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Zillo

 

Juni 2005

 

 

 

Autor: Carsten Wohlfeld

 

 

Livereview: London, Astoria, 31.03.2005

NINE INCH NAILS

Support: The Dresden Dolls

 

Man kann sie förmlich riechen, die Spannung, die sich rund um das altehrwürdige Charing Cross Astoria, unweit der Shoppingmeile Qxford Street im Herzen von Salm, breit macht. Nach weniger als einer Handvoll Aufwärmkonzerten an der US-Westküste sollen Nine Inch Nails - vier Wochen vor der Veröffentlichung von "With Teeth" - ihre Rückkehr auf europäische Bühnen feiern! Und das keineswegs bei irgendeiner x-bliebigen Massenveranstaltung, sondern mit zwei Konzerten in einem der schönsten Venues Londons. Weniger als 2000 Menschen finden im Astoria Platz - kein Wunder, dass die Tickets innerhalb von Minuten ausverkauft waren und - angeblich - Karten für bis zu 600 britische Pfund (also annähernd 1000 Euro) den Besitzer gewechselt haben sollen. Für einen großen Abend ist also alles bereit!

 Selbst die Vorband: einfach großartig. Am ersten Abend hatten die zwei Goth-Punk-Cabaret-Verfechter Amanda Palmer und Brian Viglione Berichten zufolge noch etwas zuviel Respekt vor der Aufgabe (und rund 1600 Fans, die allesamt nur auf die Nails warteten), doch am zweiten Abend legen die Dolls einen wahrlich meisterhaften Auftritt hin. Musikalisch minimalistisch (bekanntlich brauchen Amanda und Brian live wie im Studio nicht mehr als ein Klavier und ein Schlagzeug), dennoch in ihren Songs mit großen Gesten, reißt an diesem Abend interessanterweise nicht die unglaublich gut ins Ohr gehende Single "Coin-Operated Boy" das Publikum zu den größten Beifallsstürmen hin, sonder das scheinbar doppelt so schnell wie auf der Platte gespielte "Girl Anachronism" als letzte Nummer des leider nur rund 30-minütigen Sets. Nachdem die zwei auf ihren Konzerten der letzten Monate alles von David Bowie bis Jacques Brel gecovert haben, geht's auch in London trotz der Kürze der Zeit nicht ohne Coverversion, und ob Black Sabbath "War Pigs" diesen Sommer bei ihrer Reunion-Tour genauso überzeugend bringen werden, muss sich erst noch zeigen! Bewundernswert jedenfalls die Ernsthaftigkeit und Nachdrücklichkeit, mit der das Duo aus Boston seine düsteren Miniopern zelebriert - die Intensität von "Half Jack" zum Beispiel ist an diesem Abend fast schon beängstigend. Aber als Supportact sucht sich ein Mann wie Trent Reznor eben auch nicht irgendwen aus!

Eine halbe Stunde Umbaupause später ist  es endlich so weit, und noch bevor Reznor  und die Seinen auf die Bühne stürmen, geht ein Raunen durch die vorderen Reihen. Während das Intro vom Band schon läuft, wird nämlich hektisch noch ein Keyboard in die Bühnenmitte gehievt. "Die ändern die Setlist!' ruft ein Zuschauer und kann sich vor Begeisterung kaum beherrschen. Und richtig: Nachdem am ersten Abend noch die neue Nummer "Love Is Not Enough" am Anfang gestanden hat, geht es dieses Mal mit zwei alten Krachern aus "The Fragile"( "The Frail" und "The Wretched") los - begleitet von einem Schwall bohrender Licht-Speere, die ganz ausgezeichnet zu den Songs aus Reznors verquerem 1999er Epos passen. Beim dritten Song ist er denn schon schweißgebadet und entfacht mit seiner neuen Band - zu der mit Bassist Jeordie White und Gitarrist Aaron North zumindest noch zwei Überlebende der ‚Fragility" -Tour gehören - bei "You Know What You Are" ein lärmendes Inferno, bei dem auch dem Letzten im Rund des Astoria klar wird, dass Nine Inch Nails mit ihrem neuen Album wieder zu aller Form zurückgefunden haben. Zum Nachdenken jedoch lässt uns Reznor gar nicht viel Zeit, denn mit "March Of The Pigs", "Piggy" und "Terrible Lie" geht es Schlag auf Schlag weiter. Die neuen Songs a la "The Line Begins To Blur" oder das unverschämt poppige "The Collector" fügen sich fast nahtlos in die alten Heuler ein, und dass Reznor kaum ein Wort an das Publikum richtet, fällt auch kaum auf: Wer dunkle Klassiker wie das durch ein Strobo-Gewitter wirkungsvoll in Szene gesetzte "Closer" hat, muss nun wirklich nicht mehr viele Worte verlieren. Sogar das selten gespielte "Reptile" wird am zweiten Abend ausgegraben!

 Bevor die Band allerdings zum großen Finale ansetzt, stellt Reznor noch unter Beweis, dass es ihm nicht nur um den Sound, sondern vor allem auch um die Songs geht. "Even Deeper" ist ein großartiger Song, bei dem sich Elektronik und Rock ganz ausgezeichnet ergänzen, und über "Hurt" muss man nicht mehr viel sagen. Die Nummer war schon vor ihrer Adelung durch Johnny Cashs ergreifende Version Reznors songtechnisches Meisterstück und sorgt nun erst recht Gänsehautstimmung und atemlose Stille im "intimen" Astoria. Jede andere Band hätte nach solch magischen Momenten vermutlich die Bühne verlassen, doch Reznor legt nach: Mit der aktuellen Single "The Hand That Feeds", einem simplen, aber gerade in der Live-Umgebung äußerst wirkungsvollen, weil eingängigen Rocksong mit einem herausgebrüllten "Starfuckers" - natürlich - "Head Like A Hole" ganz zum Schluss. Es gibt keine Zugabe. Doch nicht nur deshalb bewies Reznor an diesem Abend, dass er etwas Besonderes ist: Trotz seiner Wortkargheit präsentierte er sich in London als perfekter Frontman einer nach nur fünf Konzerten erstaunlich gut eingespielten Band, der die in ihm brodelnden Emotionen perfekt in düstere Töne umzusetzen wusste und damit nicht nur rund zweitausend Londoner in seinen Bann schlug. Ein wahrlich glorreiches Comeback!

 Carsten Wohlfeld

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