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Jahr 2007

 

 

Orkus

 

Mai 2007

 

 Apokalyptische Schnitzeljagd

 

 Text: Marcel Anders

 

 

Auf Year Zero entwirft NIN Mastermind Trent Reznor ein Weltuntergangsszenario das gar nicht so Sci Ei ist wie es zunächst scheint. Im Gegenteil: Die Kombination aus totalitärem Regime, systematischer Volksverdummung und restloser Umweltzerstörung ist bereits in vollem Gange. Und Du, lieber Leser, bist mittendrin.

Orkus: Seit With Teeth sind keine zwei Jahre verstrichen. Wie kommt es, dass du bereits ein neues Werk am Start hast - für deine Verhältnisse fast rekordverdächtig?

Trent Reznor (lächelt): Stimmt. Doch es ist so: Als With Teeth fertig war, hatte ich das Gefühl, dass ich eigentlich noch nicht alles gesagt hatte, dass noch etwas fehlte. Und deshalb habe ich schon im Laufe der Tournee begonnen frisches Material zu schreiben. Einfach auf meinem Laptop - entweder kurz vor oder nach dem Soundcheck während langer Busfahrten oder im Hotelzimmer. Ich war zum ersten Mal auf einer Konzertreise kreativ und das war eine völlig neue Erfahrung, weil ich das noch nie zuvor getan hatte. Vermutlich liegt es daran, dass ich inzwischen clean bin. Aber egal, ich habe locker improvisiert und sehr viele rhythmische Sachen probiert. Als die Tour zu Ende war, hatte ich 20 richtig gute Songs - was ich unglaublich fand. Ich hatte eine Platte, die quasi nebenbei entstanden ist.

O: Und wie hast du dieses große apokalyptische Konzept ersonnen?

TR: Ich habe mich in einem Haus in Malibu eingenistet und darüber nachgedacht was mir persönlich in der heutigen Welt am wichtigsten ist - und was mich am meisten beunruhigt. Dabei kam ich immer wieder auf dieselben Aspekte: Nämlich was es heißt Amerikaner zu sein, was unsere Regierung für einen unglaublichen Mist verzapft und in welche Richtung dieses Land steuert. Das sind Dinge, die mich extrem wütend machen. Denn es herrscht ein gravierender Mangel an Weitsicht, Offenheit und Toleranz gekoppelt mit Arroganz blindem Hass und einer weitreichenden Verbindung aus Wirtschaft, Staat und Religion. Das ist eine gefährliche Mischung die mich bereits seit geraumer Zeit stört. Also fragte ich mich: „Wie bringe ich Nine Inch Nails dazu all das auf eine Art und Weise zu kommentieren, die nicht peinlich ist?“ Das fühlte sich riskant an - aber natürlich auch aufregend. Einfach weil es ein völliger Bruch mit der Thematik der bisherigen Alben war.

O: Warum der Weltuntergang im Jahr 2022 - sind wir davon wirklich nur noch 15 Jahre entfernt?

TR: Na ja, das Ganze durfte nicht zu Sci Fi mäßig sein. Sondern es sollte schon real wirken – näher, als du hoffen würdest. Wenn ich mir jedoch anschaue, wie weit Amerika in den letzten sechs Jahren unter Bush gekommen ist, scheint das gar nicht so abwegig. Ich meine, wir haben zwei fremde Länder ausradiert, der Regierung totale Kontrolle übertragen, unsere Wirtschaft an den Rand des Kollaps gebracht, fast alle Ölvorkommen aufgebraucht und eine absolute demokratische Lethargie entwickelt. Uns stört einfach nichts mehr. Und deshalb ist das Ende, wenn wir so weitermachen, wahrhaftig nicht mehr fern.

O: Die Veröffentlichung von Year Zero geht einher mit einer Schnitzeljagd aus Webseiten, Downloads, Morsezeichen, Telefonnummern, Verschwörungstheorien und wilden Debatten in den Fanforen. Alles Elemente, die den Hörer zum Teil der Geschichte werden lassen?

TR: Ganz genau. Sich einfach bloß Musik anzuhören oder einen Film anzusehen ist etwas sehr Passives. Dinge für sich selbst zu entdecken, mit anderen darüber zu diskutieren und wilde Thesen aufzustellen, macht die Geschichte erst real. Ich meine, klar weißt du, dass das Ganze fiktiv ist, aber es bekommt doch etwas Reales, etwas Echtes, und du kannst daran teilnehmen wie an einem großen, globalen Computerspiel, das von Tausenden von Menschen zugleich gespielt wird. So wird die Platte respektive die Story dahinter zu etwas, womit sich echte Menschen in Echtzeit auseinandersetzen und versuchen, die einzelnen Stücke eines gigantischen Puzzles zusammenzufügen. Und das finde ich spannend - und die Fans ebenso.

O: Wenn du solch ein Szenario entwirfst - hast du dann auch eine Lösung parat? Oder ist das Ende unabwendbar?

TR: Nein, es ist noch nicht zu spät - aber es wird schwer den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Denn dafür bedarf es schlicht mehr Toleranz und Verständnis als bisher. Es muss ein radikales Umdenken passieren und es muss sich ganz konkret etwas mit unseren Regierungen und deren Verknüpfung mit den multinationalen Großkonzernen ändern. Das ist ein richtiges Hornissennest das ausgeräuchert werden muss. Die Frage ist nur, ob wir das können. Doch der erste Schritt ist definitiv umfassende Aufklärung. Und damit fange ich an, indem ich mich an die Leute wende die mir zuhören - wie viele oder wie wenige das auch sein mögen.

O: Angeblich soll bald ein zweiter Teil zu diesem Album erscheinen — stimmt das?

TR: Daran arbeite ich gerade. Die Idee ist, einen Nachfolger aufzunehmen, der zumindest so etwas wie Lösungsansätze zu all den Problemen auf Part eins präsentiert. Und dann soll es noch eine Tournee geben, die auf beiden Scheiben basiert und deutlich themenbezogener ist als die aktuelle, die eher etwas von „The Greatest Hits“ hat.

O: Also eine konzeptionelle Performance?

TR: Das ist der Plan. Denn Year Zero ist kein gewöhnliches Album, das von einem netten Video und ein paar Shows begleitet wird. Es ist etwas das nach größeren Ausdrucksformen verlangt - weil es eine viel größere Vision birgt. Es ist eine Art von Entertainment, die auch auf andere Medien übergreift und das finde ich spannend. Weißt du, manche Leute nennen es ein „ARG“ ein „Alternate Reality Game“. Doch für mich ist es wesentlich mehr. Einfach weil es hier keinen Gewinner und keinen Gewinn gibt. Du bekommst lediglich einige fundamentale Denkanstoße - sofern du sie willst. Aber ich biete dir keinen Jackpot und keine Gehirnwäsche. Das überlasse ich anderen.

www.nin.com

Marcel Anders

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