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Jahr 2007

 

 

Rock Hard

 

Mai 2007

 

 Nine Inch Nails

Musik 2.0

 

 Text: Conny Schiffbauer

 

 

 

Nur Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Comeback-Albums „With Teeth“ meldet sich Industrial-Pionier Trent Reznor mit der experimentellsten und mutigsten Platte seiner Karriere zurück. „Year Zero“ ist der erste Teil einer verstörenden Zukunftsvision, die auf einem albtraumhaften Soundtrack und einer mit realen Bezügen verschmelzenden, interaktiven Story basiert. Nine Inch Nails laden ein zu einem multimedialen Kunstwerk, das eine totalitären Regierungen, verschwörerischen Untergrund-Bewegungen, Hightech-Drogen, surrealen Gesellschaften und despotischen Glaubensbewegungen diktierte Welt im 2022 zeigt.

Trent im Zuge der Veröffentlichung von „With Teeth“ hast du dein Leben ziemlich umgekrempelt. Du bist ins sonnige Kalifornien gezogen, trenntest dich von der Last eines eigenen Plattenstudios sowie falschen Freunden und hast - befreit von der jahrelangen Drogensucht - einen Neustart gewagt. Wie kommt es, dass das Konzept von „Year Zero“ trotz der positiven persönlichen Ausgangsbasis so düster und pessimistisch ausgefallen ist?

«Wenn ich ein Album schreibe, thematisiere ich immer Dinge, die mich sehr berühren und von Herzen kommen. Dieses Mal musste ich nur die Tageszeitungen aufschlagen, und schon hatte ich kreative Vorlagen für meine Texte. Was mich in letzter Zeit am meisten bewegt hat, sind die wachsenden Gefühle von Verzweiflung, Ernüchterung und Traurigkeit, mit denen US-Amerikaner momentan täglich konfrontiert werden. Ich schreibe aus der Sicht einer Person, die nur noch ungern die Nachrichten verfolgt, aus Angst, es könnte wieder eine Meldung geben, bei der sie sich schämen muss, Bürger der Vereinigten Staaten zu sein. Die Person fragt sich, ob dieses Land überhaupt noch irgendwas Positives tut.

Ich weiß nicht, ob die Welt in den letzten fünf bis zehn Jahren verrückter geworden ist - oder ob ich dem globalen Geschehen einfach mehr Aufmerksamkeit schenke. Vielleicht trifft beides zu. Fakt ist, dass nicht alle Amerikaner gleich sind. Es gibt viele vernünftig denkende US-Bürger, die angeekelt sind von der Politik der Bush-Regierung, unserem arroganten Verhalten gegenüber anderen Nationen, unserer Gier, die Welt so zu diktieren, wie sie unserer Meinung nach sein soll, und dem Militär-Wahnsinn. Es ist erschreckend, wie sich das internationale Ansehen der Staaten innerhalb weniger Jahre rapide verschlechtert hat. Nach dem 11. September schwappte uns noch eine Welle von weltweitem Mitgefühl entgegen, und heute ist unser Image peinlich und beschämend. Unsere Regierung ist aus reiner Gier und unter dem Vorwand einer dreisten Lüge in ein Land gezogen, das nichts mit den Terrorattacken zu tun hatte, um den Daumen auf das Öl des Nahen Ostens halten und neue militärische Knotenpunkte aufbauen zu können. Wie viele unschuldige Bürger wurden im Irak getötet, um die sich keiner kümmert, weil ihr Schicksal vertuscht wurde? Unsere Selbstherrlichkeit ist kaum zu ertragen.

Unsere Regierung ist verdammt clever, wenn es darum geht, Menschen zu manipulieren. Sie biedert sich religiösen Bewegungen an und verurteilt Abtreibungen oder homosexuelle Beziehungen, um gläubige Bürger auf die eigene Seite zu ziehen. Ich hatte das Bedürfnis, all diese Dinge zu kommentieren. Allerdings wollte ich das nicht stumpf und einfallslos tun, indem ich den Namen Bush an den Pranger stelle. Mir gefiel es, den Gedanken fortzuspinnen, wie unsere Welt ins Jahren aussehen könnte, wenn wir so weiter machen wie bisher. Vielleicht wird eines Tages alles wirklich so sein.«

Gab es ein Schlüsselerlebnis, mit dem das Konzept ins Rollen kam?

