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Sonic Seducer, April 2000, S. 126, 127

 In Studio Veritas - Charlie Clouser über "The Fragile"

 Als Trent Reznor sinngemäß verlauten ließ, das Ende letzten Jahres veröffentliche NIN-Opus "The Fragile" sei eigentlich ein Gitarrenalbum, hat er natürlich gelogen. Na gut, gelogen hat er natürlich nicht, aber er hätte ruhig etwas präziser sein können, schließlich gäben Legionen von Musikern all around the world eine Menge dafür, dürften sie The Artist Formely Known As Mr. Self-Destruct mal einen Nachmittag über die Schulter schauen.

 Charlie Clouser hingegen, seit 1995 Keyboarder und Programmierer bei Nine Inch Nails und zusammen mit Keith Hillebrandt maßgeblich am Sound von "The Fragile" beteiligt, hat das lange genug getan. Er war, angefangen beim Baum des nothing-Studios in New Orleans bis hin zum letzten Handstreich an "The Fragile", an der Entstehung des vermeintlichen Gitarrenalbums beteiligt. Zu Beginn erklärt Charlie den Aufbau der "nothing"-Studios in New Orleans: "In Studio A steht ein 80-Kanal SSL Pult, zwei Studer 24-Spur [Bandmaschinen], ein Digidesign Pro Tools System und eine gewaltige Sammlung Keyboards und Gitarreneffektgeräte. Studio B, im hinteren Teil des Hauses, ist mir Mackie Digitalmischpulten ausgerüstet, einigen [Tascam] DA-88s, und eine Ladung Synthies. Dann sind da noch die Aufnahmeräume, zwei oder drei Räume und ein großer, garagenartiger Aufnahmeraum für Schlagzeugaufnahmen. In der oberen Etage befindet sich eine umfangreiche Sammlung von Videospielen (kichert), der Raum, in dem der Netzwerkserver steht, das Büro des Studiomanagers, und am Ende der Halle sind die Studios von Danny Lohner, Keith Hillebrandt und mir."

 Die Rechner in den unterschiedlichen Studios sind alle miteinander vernetzt. "Wir haben ein Ethernet-Netzwerk aufgebaut. "Wir haben die Kabel selbst verlegt, haben das ganze Haus mit 10Base T-Kabeln ausgestopft, und wir haben mehrere Server aufgestellt, weil jeder von uns Pro Tools-Systeme auf Macintoshplattformen benutzt. Auf dieser Art ist uns möglich, effektiver miteinander zu arbeiten. In den alten Tagen von NIN war dafür nicht viel Raum, nicht zuletzt, weil es damals nur ein Studio gab. Aber auf die Art, wie wir es jetzt gemacht haben, hat jeder sein eigenes Studio und alle sind übers Netzwerk miteinander verbunden.

 Während wir arbeiten, kam es also öfters vor, das Trent sagte, "Ich lege diesen Track hier mal ein paar Tage zur Seite. Ich pack ihn auf den Server, warum zieht ihr euch nicht jeder eine Kopie davon und spielt in euren Studios ein bisschen damit herum. Nehmt einfach alles auf, was euch dazu einfällt, egal, ob ihr irgendetwas filtert, oder Drums spielt. Nehmt es als Audiofiles auf, und legt es dann ebenfalls im entsprechenden Verzeichnis auf dem Server ab."

 Wenn Trent und Co-Produzent Alan Moulder dann nach einer Woche wieder zu diesem Song zurückkehrten, so führt Charlie fort, "sahen sie normalerweise zuerst auf dem Server nach, was Danny und mir dazu so eingefallen ist." All diese Audiospuren werden so aufgenommen, dass sie immer beim ersten Takt des Songs beginnen, auch wenn das zu Folge hat, dass in die meisten Spuren noch eine längere Leerstelle an den Anfang einkopiert werden muss. Auf diese Art gibt es keine Unklarheiten, und alles läuft immer schön synchron, wenn Trent in Studio A durch die Spuren schaltet, und die auswählt, die ihm gefallen.

