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Rock Hard

 

August 1994

 

 

 

Autor: Thomas Kupfer

 

 

Nine Inch Nails/Die Krupps

Düsseldorf, Tor 3

Es war die einzige Ruhrgebietsshow der Nine Inch Nails im Rahmen ihrer Mini-Deutschland-Tour, und da man mit den Krupps noch eine Support-Band ausgesucht hatte, die momentan in aller Munde/Ohren ist und in Düsseldorf zudem einen Lokalbonus genießt, war es fast logisch, dass etwa 1.000 Zuschauer den Weg ins Tor 3 fanden. Schön für die Bands, schlecht für die Leute, die nicht unbedingt 1,80 Meter groß sind und – wenn ihnen die Sicht nicht eh durch irgendwelche Betonpfeiler versperrt ist – meist nur den Hinterkopf des Vordermanns zu Gesicht bekommen. Ein anderer Kritikpunkt am Tor 3 ist die schon sprichwörtliche schlechte Akustik des Betonbunkers, mit der auch die KRUPPS anfangs zu kämpfen hatten:

Gitarren und Gesang zu leise, ein Schlagzeug, das während der ersten Nummern alles zubollert – da spricht es für die Band und ihren Soundman, dass man diese Probleme mit zunehmender Spielzeit besser in den Griff bekam und die Show doch noch als Erfolg verbuchen konnten. Da wir die Konzerte des Quintetts in letzter Zeit mehrfach reviewt haben und die Setlist nichts umwerfend Neues bot, geht das Schlusswort an Herrn Stratmann, der den Krupps „internationale Klasse“ und die Chance zum „Durchbruch auf breiter Ebene“ attestierte. Wohlgesprochen, Holg.

Doch trotz der gelungen Krupps-Show – gekommen waren die Anwesenden an diesem Tag vor allem wegen Nine Inch Nails. Oder besser: wegen Frontman und Mastermind Trent Reznor. Der hat sich aufgrund seiner sagenumwobenen (weil seltenen und exzessiven) Liveshows und seiner musikalischen Unberechenbarkeit längst zur Underground-Kultfigur gemausert und sollte diesen Ruf auch in Düsseldorf problemlos bestätigen.

Nach einer endlos langen Umbaupause ertönte minutenlang ein beklemmendes Intro, die Band war lediglich von hinten angestrahlt schemenhaft durch den Bühnenvorhang zu erkennen, ehe der Opener des aktuellen „The Downward Spiral“- Albums, ´Mr. Self Destruct’, den Startschuß zu einem in allen Bereichen perfekten Konzert gab. Eine Band, deren Mitglieder vom Outfit her problemlos in einem „Mad Max“-Streifen auftreten könnten, eine Lichtanlage, die keine Wünsche offenließ, reichlich Trockeneisnebel und ein Drumriser, der an einen abbruchreifen Holzschuppen erinnerte – da wundert es nicht, dass die Produktionskosten jeden Abend(!) einige 10.000 Dollar verschlungen haben sollen. Und mittendrin Trent Reznor, auf den sich von Anfang an alle Augen richteten.

Der Mann hat Ausstrahlung, erinnert nicht zuletzt aufgrund seiner ellenbogenlangen Lederhandschuhe an Perry Farrell, den exzentrischen Sänger von Jane’s Addiction und Porno For Pyros. Inmitten der chaotischen und Endzeit-Atmosphäre versprühenden Bühnenlandschaft bewegt er sich meist hyperaggressiv und prügelt unvermutet auf seine Musiker ein, ehe er bei balladesken Nummern – lediglich von einem einsamen Schweinwerfer im Profil angestrahlt -  den Eindruck eines Suizidverdächtigen erweckt. Reznor wirkt so, als habe der die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn längst überschritten, versteht es meisterhaft mit der Erwartungshaltung des Publikums, das gebannt auf den nächsten Eklat wartet, zu spielen.

Apropos spielen: Neben einer Show, die phasenweise mehr einer Theaterinszenierung denn einem Konzert glich, gab es natürlich noch exzellentes Songmaterial zu hören, wobei die Interpretation des Queen-Klassikers `Get Down, Make Love’ besondere Beachtung verdient. Beeindruckend, daß die Tracks der aktuellen Scheibe live um einiges brutaler als in der Studioversion kommen; faszinierend  - und vor allem bei den Stücken des Nine Inch Nails-Debüts „Pretty Hate Machine“  zu erkennen -, wie die Band (Reznor?) es immer wieder schafft, Parts, die von der Melodieführung her manchmal an alte Depeche Mode-Sachen erinnern, mit knallharten Industrial-Riffs zu kombinieren. Von diesen musikalischen Kontrasten und Reznor Schizophrenie leben die Nine Inch Nails, soviel wurde an diesem Abend in Düsseldorf klar.

Als die Band die Bühne ohne eine einzige Zugabe verließ und das Publikum wie benommen weiterstarrte, stellte sich zwangsläufig die Frage, ob das eben Gesehene Realität oder Fiktion war. Es war real – aber so brillant inszeniert wie bei noch keiner anderen Band zuvor. Ein größeres Kompliment gibt es wohl nicht…

Thomas Kupfer

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