NINE INCH NAILS / DIE KRUPPS
08.06.94 - Düsseldorf, Tor 3 ca. 500 Zuschauer
Ein NIN Konzert ist, aus rein
männlicher Sicht, vergleichbar mit dem ersten Besuch einer Edelhure: Das
Interesse am Neuen (vom unsäglichen Gastspiel mit Guns n‘ Roses abgesehen) und
Außergewöhnlichen übersteigt das schlechte Gewissen, eine Band zu supporten,
welche die Frechheit besitzt. ihre Klientel DM 40 für eine Reise in die Welt
des Eros bezahlen zu lassen (welche Prostituierte besorgt’s Dir für 40 Mark - d.
Red.). Doch Mastermind Trent Reznor ist sich - wie eine leichtlebige Diva
seines “Wertes“ voll bewußt und kostet diesen von der ersten bis zur letzten
Sekunde aus. Bereits vor dem vergleichsweise unspäktakulären Opener “Terrible
Lie“ wird die Spannung mit einem zehn minütigem lntro angeheizt, um sich in der
folgenden Stunde - wie in einer Fieberkurve – immer wieder vom prickelnden
Vorspiel zur ekstatischen Raserei zu steigern. Denn Reznor‘s Texte kennen praktisch
nur ein Thema “I want to you like an
animal. I want to feel you feel you from the inside.“ aus “Closer‘). Allerdings wirkt das aus
seinem Mund nicht wie platter Sexismus, sondern offenbart Seelenängste, deren
Unterdrückung psychotische Folgen erahnen lassen. Er gehört offensichtlich zu
jenen Menschen, die im gefährlichen Grenzbereich zwischen Genie und Wahnsinn
leben, und deren kreativer Fundus gleichermaßen einzigartig wie unerschöpflich
ist. In welchem pathologischem Stadium er sich mittlerweile befindet bleibt
allerdings offen, da es für den Zuschauer kaum zu entschlüsseln ist, wo eiskalt
kalkulierte Show und - mit dem Genius Hand in Hand gehende — triebhafter
Egoismus aufeinandertreffen. Jedenfalls ist er in der Lage mit Hilfe seiner
vierköpfigen Mannschaft mindestens 99% aller existierenden Bands dieses
verseuchten Planeten Förmlich an die Wand zu nageln: Nie habe ich eine
effektvoller eingesetzte Lightshow bewundert; selten einen transparenteren Soundteppich
vernommen; kaum einen charismatischeren Frontman erlebt und — last but not
least — eine einzigartigere Mischung aus Techno, Industrial, Metal und Hardcore
gehört. Kein Wunder also, daß sich im Banne von Reznors Eros wüste Szenen abspielen:
Totales Chaos bei Thrash-Attacken á la „Wish“ (mit „Fist Fuck“-Ambiente -
dieser Mann kennt keine Tabus!) und der Singleauskopplung “March Of The Pigs“
vom neuesten Opus; elektronischer Rombastrock mit unglaublichen Lichteffekten
bei Reptile (She spreads herself wide
open to let the insects in“…) oder die neuzeitliche Interpretation des
paradiesischen Sündenfalls: “The devil
wants to fuck me in the back of his car“ (aus „The Only Time“). Die
Szenerie wird von einer diebischen Lust an der sexuellen Provokation beherrscht
und die Vorstellung endet für den Betrachter wie der Beischlaf mit der oben
erwähnten, kostspieligen Dame: Schweißnaß, verstört aber befriedigt, unerwartet
und vor allem endgültig: Keine Zugabe!
MICHAEL SCHNEIDER
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