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Jahr 2007

 

Orkus

 

Februar 2007

 

Mörderische Miniaturen

 

Autor: Christoph Kutzer

 

„In den SAW-Filmen ist zu viel oft gerade genug. Kein Klang, den ich zu erzeugen in der Lage bin, ist zu heftig, kein Finale zu bombastisch, keine Melodie zu düster, um sie einbringen zu können“

Horrorfilme basieren auf einer Reihe von Mustern und Regeln. Für passionierte Genregucker macht dies einen besonderen Reiz aus, andererseits stechen Werke, die sich vom Altbekannten absetzen, in Anbetracht der verbreiteten Formelhaftigkeit noch deutlicher hervor. SAW zählte fraglos zu den auffälligen Erscheinungen, die etwas Eigenes zur Gattungsgeschichte beitragen. Auch die Musik zu den ersten beiden Teilen unterschied sich elementar vom gängigen Spiel auf der Kompositionsklaviatur. Charlie Clouser, ehemals bei den Nine Inch Nails aktiv, schuf einen detailreichen Score abseits des Mainstream, dem es weder an enervierenden Ausbrüchen noch an schönen Melodiebögen mangelt. Anlässlich seiner jüngsten Arbeit für SAW III ließ sich der Klangmaler in einem ausführlichen Gespräch in die Karten blicken.

Orkus: Wusstest du während der Arbeit am SAW-Score schon, worauf du dich da einlässt — dass es Fortsetzungen geben würde, die ebenfalls Musik benötigen?

Charlie Clouser: Als ich die Musik für den ersten Film schrieb, war das noch ein reines Independent-Projekt Es ist inzwischen kaum mehr vorstellbar, aber es war tatsächlich nicht sicher, ob SAW jemals in die Kinos kommen würde. Nachdem er dann erfolgreich gelaufen war, musste ich erst mal die Dateien aufräumen, um das Material für die Arbeit an den Sequels zur Hand zu haben. Es stellte sich heraus, dass ich den Score für SAW in solcher Eile vollendet hatte, dass manche der Originalaufnahmen unauffindbar verschwunden waren und es bis heute geblieben sind.

O: Also war ziemlich bald klar, dass du mit musikalischen Themen arbeiten würdest, die die  gesamte Serie durchziehen sollten?

CC: Ja. Wie Jigsaw selbst sollten auch einige musikalische Elemente immer wieder auftauchen und sofort wiedererkennbar sein. Das gilt für diverse thematische Einsätze gegen Ende der ersten drei Filme, die eng miteinander verknüpft sind, aber auch für Details wie ein mit einer Pedal-Steel-Gitarre erzeugtes, brummendes Geräusch, das jedes Mal zu hören ist, wenn jemand eines von Jigsaws Anweisungsvideos abspielt, und mit einem tiefen Synthiepuls und einer Art Möwengeschrei einhergeht, das ebenfalls von der Pedal-Steel stammt. Solche akustischen Anhaltspunkte für den Zuschauer gibt es in verschiedenen Zusammenhängen.

O: Deine Scores sind eine sehr interessante Mischung aus traditionellen Filmmusikelementen, Einflüssen aus der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts und Industrial-Anleihen...

CC: Diese Kombination war von James Wan von Anfang an geplant. Die Musik, die er  unächst als Orientierung unterlegt hatte, enthielt Stücke von Ministry oder den  Einstürzenden Neubauten neben Musik von Bernard Herrmann (der unter anderem den Score zu Hitchcocks Psycho schrieb — Anm.d.Verf.). Die Idee, das lndustrial-Chaos von einem gefühlvollen roten Faden durchziehen zu lassen, stand ergo ganz am Beginn meiner Arbeit.

O: Und sie ist es ja letztlich auch, die die spezielle Faszination deiner SAW- Scores ausmacht Der Wechsel zwischen tonalem Terror und schönen kleinen Motiven, die direkt ins Ohr und ans Herz gehen...

CC: Der Plot aller SAW-Streifen kreist im Grunde um eine einzige Frage: ‚Wie weit würdest du gehen, um dich oder deine Familie zu retten?“ Jigsaw stellt sie verschiedenen Charakteren — mit brutalen Resultaten. Mitten in diesem Geschehen muss die Musik an die Gefühle der Figuren erinnern. Wenn sich Jeff in SAW III entschließt, die Erinnerungsstücke an seinen Sohn zu verbrennen, dann geht dem ein intensives inneres Ringen voraus. Der Score spiegelt diesen Prozess wider, indem sich ein Pianothema aus dem Wummern der Trommeln herausschält So vermittelt sich dem Zuschauer die emotionale Seite der Handlung.

O: Ist es nicht unglaublich schwierig angesichts einer derartigen Fülle an Details und so vieler kleiner Passagen, die nur ein paar Sekunden lang sind, den Blick für das große Ganze zu bewahren?

CC: Nun ja. Einerseits habe ich tatsächlich versucht, auch die kleinen Teilstücke zu musikalischen Miniaturen zu machen. Andererseits war es mein Hauptanliegen, dass der Score insgesamt sehr eng mit den Bildern verknüpft ist. Er soll wirken, als würden die Schauspieler die musikalischen Phrasen mit ihren Lungen kontrollieren, die Musik atmen. Die Klänge sollten exakt auf die Aktionen und Dialoge abgestimmt sein. Wenn die Gespräche im Filmplot wie in sich abgeschlossene Kapitel einer großen Geschichte wirken, so gilt das auch für meine Kompositionen. Dass das funktioniert, liegt in erster Linie an der Arbeit von Drehbuchautoren und Regisseur. Ich musste im Grunde einfach ihren Vorlagen folgen.

