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Eclipsed

Sonderheft Berlin

 

Juni 2007

 

Nine Inch Nails

Berlin, Columbiahalle, 24.03.2007

 

 

Autor: Ulrike Rechel

 

 

 

 

Mit der spektakulären Internet-Kampagne zu ihrem neuen Album “Year Zero” haben sich Nine Inch Nails wieder mal als progressive Geister empfohlen. „Virales Marketing“ heißt die spielerische Methode, Fans über Wochen auf die Folter zu spannen.

Schon seit Anfang des Jahres streute die Band in Schnitzeljagd-Manier Infos und Gerüchte im virtuellen Raum. Stundenlang ließ sich da Zeit im Netz vertrödeln, um sich in das ausgetüftelte NIN-Labyrinth zu begeben und nebenbei ein paar „zufällig“ ins Netz geratene Songs der Industrial-Combo zu ergattern. Da durfte man sich schon fragen, wie die Meister der virtuellen Selbstinszenierung die proppenvolle Berliner Columbiahalle am ersten zweiter ausverkaufter Abende wohl entern werden. Als projizierte Avatare? Oder überraschend auf der Bühne materialisiert? Nichts dergleichen. Das Hallenlicht ist noch nicht erloschen, die Bühnenroadies noch in Reichweite, da stehen Nine Inch Nails schon auf der Rampe und fackeln nicht lange.

Mit „Somewhat Damaged“ von „The Fragile“ feuern Trent Reznor und seine vier Mitstreiter eine erste Breitseite ab. Die Band des 41-jährigen Kontrollfreaks hat den Ruf, austauschbar zu sein – Reznor lässt sich ins Songwriting bekanntlich nicht reinreden. Zur aktuellen Besetzung zählen Gitarrist Aaron North, Tastenmann Alessandro Cortini, Schlagzeuger Josh Freese und Bassman Jerodie White (eins Marilyn Manson Sidekick „Twiggy Ramirez“). Es zeigt sich, dass die vier weit mehr sind als bloß Schattenmännern: Sie wirken positiv angespannt, wie Sprinter vor dem Startschuss.

Dass die Band derart einschlägt, liegt nicht unwesentlich am perfekt austarierten Sound in der ehemaligen US-Militär-Sporthalle Der klingt umwerfend klar, die Extrempole des dynamischen Spektrums sind scharf gegeneinander abgegrenzt. Gesprächsbedarf zwischen den Nummern besteht offenbar keiner. Stattdessen ballern Reznor und Co. effizient vor allem die Brecher ihres Repertoires wie „Last‘, „Heresy“ oder „March Of The Pigs“ heraus. Zur nüchternen Schweißarbeit der Band passt die betont schmucklose Bühne: Ein paar Werkslampen baumeln da von der Decke und geraten mitunter ins Schwingen wie auf einem schwankenden Schiff. Nur in einzelnen Momenten, etwa bei der teen angst-Hymne „Closer“ vom 94er-Album „The Downward Spiral“, flackert die Bühne in tiefrotem Licht. Das Publikum, weitgehend uniform in Schwarz gewandet, erweist sich dabei als textfest: “I want to fuck you like an animal... You get me closer to god“: Auf Reznors rabehschwarze Lyrics können sich alte wie neue Nine-Inch-NailsVerehrer offenbar gut einigen.

Der visuelle Purismus des Abends passt auch zur Songauswahl, die wie ein Destillat aus bald 20 Jahren Nine Inch Nails wirkt. Zu hören sind so gut wie keine der clever beworbenen neuen Songs, Ausnahmen sind der Elektrogroover „Survivalism“ und „The Beginning Of The End“. Dafür setzt es umso mehr lange entbehrte Publikumslieblinge wie „Wish“ oder auch „Gave Up“: ein Fest vor allem für Fans der frühen Albumklassiker „Broken“ und „The Downward Spiral“.

Gegen Ende überkommen Reznor dann doch noch fast gesellige Anflüge: Da verrät er, dass die Band so viele neue Songs im Ärmel habe, dass es bald nach „Year Zero“ schon das nächste Album geben soll. Entsprechend wird auch die nächste Konzertstaffel nicht lange auf sich warten lassen, einige Headliner-Shows auf den europäischen Sommerfestivals stehen bereits fest. Neues Album, Live-DVD, Welttour, Internet Kein Zweifel, Trent Reznor schenkt sich zurzeit nichts.

So verwundert es auch nicht, dass der Workaholic, den das amerikanische Nachrichtenmagazin „Time“ einmal zu den „25 einflussreichsten Amerikanern“ zählte, bemerkenswert durchtrainiert wirkt. Die Haare kurz getrimmt, in T-Shirt und Jeans und in dauernder Bewegung wirkt Reznor anno 2007 fraglos besser in Schuss als noch vor zehn Jahren. Der „Abwärtsspirale“ früherer Jahre scheint er ein für allemal entkommen. Als Reznor schließlich seine tiefschwarze Ballade „Hurt“ solo am Klavier gibt, ist das ein fast schon rührender Moment der Einigkeit zwischen den Fans und dem Mann auf den Brettern - zarte Gefühle, die die Band jedoch umgehend mit den finalen Dampframmen „The Hand That Feeds“ und „Head Like A Hole“ zermalmt. Ehe das Publikum seine Begeisterung voll zum Ausdruck bringen kann, ist die Halle schon grell erleuchtet. Und von Reznors Leuten niemand mehr zu sehen.

3 Sterne

Ulrike Rechel

 

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