«Ich kann immer noch nicht fassen, wie schnell das Konzept im Endeffekt fertig geworden ist. Schon während unserer fast anderthalb Jahre dauernden „With Teeth“-Tour arbeitete ich ständig an Kompositionen und spielte mit ersten inhaltlichen Ideen. Am Ende der Konzertreise im Sommer 2006 wusste ich, wie das Album aussehen sollte, und schrieb eine Zusammenfassung meiner Entwürfe. In den folgenden Monaten begann ich, richtige Songs zu komponieren und mich in eine düstere Zukunftsvision zu vertiefen. Plötzlich schossen die mir Einfälle regelrecht aus dem Kopf, und das Gesamtkonzept stand innerhalb kurzer Zeit. Vielleicht war das rückblickend eine schlechte Idee, die unfreiwillig meine Karriere beenden könnte, aber mir gefällt einfach der Gedanke, dass NINE INCH NAILS zum ersten Mal mehr als reine Fiktion sein könnten. Er macht mir auf eine positive Art Angst. Ich mag es nicht, auf Nummer sicher zu gehen, wie ich es bei „With Teeth“ getan habe. „Year Zero“ ist anders, und mir ist egal, ob das Album im Radio gespielt wird, gute Singles abwirft oder unmodern klingt.«

Du hast um „Year Zero“ ein komplexes und unheimlich detailreiches Konzept gewoben, das sich deine Fans im Internet regelrecht erarbeiten müssen. Parallel wurden bewusst schon vor der Veröffentlichung des Albums erste Songs ins Netz gestellt. Kapitulierst du damit vor dem nicht zu stoppenden Filesharing-Problem und zeigst gleichzeitig den Plattenfirmen, wie man eine neue Scheibe heutzutage clever bewerben sollte?

«Ich will die Plattenfirmen nicht verteufeln, weil ich selber bei einer unter Vertrag bin. Aber dennoch weiß ich, dass viele Probleme der Branche hausgemacht sind. Zunächst mal macht es mich rasend, wenn ich sehe, wie meine eigene Arbeit ungefragt im Internet erscheint. Gleichzeitig weiß ich, dass unter anderem die Gier der Labels und das Festhalten an veralteten Geschäftsmodellen für diese Misere verantwortlich sind. Meiner Meinung nach kommt es darauf an, wie man ein Produkt verkauft. Mir war klar, dass mein Album noch vor dem Veröffentlichungstermin im Internet stehen wurde. Deswegen habe ich die Fans schon vorab Songs hören lassen - in der Reihenfolge, die mir richtig erschien.«

Vor ein paar Jahren hast du dich sehr negativ über Videoclips geäußert. Du kritisiertest, dass sie die         Aufmerksamkeit der Konsumenten von der Musik ablenken und die Möglichkeit unter drücken, eigene Fantasien zu einem Song zu entwickeln. Aber jetzt lieferst du selber ein Album ab, dessen Hintergrundstory so mitreißend ist, dass in den NINE INCH NAILS-Foren kaum über die Musik an sich diskutiert wird. Somit hast du genau das erreicht, was du vor einiger Zeit bemängelt hast.