O: Heißt das, dass du diese Kapitel jeweils als Ganzes angegangen bist und dich auf dieser Basis zu den Details vorgearbeitet hast?

CC:  Jein. Ich habe mir erst einige wichtige Passagen vorgenommen, etwa die Räume, in denen Jigsaws Opfer ihr Schicksal erleiden. Oder bestimmte kleinere Themen, die stetig wiederkehren. In gewissem Maße arbeite ich auch immer rückwärts. Das hat den Vorteil, dass ich Themen, die zum Ende hin voll ausgearbeitet auftauchen leichter bruchstückhaft in früheren Passagen anklingen lassen kann, nachdem sie einmal fertig sind. Ich arbeite also nicht chronologisch, sondern indem ich wichtige Parts komponiere und das Dazwischenliegende auffülle.

O: Es leuchtet unmittelbar ein, dass du dich bei deiner Arbeit auch intensiv mit der Handlung und der Wirkung des Films auseinandersetzen musst. Was reizt dich besonders am SAW-Stoff?

CC: Seine Intensität! Sie eröffnet die Möglichkeit für eine sehr extreme musikalische Ausgestaltung. In den SAW-Filmen ist ‚zu viel oft gerade genug. Kein Klang, den ich zu erzeugen in der Lage bin, ist zu heftig, kein Finale zu bombastisch, keine Melodie zu düster, um sie einbringen zu können.

O: Und der Gewaltgehalt? Kritiker der Reihe empfinden die Gewaltdarstellung in den SAW-Filmen als sehr extrem, als sadistischen Selbstzweck...

CC: Ich für meinen Teil verlasse gewalttätige Filme immer mit einer wesentlich positiveren Lebenseinstellung und fahre auf dem Nachhauseweg für gewöhnlich extrem vorsichtig! Filme wie SAW sind Phantasiegebilde. Ich ordne die Gewalt ähnlich ein wie die in der Herr der Ringe-Trilogie oder den Star Wars-Filmen. Es geht um einen Kampf, egal ob man das Ringen der SAW-Charaktere oder Peter Jacksons Schlachtengemälde nimmt. Am Ende fühlt sich der Zuschauer erleichtert. Nicht jeder, doch das hat eher mit der persönlichen Wahrnehmung des Einzelnen zu tun.

O: Apropos „Star Wars“: Hast du zunächst mit dem Gedanken gespielt, Jigsaw ein markantes Thema im Stile von John Williams‘ Imperial March zu verpassen? Einen Filmmusikohrwurm wie John Carpenters Halloween-Titel, der auf ewig mit dieser Figur verbunden sein wird?

CC: In der Tat mag ich es, wenn mich Musik unweigerlich an eine Filmszene erinnert An der schönen blauen Donau von Johann Strauß? 2001: Odyssee im Weltraum. György Ligetis Musica Ricercata? Eyes Wide Shut. Ich habe auch versucht, ähnliche Effekte zu erzielen. Das scheint mir ja allerdings nur bedingt geglückt zu sein...

O: Ich wollte durchaus nicht in Abrede stellen, dass es markante Motive gibt die man wiedererkennt. Der Unterschied liegt vielleicht darin, dass deine kompositorische Vorgehensweise subtiler ist. Zum Beispiel dein Einsatz von Orchesterklängen...

CC: Stimmt. Ich brauchte bloß eine kleine Auswahl aus dem breiten Spektrum an Klangfarben, die ein Orchester bietet: ein paar tiefe Blechbläser und einige kratzige Streicher. Also erledigte ich das meiste davon am Computer. So komme ich auch am schnellsten zu einem Ergebnis, das meinen Vorstellungen entspricht Ich habe alle Sounds sehr stark bearbeitet. Ich habe Tonlagen und Geschwindigkeiten verändert und an allem herumgeschraubt, bis es einen ganz eigenen Klang hatte. Zum Ende hin bricht dann ein unverfremdetes Streichquartett durch, um den Schmerz der Schlusssequenzen zu unterstreichen.

O: Neben dem Quartett hast du auch mit deinem ehemaligen Nine Inch Nails-Kollegen Danny Lohrier sowie Limp Bizkit-Gitarrengenie Wes Borland zusammengearbeitet. Warum diese beiden?

CC: Danny hat immer ein paar interessante Ideen auf Lager, die er aus seinem Laboratorium mitbringt Und was Wes betrifft: Ich bin ein großer Fan seines Spiels, seit ich das Intro zu Nookie das erste Mal gehört habe. Er ist der innovativste Gitarrist, den ich kenne. Vor allem ist er total auf sein Spiel und sein Instrument fixiert. An welchen Verstärker die Gitarre angeschlossen ist, ist ihm absolut egal. Er hat seine Parts für SAW II und SAW III jeweils an einem einzigen Tag eingespielt. Er kam ins Studio, klaubte ein Kabel vom Boden, stöpselte ein, und da ein Signal übertragen wurde, fingen wir an, aufzunehmen. Es klang genau richtig, daher konnten wir uns das Suchen nach irgendwelchen Einstellungen gleich schenken. Danny betreibt Brainstorming im Labor, Wes kommt vorbei und spielt drauflos. So hat es jetzt zweimal funktioniert, und wir werden es weiterhin so halten, so lange, bis die beiden die Nase voll haben von mir.

O: Heißt das, dass du auch bei SAW IV wieder mit von der Partie sein wirst?

CC: Ja, das ist bereits bestätigt und eingeplant Also: Wir sehen uns im Kino. Nächstes Jahr um dieselbe Zeit!

www.saw3.com

Christoph Kutzer

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