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Jahr 2007

 

 

Piranha

 

Mai 2007

 

 Orwellscher Hirnfick

 

 Text: Marcel Anders

 

 

Mit „Year Zero“ entwirft Trent Reznor ein Szenario in bester „1984‘- Manier: die Welt vor dem Klimakollaps, regiert von einem totalitären Regime, das Menschen manipuliert und unterdrückt. Ein Stoff, der gar nicht so fiktiv ist...

Sondern, so die 41-jährige One-Man-Band, längst real: „In den USA herrscht ein gravierender Mangel an Weitsicht, Offenheit und Toleranz, gekoppelt mit Arroganz, blindem Hass und einer gefährlichen Verbindung aus Wirtschaft, Staat und Religion. Also dachte ich mir: Wie bringe ich Nine Inch Nails dazu, das auf eine Art und Weise zu kommentieren, die nicht peinlich ist? Die Lösung: Er entwickelt eine beklemmende Endzeitvision, die nicht mal der stumpfsinnigste Hörer ignorieren kann. Ein orwellscher Hirnfick, in dem die ultrakonservativen USA die Weltherrschaft an sich gerissen haben, verfeindete Nationen atomisieren und die Menschheit per Drogen und Staatskirche gefügig machen. Zudem ist der Grad der Umweltzerstörung so weit fortgeschritten, dass es keine Rettung mehr gibt. 2022 ist Schluss - in gerade mal 15 Jahren. „Das Ganze durfte nicht zu Sci-Fi-mäßig sein“, erklärt Reznor, „Es sollte real wirken. Also näher, als du hoffen würdest. Und wenn ich mir anschaue. wie weit Amerika in den letzten sechs Jahren unter Bush gekommen ist, scheint das gar nicht so abwegig. Ich meine, wir haben zwei andere Länder aus radiert, der Regierung völlige Kontrolle übertragen, fast alle Ölvorkommen aufgebraucht und eine völlige demokratische Lethargie entwickelt. Deshalb ist das Ende, wenn wir so weiter machen, wirklich nicht fern.“

Eine Botschaft, die er dem Konsumenten jedoch nicht einfach vor den Latz knallt, sondern in Form einer multimedialen Schnitzeljagd nahe bringt: angefangen bei USB-Sticks mit Songfragmenten, die er auf der jüngsten Tour verteilte, über ominöse Homepages, Telefonnummern und Morsezeichen. Der Fan entdeckt Musik und Handlung aktiv, indem er sich damit befasst. „Sich einfach nur Musik anzuhören oder einen Film anzusehen, ist etwas sehr Passives. Aber Dinge für sich selbst zu entdecken, mit anderen darüber zu diskutieren und wilde Theorien aufzustellen, das macht die Geschichte erst real. Ich meine, klar weißt du. dass das Ganze fiktiv ist, aber du kannst daran teilnehmen wie an einem großen, globalen Computerspiel, das von Tausenden von Menschen gleichzeitig gespielt wird. Das finde ich spannend."

Wobei Reznors Anspruch und Idealismus so weit geht, sein Label komplett außen vor zu lassen, Er hat „Year Zero“ selbst finanziert, produziert und eingespielt, Artwork und Video im Alleingang entworfen und ein fertiges Album abgeliefert, an dem es keine Änderungen mehr geben kann, Und das - fast noch wichtiger - nicht Gegenstand einer cleveren Marketingkampagne ist. „Momentan gibt es nur Schrott, der dir mit viel Aufwand als etwas Tolles verkauft wird. Etwa: ’Avril Lavigne hat ein neues Album. Lad dir den Klingelton runter und erhalte einen geheimen Bonus-Track. Und blahblahblah.‘ Ich meine: Wen interessiert das? Das ist nichts anderes, als wenn man dir Gratisporno verspricht - und dann nach deiner Kreditkarte fragt, Das ist alles Augenwischerei. Deshalb wollte ich etwas Künstlerisches. Etwas, das existiert, weil es existieren muss. Und bei dem dir nicht wer-weiß-was versprochen wird, damit du es kaufst.“ Davon soll es in naher Zukunft noch einen zweiten Teil mit anschließen der, konzeptioneller Live-Darbietung geben, „Einfach, weil es mehr ist als nur ein ganz gewöhnliches Album — es verlangt nach größeren Ausdrucksformen.“

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