 "Ich denke, es hat mir Sicherheit damit zu tun, dass die Band am Ende der "Self Destruction"-Tour wirklich gut geklungen und in den Arsch getreten hat, und ich denke, Trent wollte das, was an den Shows gut war, irgendwie in die Entstehung der neuen Platte mit einfließen lassen", so Clouser auf die Frage, was Reznor letztendlich dazu bewegt habe, erstmals andere Menschen an der Entstehung eines neuen Albums mitwirken zu lassen, von Gastmusikern mal abgesehen. "Am Ende der Tour bot er uns dann an "Hey, warum kommt ihr Jungs nicht einfach mit nach New Orleans, ich werde dort ein großes Studio bauen, und ihr könnt mir dann beim nächsten Nine Inch Nails-Album helfen. Ich würde in Zukunft gerne mehr zusammenarbeiten." Es klang gut, obwohl wir alle etwas misstrauisch waren, in Anbetracht der Tatsache, dass Trent praktisch jede Note auf der vorherigen NIN-Platte selbst geschrieben und gespielt hat. Es war ein Sprung ins kalte Wasser, aber es war phantastisch, und wir haben alle die Chance ergriffen."

 Sounddesigner und Toningenieur Keith Hillebrandt fand den Weg in Reznors Klangkollektiv über eine Sampling-CD. "Als ich die Diffusion of Useful Noise CD-ROM fertiggestellt hatte, schickte ich Charlie eine Kopie. Er mochte sie sehr und spielte sie Trent vor, der sich vor Freunde fast überschlug und meinte, "wir müssen diesen Knaben anheuern, damit er Sounds fürs neue Album macht." So bekam ich den Auftrag, ein Gigabyte Sounds für das, was dann "The Fragile" wurde, zu designen. Als ich mit dem Gigabyte fertig war und sie ihm zuschicken wollte, sagte er, "Ich möchte, dass du hier runter kommst und für mich arbeitest." Also hab ich meine Sachen gepackt und bin von Frisco nach Big Easy umgezogen." Zwei von Keiths stolzesten Momenten auf dem Album sind der mittlere Break und das Gitarrensolo des Titelsongs. "Wir haben den Mittelteil des Songs geloopt, und Trent hat dazu irgendwie herumgeklampft und diese ganzen dissonanten Töne hervorgebracht. Nachdem wir alles aufgenommen hatten, hab ich es zerlegt und zu diesem seltsamen, dissonanten Gebilde zusammengefügt, welches in das Gitarrensolo übergeht. Das Solo ist auf ähnliche Weise entstanden. Trent hat eine ganze Reihe Viertakter eingespielt, und als er fertig war, hat er den Raum verlassen haben aus all den Schnipseln das Solo zusammengefügt. Im Nachhinein ist das ein der Highlights des Albums - die Art, wie sich das Gitarrensolo aufbaut und in das Ende des Songs übergeht."

 Bald ging es dann also darum, aus Ideen neue Songs zu entwickeln. "Trent hatte diese grundsätzlichen Kategorien von Songs, die er machen wollte", erklärt Charlie. "An der Studiowand hing eine Tafel, an der Dinge wie "old style NIN jams", "Rap-beeinflusste Drumbeats" oder "Atarie Teenage Riotmäßiges Chaos" standen. Trent fängt normalerweise mit irgendeinem Groove an, einem Bass oder einer Drumspur. Es kann auch eine rhythmische Synthielinie sein, die das Fundament bildet. Darauf baut er dann den Song auf. Der Gesang kommt normalerweise erst ganz zum Schluss, wenn ein Song gut ausgearbeitet ist. Ein gutes Jahr lang haben wir nur mit Instrumentalen gearbeitet. Einer der Songs, die wir zusammen erarbeitet haben, "Starfuckers, Inc.", entstand aus etwas, was ich irgendwann mal mit einem Quasimidi Rave-O-Lution [303/909-Clone] und einem Gitarrenverzerrer oben in meinem STduio zusammengeschraubt hatte. Das Ganze ist dann in der "Atari Teenage Riot"-Kategorie gelandet. Beizeiten kramte Trent es dann hervor und sagt: "Damit will ich was machen." Also hat er ein paar Bässe hinzugefügt, ein paar Gitarren, und am Ende hat er dieses fette Gitarrengriff, das im Chorus auftaucht, geschrieben. Der fertige Song hat mir meiner ursprünglichen Idee nicht mehr viel zu tun, aber die verzerrte Quasimidi-Spur ist immer noch darin. Es ist die Drummspur in den Strophen."

