Goldene Zeiten für Nine-Inch-Nails-Anhänger:
Erst Ende Februar erschien mit der DVD „Live: Beside You In Time“ das aufwändig
in Szene gesetzte Dokument der „Live: With Teeth 2006 Tour“, Mitte März startete
die ausführlichste Deutschland-Gastspielreise von Trent Reznor und den Seinen
seit Menschengedenken, und am 13. April steht dann bereits das nächste reguläre
Studioalbum „Year Zero“ in den Plattenläden.
Zuvor jedoch meldete sich der
NIN-Frontman via Internet zu Wort, um Fans und Medien auf das kommende Werk
einzuschwören: „ Das Album begann als Krach-Experiment auf einem Laptop, als
wir im Bus irgendwo auf Tournee unterwegs waren. Der Sound führte mich zu einem
Tagtraum über das Ende der Welt. Dieser Tagtraum blieb mir im Gedächtnis und
entpuppte sich mit der Zeit als etwas viel Größeres. Ich glaube daran, dass man
manchmal die Wahl hat, welchen Inspirationsquellen man folgt, aber dass das
nicht immer der Fall ist. Bei dieser Platte war es Letzteres. Als ich mich
wirklich in die Arbeit stürzte, passierte alles praktisch von alleine.“ So
entwickelten sich Ideen für gleich zwei Platten, von denen die erste, das mit
16 Tracks und weit über einer Stunde Spielzeit vollgepackte Konzeptalbum „Year
Zero‘, all diejenigen begeistern sollte, denen das 2005er Vorgängerwerk „With Teeth
zu poppig, zu wenig extrem, nicht gewagt genug war. Zillo war eingeladen, das
neue Album bereits vorab zu hören.
Gleich der erste Track
„Hyperpower!“, eigentlich nicht viel mehr als ein Intro, kommt beim ersten
Hören erfrischender, krachiger und druckvoller daher als das komplette letzte
Album! Die nächste Nummer „The Beginning Of The End“, ist dagegen eines der
wenigen Stücke, die auch problemlos auf dem Vorgänger Platz gefunden hätten,
unterstreicht es doch die rockige, eingängige Seite der NIN. Ganz anders
dagegen die erste Single „Survivalism“, die düster und elektronisch daran
erinnert, dass dies keine Bandplatte ist, sondern ein Werk, das Reznor im
Alleingang geschrieben und eingespielt hat. Lediglich beim Programming stand
ihm Atticus Ross zur Seite, der einst seine ersten Meriten bei Bomb The Bass
verdiente und auch schon an With Teeth mitarbeitete. Mit „Me, Im Not“ schaltet
Reznor zwar tempomäßig einen Gang zurück, doch der schleppende Beat, das
elektronische Soundgeflicker und die fast wie eingeworfen klingenden Textfetzen
Reznors haben dennoch eine Bedrohlichkeit, die dem letzten Album so oft fehlte.
Das Herzstück des Albums allerdings sind die beiden treffenderweise auch in der
Mitte der Platte platzierten Tracks „The Warning“ und “My Violent Heart“, von
denen vor allem letzteres mit einem fast an frühe Public Enemy erinnernden
HipHop-Flair aufwarten kann und ob des zerstörerischen Soundgewitters, das über
den schwer groovenden Beats liegt, trotzdem eine ungemein typische NIN-Nummer
ist. Dass Reznor selbst die neuen Songs als „Soundcollagen“ beschreibt und
davon spricht, dass bei den Aufnahmen viel improvisiert wurde, wird hier
deutlicher als bei allen anderen Stücken. Erst gegen Ende dieses intensiven
Klang-Trips gönnt das NIN Mastermind dann den Ohren seines Publikums eine echte
Entspannungspause wenn das sanfte Piano bei „In This Twilight“ einsetzt und den
Songtitel perfekt vertont.
Mit anderen Worten: Wer
befürchtet hatte, dass die vor einigen Wochen losgetretene Web-Schnitzeljagd —
ein Musterbeispiel für das, was auf Neudeutsch „virales Marketing“ heißt — nur
dazu dienen sollte, vom Inhalt des kommenden Albums abzulenken kann beruhigt
sein. „Year Zero“ ist trotz der für Reznors Verhältnisse relativ kurzen
Produktionsphase alles andere als ein schwer verdaulicher Schnellschuss. Im
Gegenteil. In vielerlei Hinsicht hat die Platte mehr Substanz als „With Teeth“,
nicht nur ob des konzeptionellen Rahmens. „Worum geht es?“, fragt Reznor
rhetorisch in seiner Online Nachricht um dann auszuführen. „Die Ereignisse des
Albums finden in der Zukunft, in 15 Jahren, statt. Die Dinge stehen schlecht.
Die Welt hat einen Scheidepunkt erreicht — politisch, spirituell und
ökologisch. Geschrieben aus der Sicht verschiedener Menschen, die in dieser
Welt leben, untersucht ‚Year Zero‘ unterschiedliche Perspektiven und setzt
ihnen einen nahenden Moment der Wahrheit entgegen.“
Klingt nach einer harten Nuss,
die Reznor seinem Publikum zu knacken gibt. Aber das Album kann auch ohne den
ganzen Ballast funktionieren, wie er — scherzhaft? — zugibt: „Man kann zu
vielen Stücken tanzen. Man kann auch zu vielen Stücken vögeln. Vielleicht sogar
zu allen, kommt ganz darauf an, worauf man steht!“
Carsten Wohlfeld
Foto © Chapman Baehler
www nin com
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