„In den SAW-Filmen ist zu viel oft gerade genug. Kein Klang,
den ich zu erzeugen in der Lage bin, ist zu heftig, kein Finale zu bombastisch,
keine Melodie zu düster, um sie einbringen zu können“
Horrorfilme basieren auf einer
Reihe von Mustern und Regeln. Für passionierte Genregucker macht dies einen
besonderen Reiz aus, andererseits stechen Werke, die sich vom Altbekannten
absetzen, in Anbetracht der verbreiteten Formelhaftigkeit noch deutlicher hervor.
SAW zählte fraglos zu den auffälligen Erscheinungen, die etwas Eigenes zur
Gattungsgeschichte beitragen. Auch die Musik zu den ersten beiden Teilen unterschied
sich elementar vom gängigen Spiel auf der Kompositionsklaviatur. Charlie
Clouser, ehemals bei den Nine Inch Nails aktiv, schuf einen detailreichen Score
abseits des Mainstream, dem es weder an enervierenden Ausbrüchen noch an
schönen Melodiebögen mangelt. Anlässlich seiner jüngsten Arbeit für SAW III
ließ sich der Klangmaler in einem ausführlichen Gespräch in die Karten blicken.
Orkus: Wusstest du während der
Arbeit am SAW-Score schon, worauf du dich da einlässt — dass es Fortsetzungen
geben würde, die ebenfalls Musik benötigen?
Charlie Clouser: Als ich die
Musik für den ersten Film schrieb, war das noch ein reines Independent-Projekt
Es ist inzwischen kaum mehr vorstellbar, aber es war tatsächlich nicht sicher,
ob SAW jemals in die Kinos kommen würde. Nachdem er dann erfolgreich gelaufen
war, musste ich erst mal die Dateien aufräumen, um das Material für die Arbeit
an den Sequels zur Hand zu haben. Es stellte sich heraus, dass ich den Score
für SAW in solcher Eile vollendet hatte, dass manche der Originalaufnahmen
unauffindbar verschwunden waren und es bis heute geblieben sind.
O: Also war ziemlich bald klar,
dass du mit musikalischen Themen arbeiten würdest, die die gesamte Serie durchziehen sollten?
CC: Ja. Wie Jigsaw selbst sollten
auch einige musikalische Elemente immer wieder auftauchen und sofort
wiedererkennbar sein. Das gilt für diverse thematische Einsätze gegen Ende der
ersten drei Filme, die eng miteinander verknüpft sind, aber auch für Details
wie ein mit einer Pedal-Steel-Gitarre erzeugtes, brummendes Geräusch, das jedes
Mal zu hören ist, wenn jemand eines von Jigsaws Anweisungsvideos abspielt, und
mit einem tiefen Synthiepuls und einer Art Möwengeschrei einhergeht, das
ebenfalls von der Pedal-Steel stammt. Solche akustischen Anhaltspunkte für den
Zuschauer gibt es in verschiedenen Zusammenhängen.
O: Deine Scores sind eine sehr interessante
Mischung aus traditionellen Filmmusikelementen, Einflüssen aus der klassischen
Musik des 20. Jahrhunderts und Industrial-Anleihen...
CC: Diese Kombination war von
James Wan von Anfang an geplant. Die Musik, die er unächst als Orientierung unterlegt hatte,
enthielt Stücke von Ministry oder den Einstürzenden
Neubauten neben Musik von Bernard Herrmann (der unter anderem den Score zu
Hitchcocks Psycho schrieb — Anm.d.Verf.). Die Idee, das lndustrial-Chaos von
einem gefühlvollen roten Faden durchziehen zu lassen, stand ergo ganz am Beginn
meiner Arbeit.
O: Und sie ist es ja letztlich
auch, die die spezielle Faszination deiner SAW- Scores ausmacht Der Wechsel
zwischen tonalem Terror und schönen kleinen Motiven, die direkt ins Ohr und ans
Herz gehen...
CC: Der Plot aller SAW-Streifen
kreist im Grunde um eine einzige Frage: ‚Wie weit würdest du gehen, um dich
oder deine Familie zu retten?“ Jigsaw stellt sie verschiedenen Charakteren —
mit brutalen Resultaten. Mitten in diesem Geschehen muss die Musik an die
Gefühle der Figuren erinnern. Wenn sich Jeff in SAW III entschließt, die
Erinnerungsstücke an seinen Sohn zu verbrennen, dann geht dem ein intensives
inneres Ringen voraus. Der Score spiegelt diesen Prozess wider, indem sich ein
Pianothema aus dem Wummern der Trommeln herausschält So vermittelt sich dem
Zuschauer die emotionale Seite der Handlung.
O: Ist es nicht unglaublich
schwierig angesichts einer derartigen Fülle an Details und so vieler kleiner
Passagen, die nur ein paar Sekunden lang sind, den Blick für das große Ganze zu
bewahren?
CC: Nun ja. Einerseits habe ich
tatsächlich versucht, auch die kleinen Teilstücke zu musikalischen Miniaturen
zu machen. Andererseits war es mein Hauptanliegen, dass der Score insgesamt
sehr eng mit den Bildern verknüpft ist. Er soll wirken, als würden die
Schauspieler die musikalischen Phrasen mit ihren Lungen kontrollieren, die
Musik atmen. Die Klänge sollten exakt auf die Aktionen und Dialoge abgestimmt
sein. Wenn die Gespräche im Filmplot wie in sich abgeschlossene Kapitel einer
großen Geschichte wirken, so gilt das auch für meine Kompositionen. Dass das
funktioniert, liegt in erster Linie an der Arbeit von Drehbuchautoren und Regisseur.
Ich musste im Grunde einfach ihren Vorlagen folgen.
