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September 1994

 

 

 

Autor: Michael Schneider

 

 

NINE INCH NAILS / DIE KRUPPS

08.06.94 - Düsseldorf, Tor 3 ca. 500 Zuschauer

Ein NIN Konzert ist, aus rein männlicher Sicht, vergleichbar mit dem ersten Besuch einer Edelhure: Das Interesse am Neuen (vom unsäglichen Gastspiel mit Guns n‘ Roses abgesehen) und Außergewöhnlichen übersteigt das schlechte Gewissen, eine Band zu supporten, welche die Frechheit besitzt. ihre Klientel DM 40 für eine Reise in die Welt des Eros bezahlen zu lassen (welche Prostituierte besorgt’s Dir für 40 Mark - d. Red.). Doch Mastermind Trent Reznor ist sich - wie eine leichtlebige Diva seines “Wertes“ voll bewußt und kostet diesen von der ersten bis zur letzten Sekunde aus. Bereits vor dem vergleichsweise unspäktakulären Opener “Terrible Lie“ wird die Spannung mit einem zehn minütigem lntro angeheizt, um sich in der folgenden Stunde - wie in einer Fieberkurve – immer wieder vom prickelnden Vorspiel zur ekstatischen Raserei zu steigern. Denn Reznor‘s Texte kennen praktisch nur ein Thema “I want to you like an animal. I want to feel you feel you from the inside.“  aus “Closer‘). Allerdings wirkt das aus seinem Mund nicht wie platter Sexismus, sondern offenbart Seelenängste, deren Unterdrückung psychotische Folgen erahnen lassen. Er gehört offensichtlich zu jenen Menschen, die im gefährlichen Grenzbereich zwischen Genie und Wahnsinn leben, und deren kreativer Fundus gleichermaßen einzigartig wie unerschöpflich ist. In welchem pathologischem Stadium er sich mittlerweile befindet bleibt allerdings offen, da es für den Zuschauer kaum zu entschlüsseln ist, wo eiskalt kalkulierte Show und - mit dem Genius Hand in Hand gehende — triebhafter Egoismus aufeinandertreffen. Jedenfalls ist er in der Lage mit Hilfe seiner vierköpfigen Mannschaft mindestens 99% aller existierenden Bands dieses verseuchten Planeten Förmlich an die Wand zu nageln: Nie habe ich eine effektvoller eingesetzte Lightshow bewundert; selten einen transparenteren Soundteppich vernommen; kaum einen charismatischeren Frontman erlebt und — last but not least — eine einzigartigere Mischung aus Techno, Industrial, Metal und Hardcore gehört. Kein Wunder also, daß sich im Banne von Reznors Eros wüste Szenen abspielen: Totales Chaos bei Thrash-Attacken á la „Wish“ (mit „Fist Fuck“-Ambiente - dieser Mann kennt keine Tabus!) und der Singleauskopplung “March Of The Pigs“ vom neuesten Opus; elektronischer Rombastrock mit unglaublichen Lichteffekten bei Reptile (She spreads herself wide open to let the insects in“…) oder die neuzeitliche Interpretation des paradiesischen Sündenfalls: “The devil wants to fuck me in the back of his car“ (aus „The Only Time“). Die Szenerie wird von einer diebischen Lust an der sexuellen Provokation beherrscht und die Vorstellung endet für den Betrachter wie der Beischlaf mit der oben erwähnten, kostspieligen Dame: Schweißnaß, verstört aber befriedigt, unerwartet und vor allem endgültig: Keine Zugabe!

MICHAEL SCHNEIDER

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