden. Dort hat Trent die letzten Stücke eingesungen und gemixt. Er
hat mir das neue Material vorgespielt und mir erklärt, worum es bei NIN geht.
Komischerweise stellt man sich die Leute immer größer vor, als sie dann
tatsächlich sind. So war es auch mit Trent.
VISIONS: Wie kamst du an den Vorspieltermin bei den
Auditions?
Dietel: Eine Freundin hat mir eines Tages eine E Mail
geschickt mit der Nachricht, dass NIN einen neuen Gitarristen mit
"Stageperformance" suchen. Ich war allerdings recht spät dran, und als ich zu
den Auditions eingeladen wurde, hatten sie schon einen ganzen Haufen Leute
gemustert. Was sie auf gar keinen Fall haben wollten, war ein Nine Inch
Nails-Klon. Meine erste Audition wurde auf Video aufgezeichnet, kein einziges
Bandmitglied war anwesend. Am nächsten Tag bekam ich einen Anruf von Jeordie und
Jerome: sie wollten mich begutachten. Ich habe dann zu zwei Songs vom Band die
Bühnensau rausgelassen. Ich bekam am selben Tag den Anruf, dass Trent mich
kennen lernen will. Er kam zur letzten Audition und hat mir nach meinem Auftritt
die Hand geschüttelt, gelacht und gesagt: "Thanks for coming out tonight, you
were the only guy who is not a pussy. You rock!"
VISIONS: Wie hast du Trent als Bandleader, als Kollegen, als
Menschen erlebt?
Dietel: Trent ist ein superlieber Typ. Als etwa mein Auto
während der ersten Wochen gestohlen wurde, hat er mir seinen Jeep für eine Weile
geliehen. Seinem Ruf nach ist er ziemlich launisch, was ich nicht bestätigen
kann. Er ist sehr zurückgezogen, und es ist schwierig, wirklich an ihn
ranzukommen. Wenn man wie er jeden Tag von unzähligen Speichelleckern umgeben
ist, wird es auch schwierig, Leuten zu vertrauen oder sich zu öffnen. Dennoch
wurde viel gelacht und die ganze NIN-Crew war eine enge Familie.
VISIONS: Was erwartet er von einem Musiker? Hat man eine Form
von kreativem Freiraum?
Dietel: Trent hat den Ruf, ein absoluter Perfektionist zu
sein. Da war ich mit meiner deutschen Gründlichkeit also beim Richtigen. Er
erwartet von seinen Musikern hundertprozentige Hingabe. Ideen anderer Musiker
gegenüber ist er absolut aufgeschlossen. Fr hat seine feste Vorstellung von
seinen Songs, erwartet aber auch persönlichen Input jedes Einzelnen.
VISIONS: Was war einfach, was war schwierig als Musiker unter
seiner Ägide?
Dietel: Finfach war die ganze Atmosphäre. Jeder hat jedem
geholfen, denn es war klar, was für ein Haufen Arbeit bei dem vorgegebenen
Zeitplan auf jedem lastet. Der einzige, der von der alten Band übrig geblieben
war, ist Jerome. Er war es auch, der die neue Band musikalisch zusammen gehalten
hat. Da es keine wahnsinnigen Gitarrensoli bei NIN gibt, ist der technische
Aspekt relativ easy. Kompliziert wird es dann bei den Arrangements. Drei Minuten
Musik ohne Gitarre, und nach dem 102. Takt steigt dann die Gitarre ein.
Als ich die alten Songs gelernt habe, war dann auch oft nicht klar, was
eigentlich Gitarre und was Keyboard ist. Da fängt bei NIN die Arbeit an:
abgedrehte Sounds und Tunings.
VISIONS: Warum bist du wieder ausgestiegen? Gab's
Differenzen?
Dietel: Kurz bevor ich bei NIN eingestiegen bin, hat sich
plötzlich die jahrelange Arbeit bezahlt gemacht, ich bekam mit meiner eigenen
neuen Band Suicide Holiday Angebote von diversen Labels und Managements. Da war
die Überraschung dann umso größer, als ich den Leuten erklären musste, dass ich
bei NIN einsteige. In einer solchen Band zu spielen, heißt aber auch:
Man wird schnell vom ‚Leader' zum ‚Follower' und ist die
nächsten Jahre weg vom Fenster. Als wir dann die neuen Songs für die Welttour
geprobt haben, war ich der Einzige, der keinen Gitarrentechniker zur Hilfe
hatte. Stattdessen wurde meine Anlage ständig ausgetauscht, und ich musste jedes
Mal die ganzen Sounds der Songs, die ich bereits gelernt hatte, neu einstellen.
Es wurde von Tag zu Tag mehr und Schlaf etwas Kostbares. Mir wurde klar, dass
das Ganze nicht mehr meins ist, also stieg ich wieder aus.
VISIONS: Was machst du jetzt?
Dietel: Momentan bin ich im Studio und arbeite an "Welcome To
The Dark Side Of Rock" meiner Band Suicide Holiday. Da ich die Songs schreibe,
auf nehme, produziere und mische, ist das ein Ganztagsjob. Ende Mai gehen wir
auf eine kleine USA-Tour und danach werden wir den Rest der Welt in Schutt und
Asche legen.
VISIONS: Die besten Erfahrungen, die du bislang drüben als
Musiker und Mensch gemacht hast?
Dietel: Die ganzen Gerüchte von den oberflächlichen Amis
haben sich zum Glück nicht bestätigt. Was weltpolitisch abgeht, wird in
Kalifornien genauso abgelehnt wie in Deutschland. Die Leute sind hier wesentlich
netter und zugänglicher. Man wird für das, was man ist, respektiert, nicht für
das, was man hat. Mit meiner Lieblingsband Mother Tongue abzuhängen und sie in
kleinen Clubs spielen zu sehen, ist für mich unbezahlbar. Es ist egal, an
welchem Ende der Welt man sich aufhält, solange man wahre Freunde findet und die
Sonne scheint.
VISIONS: Wirst du noch mal nach Deutschland
zurückkommen?
Dietel: Im Leben weiß man nie, was kommt, aber natürlich
werde ich wieder nach Deutschland kommen, auch wenn es nur zu Besuch sein wird.
Spätestens zur WM 2006!
Sascha Krüger