O: Heißt das, dass du diese
Kapitel jeweils als Ganzes angegangen bist und dich auf dieser Basis zu den
Details vorgearbeitet hast?
CC: Jein. Ich habe mir erst einige wichtige
Passagen vorgenommen, etwa die Räume, in denen Jigsaws Opfer ihr Schicksal
erleiden. Oder bestimmte kleinere Themen, die stetig wiederkehren. In gewissem
Maße arbeite ich auch immer rückwärts. Das hat den Vorteil, dass ich Themen,
die zum Ende hin voll ausgearbeitet auftauchen leichter bruchstückhaft in früheren
Passagen anklingen lassen kann, nachdem sie einmal fertig sind. Ich arbeite
also nicht chronologisch, sondern indem ich wichtige Parts komponiere und das Dazwischenliegende
auffülle.
O: Es leuchtet unmittelbar ein,
dass du dich bei deiner Arbeit auch intensiv mit der Handlung und der Wirkung
des Films auseinandersetzen musst. Was reizt dich besonders am SAW-Stoff?
CC: Seine Intensität! Sie
eröffnet die Möglichkeit für eine sehr extreme musikalische Ausgestaltung. In
den SAW-Filmen ist ‚zu viel oft gerade genug. Kein Klang, den ich zu erzeugen
in der Lage bin, ist zu heftig, kein Finale zu bombastisch, keine Melodie zu
düster, um sie einbringen zu können.
O: Und der Gewaltgehalt? Kritiker
der Reihe empfinden die Gewaltdarstellung in den SAW-Filmen als sehr extrem,
als sadistischen Selbstzweck...
CC: Ich für meinen Teil verlasse
gewalttätige Filme immer mit einer wesentlich positiveren Lebenseinstellung und
fahre auf dem Nachhauseweg für gewöhnlich extrem vorsichtig! Filme wie SAW sind
Phantasiegebilde. Ich ordne die Gewalt ähnlich ein wie die in der Herr der
Ringe-Trilogie oder den Star Wars-Filmen. Es geht um einen Kampf, egal ob man
das Ringen der SAW-Charaktere oder Peter Jacksons Schlachtengemälde nimmt. Am
Ende fühlt sich der Zuschauer erleichtert. Nicht jeder, doch das hat eher mit
der persönlichen Wahrnehmung des Einzelnen zu tun.
O: Apropos „Star Wars“: Hast du
zunächst mit dem Gedanken gespielt, Jigsaw ein markantes Thema im Stile von
John Williams‘ Imperial March zu verpassen? Einen Filmmusikohrwurm wie John
Carpenters Halloween-Titel, der auf ewig mit dieser Figur verbunden sein wird?
CC: In der Tat mag ich es, wenn
mich Musik unweigerlich an eine Filmszene erinnert An der schönen blauen Donau
von Johann Strauß? 2001:
Odyssee im Weltraum. György Ligetis Musica Ricercata? Eyes Wide Shut. Ich
habe auch versucht, ähnliche Effekte zu erzielen. Das scheint mir ja allerdings
nur bedingt geglückt zu sein...
O: Ich wollte durchaus nicht in
Abrede stellen, dass es markante Motive gibt die man wiedererkennt. Der
Unterschied liegt vielleicht darin, dass deine kompositorische Vorgehensweise
subtiler ist. Zum Beispiel dein Einsatz von Orchesterklängen...
CC: Stimmt. Ich brauchte bloß
eine kleine Auswahl aus dem breiten Spektrum an Klangfarben, die ein Orchester
bietet: ein paar tiefe Blechbläser und einige kratzige Streicher. Also
erledigte ich das meiste davon am Computer. So komme ich auch am schnellsten zu
einem Ergebnis, das meinen Vorstellungen entspricht Ich habe alle Sounds sehr
stark bearbeitet. Ich habe Tonlagen und Geschwindigkeiten verändert und an
allem herumgeschraubt, bis es einen ganz eigenen Klang hatte. Zum Ende hin
bricht dann ein unverfremdetes Streichquartett durch, um den Schmerz der
Schlusssequenzen zu unterstreichen.
O: Neben dem Quartett hast du
auch mit deinem ehemaligen Nine Inch Nails-Kollegen Danny Lohrier sowie Limp
Bizkit-Gitarrengenie Wes Borland zusammengearbeitet. Warum diese beiden?
CC: Danny hat immer ein paar
interessante Ideen auf Lager, die er aus seinem Laboratorium mitbringt Und was
Wes betrifft: Ich bin ein großer Fan seines Spiels, seit ich das Intro zu
Nookie das erste Mal gehört habe. Er ist der innovativste Gitarrist, den ich
kenne. Vor allem ist er total auf sein Spiel und sein Instrument fixiert. An
welchen Verstärker die Gitarre angeschlossen ist, ist ihm absolut egal. Er hat
seine Parts für SAW II und SAW III jeweils an einem einzigen Tag eingespielt.
Er kam ins Studio, klaubte ein Kabel vom Boden, stöpselte ein, und da ein
Signal übertragen wurde, fingen wir an, aufzunehmen. Es klang genau richtig,
daher konnten wir uns das Suchen nach irgendwelchen Einstellungen gleich
schenken. Danny betreibt Brainstorming im Labor, Wes kommt vorbei und spielt
drauflos. So hat es jetzt zweimal funktioniert, und wir werden es weiterhin so
halten, so lange, bis die beiden die Nase voll haben von mir.
O: Heißt das, dass du auch bei
SAW IV wieder mit von der Partie sein wirst?
CC: Ja, das ist bereits bestätigt
und eingeplant Also: Wir sehen uns im Kino. Nächstes Jahr um dieselbe Zeit!
www.saw3.com
Christoph Kutzer
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