 "The Fragile" wurde größtenteils digital aufgenommen. "Alles ist zuerst auf Harddisk aufgezeichnet worden. Wir haben nur dann auf Bandmaschinen zurückgegriffen, wenn uns die Digitalspuren ausgegangen sind, und wenn dir das bei 72 Spuren passiert, bist du eh schon nahe an der Grenze. "We're In This Together" war ein sehr aufwendiges Unterfangen. Wir hatten so viele Gitarrenspuren, dass wir keine andere Möglichkeit sahen, als sie auf Analogtape auszulagern, die wir an dem Song geschraubt haben - insgesamt waren es neun - nicht genau wussten, wie wir die Gitarren miteinander ausbalancieren sollten. Irgendwann haben im Chorus 40 oder 44 verschiedene Gitarren gespielt. Wir haben angefangen, die Spuren auf Tape runterzukopieren, weil es dann doch etwas chaotisch wurde."

 Charlie arbeitet im Studio vorwiegend mit seiner Digital-Audio-Workstation, "einem Macintosh mit Digidesign SampleCell und haufenweise TDM Plug-ins. An Instrumenten ist der Nord Lead gerade herausgekommen, als wir mit dem Album begannen. Trent hat bis dahin lieber auf schwere Arteillerie wie den [Sequential] Prophet-VS oder der Oberheim Xpander, beides einzigartige Geräte, zurückgegriffen, aber als der Nord Lead herauskam, hat er in Puncto neuer Synthie-Technologien einige Türen aufgestoßen." Keith kann das bestätigen: "Trent hat in fast jedem Song den Nord Lead benutzt. Er hat ihn für alles mögliche benutzt. Wenn er eine Melodie im Kopf hatte, ist er immer zuerst an den Nord gegangen." Ebenfalls immer wieder gerne genommen wurden der Access Virus, der Waldorf Microwave, sowie der Nord Modular von Clavia. Zum Sampeln wurde auf "THe Fragile" vorwiegend der E-mu E4 zum Einsatz gebracht. "Am Anfang hatten wir E4s, die alle ziemlich langsam waren", erklärt Charlie. Mittlerweile haben wir den neuen E4XT Ultra, und der klingt sogar besser als meine Sample Cell. Obwohl meine Sample Cell aus einem Pro Tools 888/24 kommt und das sauberste Signal abliefert, klingt dasselbe Sample aus dem E4 irgendwie fetter. Ich weiß nicht, wieso. Ich weiß auch nicht, ob der E4 irgendwas Schlimmes mit dem Sample anstellt, damit es besser klingt, aber wir haben vom E4 auf dem Album gerade wegen des Sounds recht viel Gebrauch gemacht, und, weil er auch sehr interessante Filtertypen hat."

 Clousers erster Job für Trent liegt übrigens schon eine Weile zurück. "Damals suchte Trent jemanden, der mit Samplern und Computern umgehen kann, um Soundeffekte für die Maschine aus dem "Happiness In Slavery"-Videoclip zu programmieren. Ich bekam einen Anruf und ging rüber zum Tate-Haus, wo das Video nachbearbeitet wurde. Ich nahm eine Reihe Samples von Zahnarztbohrern und solchem Zeug mit, packte sie in den Sampler, drehte ein bisschen am Pitchbender und hab noch ein paar Effektspuren aufgenommen. Wir haben ein paar Stunden daran gearbeitet, und den Rest des Tages haben wir Doom gespielt." Etwa in dieser Zeit begann Clouser, sich als Remixer für unter anderen White Zombie, Prong, oder auch Marilyn Manson einen Namen zu machen. Auf Trents Angebot, als Keyboarder in die Band einzusteigen, erwiderte Clouser zunächst, er sei "kein besonders guter Keyboarder, aber Trent sagte, "Keine Sorge, du lernst es. Ich bringe dir den Painolauf aus "March Of The Pigs" bei, und dann kannst du schon das Schwierigste."

 Peter Veringhoff