Mit der spektakulären
Internet-Kampagne zu ihrem neuen Album “Year Zero” haben sich Nine Inch Nails
wieder mal als progressive Geister empfohlen. „Virales Marketing“ heißt die
spielerische Methode, Fans über Wochen auf die Folter zu spannen.
Schon seit Anfang des Jahres
streute die Band in Schnitzeljagd-Manier Infos und Gerüchte im virtuellen Raum.
Stundenlang ließ sich da Zeit im Netz vertrödeln, um sich in das ausgetüftelte
NIN-Labyrinth zu begeben und nebenbei ein paar „zufällig“ ins Netz geratene
Songs der Industrial-Combo zu ergattern. Da durfte man sich schon fragen, wie
die Meister der virtuellen Selbstinszenierung die proppenvolle Berliner
Columbiahalle am ersten zweiter ausverkaufter Abende wohl entern werden. Als
projizierte Avatare? Oder überraschend auf der Bühne materialisiert? Nichts
dergleichen. Das Hallenlicht ist noch nicht erloschen, die Bühnenroadies noch
in Reichweite, da stehen Nine Inch Nails schon auf der Rampe und fackeln nicht
lange.
Mit „Somewhat Damaged“ von „The
Fragile“ feuern Trent Reznor und seine vier Mitstreiter eine erste Breitseite
ab. Die Band des 41-jährigen Kontrollfreaks hat den Ruf, austauschbar zu sein –
Reznor lässt sich ins Songwriting bekanntlich nicht reinreden. Zur aktuellen
Besetzung zählen Gitarrist Aaron North, Tastenmann Alessandro Cortini,
Schlagzeuger Josh Freese und Bassman Jerodie White (eins Marilyn Manson
Sidekick „Twiggy Ramirez“). Es zeigt sich, dass die vier weit mehr sind als
bloß Schattenmännern: Sie wirken positiv angespannt, wie Sprinter vor dem
Startschuss.
Dass die Band derart einschlägt,
liegt nicht unwesentlich am perfekt austarierten Sound in der ehemaligen
US-Militär-Sporthalle Der klingt umwerfend klar, die Extrempole des dynamischen
Spektrums sind scharf gegeneinander abgegrenzt. Gesprächsbedarf zwischen den
Nummern besteht offenbar keiner. Stattdessen ballern Reznor und Co. effizient
vor allem die Brecher ihres Repertoires wie „Last‘, „Heresy“ oder „March Of The
Pigs“ heraus. Zur nüchternen Schweißarbeit der Band passt die betont
schmucklose Bühne: Ein paar Werkslampen baumeln da von der Decke und geraten
mitunter ins Schwingen wie auf einem schwankenden Schiff. Nur in einzelnen
Momenten, etwa bei der teen angst-Hymne „Closer“ vom 94er-Album „The Downward
Spiral“, flackert die Bühne in tiefrotem Licht. Das Publikum, weitgehend
uniform in Schwarz gewandet, erweist sich dabei als textfest: “I want to fuck
you like an animal... You get me closer to god“: Auf Reznors rabehschwarze
Lyrics können sich alte wie neue Nine-Inch-NailsVerehrer offenbar gut einigen.
Der visuelle Purismus des Abends
passt auch zur Songauswahl, die wie ein Destillat aus bald 20 Jahren Nine Inch
Nails wirkt. Zu hören sind so gut wie keine der clever beworbenen neuen Songs,
Ausnahmen sind der Elektrogroover „Survivalism“ und „The Beginning Of The End“.
Dafür setzt es umso mehr lange entbehrte Publikumslieblinge wie „Wish“ oder
auch „Gave Up“: ein Fest vor allem für Fans der frühen Albumklassiker „Broken“
und „The Downward Spiral“.
Gegen Ende überkommen Reznor dann
doch noch fast gesellige Anflüge: Da verrät er, dass die Band so viele neue
Songs im Ärmel habe, dass es bald nach „Year Zero“ schon das nächste Album
geben soll. Entsprechend wird auch die nächste Konzertstaffel nicht lange auf
sich warten lassen, einige Headliner-Shows auf den europäischen Sommerfestivals
stehen bereits fest. Neues Album, Live-DVD, Welttour, Internet Kein Zweifel,
Trent Reznor schenkt sich zurzeit nichts.
So verwundert es auch nicht, dass
der Workaholic, den das amerikanische Nachrichtenmagazin „Time“ einmal zu den
„25 einflussreichsten Amerikanern“ zählte, bemerkenswert durchtrainiert wirkt.
Die Haare kurz getrimmt, in T-Shirt und Jeans und in dauernder Bewegung wirkt
Reznor anno 2007 fraglos besser in Schuss als noch vor zehn Jahren. Der
„Abwärtsspirale“ früherer Jahre scheint er ein für allemal entkommen. Als
Reznor schließlich seine tiefschwarze Ballade „Hurt“ solo am Klavier gibt, ist
das ein fast schon rührender Moment der Einigkeit zwischen den Fans und dem
Mann auf den Brettern - zarte Gefühle, die die Band jedoch umgehend mit den
finalen Dampframmen „The Hand That Feeds“ und „Head Like A Hole“ zermalmt. Ehe
das Publikum seine Begeisterung voll zum Ausdruck bringen kann, ist die Halle
schon grell erleuchtet. Und von Reznors Leuten niemand mehr zu sehen.
3 Sterne
Ulrike Rechel
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