NINE INCH NAILS
BERLIN, COLUMBIAHALLE
Konzert am: 22.11.99
Es war ein schneller Doppelschlag
vor dem Millennium: Nach der grotesk langen Hinauszögerung des
Veröffentlichungstermins lag plötzlich jenes opulente Meisterwerk auf der
Ladentheke, das zwar „The Fragile“ hieß, in Aufmachung, Klang und Gebaren aber
keineswegs zerbrechlich wirkte. Trent Reznor, der von Mythen und Legenden umwehte
Alternative-Papst Amerikas, hatte sich mitsamt kalt-dröhnender Düster-Mucke und
einer neuen Fuhre zerquälter Psycholyrik nicht nur aus dem Keller seiner Gruft
in New Orleans herausgewagt, er begab sich sogar flugs auf Tournee, um das
offenbar viel Blut, Schweiß und Tränen Errungene herumzuzeigen. Ganze zwei
Audienzen gewährte er seiner deutschen Anhängerschaft, eine davon in der funktionell-unprätentiösen
Berliner Columbiahalle — der passende Ort für Reznors Geisterbahnfahrt durch
die emotionalen Schluchten seiner Seele.
Die Band, wie Statisten auf dem
schattenreichen Areal der weitläufigen Bühne verteilt, lieferte einen
apokalyptisch donnernden Soundtrack und versuchte mal mehr, mal minder
erfolgreich, die Computergeburten ihres Anführers mit traditionellem
Instrumentarium umzusetzen. Dazu lief das Geräusche-Playback im Dauereinsatz.
Vertikale Neonröhren der Hallendecke wurden stroboskopartig illuminiert und
wirkten wie Blitzgewitter aus Fritz Langs „Metropolis“. Und da, inmitten dieses
monochromen Infernos, stand schließlich Reznor, die Gitarre tiefhängend, die
Hemdsärmel abgeschnitten — und für einige Augenblicke aus wie das negative
Spiegelbild der Rock-Ikone Springsteen. Der „Anti Boss“, born in the fucking
USA. Die dann folgenden Minuten waren schnell und hart, aber leider auch
perfektionistisch und glatt. Sehr eindrucksvoll bewiesen Nine Inch Nails, dass
sie bei aller subkulturellen Credibility trotzdem noch funktionierender Teil amerikanischen
Entertainment-Systems sind.
Am Ende des Sets wurden folglich
frühe NIN „Hits“ wie Popcorn ins gruftig-alternative Publikum geworfen, wo das
Spektakel mit Jubel und alkoholgestützter Ekstase konsumiert wurde. Mit Seelenstrips wie „Head Like A
Hole“, „Down In It“, „Closer“ und schließlich „The Day The World Went Away“
fand die Horrorshow ihr effektvolles Ende.
Gestern war Tanz am Abgrund
angesagt, Baby. Eintritt 33Mark.
Andreas Borcholte
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