«Ich stehe immer noch zu meiner Meinung von damals. Oft verkauft sich das Image eines Videoclips besser als die Musik selbst. Ich sehe ein, dass man die Black Eyed Peas mit hampelnden Idioten und billigen Motiven an den Mann bringen muss. Ansonsten würde vermutlich niemand diesen Mist kaufen. Aber „Year Zero“ spricht für sich. Man kann das Album verstehen, ohne das Konzept zu kennen. Ich weiß allerdings, dass ich alles andere als leichte Kost abgeliefert habe – und dass man mindestens fünf Hördurchgänge benötigt, um im Geräuschchaos Songs zu erkennen. Dennoch machen die Lieder mehr Sinn, wenn man die Hintergrundstory kennt. Mit ihrer Hilfe wird das übergeordnete Konzept verständlich, bei dem ich anfangs nicht wusste, wie ich es den Leuten näher bringen sollte. Ich dachte über Linernotes, eine Art Kurzgeschichte und einen Film nach, für den mir aber die nötigen Mittel fehlten. Mein Problem war, dass ich mit „Year Zero“ den Soundtrack zu einem imaginären Film hatte, für den mir aber die realen Bilder fehlten, um ihn den Leuten zu erklären. Als Nächstes dachte ich über eine Hintergrundstory nach, die inhaltliche Tiefe in das Thema bringen könnte und die helfen sollte, den Wahnsinn und die Paranoia der Zukunftsvision real nachzuempfinden. Eine Gemeinschaft sollte die Zusammenhänge der Story in einer Art Puzzle erarbeiten.

Das Internet-Konzept wurde nicht aus Marketing- Gründen entwickelt, sondern mit der Ausgangsidee, dass das Album und die Geschichte eine zusammen gehörige Einheit sind. Im Grunde ist es der Film zum Soundtrack, der auf „Year Zero“ zu hören ist. Ausgehend von dem Gedanken, dass die Verfilmung von Büchern oft enttäuschend ist, weil der Zuschauer bereits vorher als Leser eigene Fantasiebilder entwickelt hat, verstreuten wir nur hier und da kleine Details des Konzepts, die zueinander einen Bezug hatten. Die Internet Community sollte das Puzzle ihren eigenen Vorstellungen nach zusammensetzen. Mich faszinierte der Gedanke, die weltpolitischen Geschehnisse so zu thematisieren, dass es sich real anfühlt. Am Ende dieses dynamischen Konzepts steht eine klare Zukunftsvision, die einen engen Bezug zum Album hat. Momentan wird der Geschichte einfach nur deswegen mehr Aufmerksamkeit geschenkt, weil „Year Zero“ noch nicht auf dem Markt ist. (Zum Zeitpunkt des Interviews dauert es noch einen Monat bis zum Release der Platte. – cs)“

Dennoch lasst sich nicht von der Hand weisen, dass dieses Konzept auch einen pragmatischen Werbeeffekt mit sich bringt.

“Mir ist klar, dass die Geschichte wie ein Marketing-Instrument funktioniert, aber unter diesem Gesichtspunkt habe ich sie nicht entwickelt. Die für das Konzept verantwortliche Agentur habe ich selber angeheuert und mit meinem eigenen Geld bezahlt. Die Story ist ein Teil des Kunstwerks, wie bei „Taxi Driver“, wo Soundtrack und Film miteinander verbunden sind. Nachdem ich das Konzept mit der Agentur angeleiert hatte, versuchte ich, es meiner Plattenfirma zu erklären. Es gab Meetings, bei denen ich innerhalb kürzester Zeit vor lauter fragenden Gesichtern stand. Genau das finde ich spannend. Es ist toll, wenn man sich in der Story verliert und das Gesamtwerk kaum greifbar ist.«

Schon im nächsten Jahr soll der zweite Teil des Konzepts mit einem weiteren Album folgen. Sind die Songs schon geschrieben? Wenn ja, was können wir erwarten?

«Die Platte ist noch nicht geschrieben. Das Schicksal liegt quasi noch in meinen Händen. Momentan arbeite ich an ein paar Ideen. „Year Zero“ bringt noch nicht die Auflösung. Am Ende bleiben viele Fragen offen, aber mit dem nächsten Album möchte ich eine Lösung liefern. Wie sie aussehen könnte und was das Endergebnis sein wird, weiß ich noch nicht. Darüber zerbreche ich mir zurzeit den Kopf. To be continued!“

Conny Schiffbauer

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