Bowie mag Reznor, Reznor mag Bowie. Doch bei der
gemeinsamen Tournee gibt's ein Generationsproblem: Das verehrte Publikum will
sich mit dem Doppelpack nicht anfreunden.
Sigmund Freud hätte - vorausgesetzt, er würde, wenn heute
noch am Leben, nicht in irgendeiner verpissten Gasse als crackrauchendes Gemüse
vor sich hinvegetieren - seine wahre Freud': Über fünfzig Jahre nach seinem
Ableben scheinen endlich auch Musiker ihren Ödipus-Komplex zu überwinden.
Anstatt ihre musikalischen Väter schamlos abzukupfern, bloß um sie im nachhinein
als "Boring Old Farts" abzukanzeln und ihnen den Dolch in den Rücken zu rammen,
gestehen heutzutage immer mehr Bands ihre musikalische Herkunft ein. Manche von
ihnen präsentieren sich mit ihren geistigen Erzeugern sogar stolz als
Vater-und-Sohn-Gespann auf der Bühne. Der Trend begann mit Nirvana und ihrer
Kollaboration mit den Meat Puppets, danach machten R.E.M. gemeinsame Sache mit
den Beat-Dinosauriern The Troggs. Und schließlich gaben sich die Jungs von Pearl
Jam dazu her, Grunge-Großvater Neil Young zu begleiten, wofür sie sogar Eddie
Vedder kotzenderweise im Backstagebereich zurückließen. Und nun der neueste
Streich: Trent Reznors Nine Inch Nails spielen die Vorgruppe zu David Bowies
´Outside'-Welttournee.
Wirklich überraschend ist diese Paarung allerdings nicht.
Reznor hatte immer wieder in den wenigen Interviews, die er denn gab, betont,
wie sehr er von Bowie beeinflusst sein, insbesondere von dessen Alben ´Low',
´Heroes' und ´Lodger': jener Berlin-Triologie, die bis zum diesjährigen Album
´Outside' Bowies letzte Zusammenarbeit mit Brian Eno darstellte.
Einem aufmerksamen Medienbeobachter wie David Bowie entgingen
diese Schmeicheleien natürlich nicht. Ganz im Gegenteil: seiner offen
zugegebenen Eitelkeit wurde durch Reznors Liebdudelei Genüge getan, und Bowie
war sich auch nicht zu schade, sich für derartige Gefälligkeiten zu
revanchieren. "Nine Inch Nails" sind eine der spannendsten Bands der Neunziger",
betont er bei Interviews, in denen er die geplante Zusammenarbeit mit Reznors
Band jedoch noch geheimhielt. "Durch Leute wie Trent Reznor wird die Musik nach
den faden achtziger Jahren endlich wieder interessant."
Auch der musikalische Mastermind hinter Bowies Comeback,
Brian Eno, konnte nichts gegen eine Verflechtung der neuen Herrscher der
Industrial-Avantgarde namens Nine Inch Nails mit den Urvätern dieses Sounds,
Bowie und ihm, einwenden. Warum sollte er auch? Eno bewies (und beweist immer
noch) in zahllosen Koproduktionen mit frischen Künstlern, dass er keinerlei
Berührungsängste mit der neuen Generation hat. Und selbst wenn ihm je der
Gedanke gekommen sein mag, dass Nine Inch Nails doch nur einen müden Abklatsch
seiner alten Ideen inszenieren, der auf alte Bowie-Fans so erotisch und
anziehend wirken könnte wie ein Schweißroboter aus den Opel-Werken, so verwarf
er ihn bestimmt ganz schnell: Ein Mann, der noch nicht einmal davor
zurückschreckt mit der irischen Beichtbrüdertruppe U2 zusammenzuarbeiten (deren
nächstes Werk er gerade produziert), hat bestimmt keine Skrupel!
Der Weg zur gemeinsamen Tour war also geebnet. Man brauchte
noch nicht einmal nach einem tieferen Sinn hinter dem Ganzen zu graben, denn
schon der offensichtlichste Grund beantwortet alle Fragen. Es ist eine Tatsache,
dass Bowie längst nicht mehr auf der Höhe der Popularität ist. Spätestens seit
´Scary Monsters' (seiner Meinung nach), eigentlich aber schon seit ´Lodger'
(meine Meinung), brachte er nur noch Schrott heraus. Die Tin-Machine-Alben waren
Therapieübungen eines Verzweifelten, ´Black Tie, White Noise' ein vorsichtiger
Schritt in die richtige Richtung. Alles andere verdient noch nicht einmal die
Tinte auf dem Papier.
Bowie hatte also nach Fertigstellung von ´Outside' vor
wenigen Monaten ein marketingtechnisches Problem. Seine Fangemeinschaft befand
sich im Winterschlaf oder in der Leichenstarre, und er wollte auf große Tour.
Sicher, er hätte ein Comeback a la Eagles oder Steely Dan ankündigen können,
eine Tour, auf der er Neues, vor allem aber seine alten Hits spielen würde, und
für die er Ticketpreise im dreistelligen Bereich verlangen hätte können. Doch
das war nicht drin. Mit seiner ´Sounds & Vision'-Tour verabschiedete sich
Bowie endgültig von den Songs, die ihn berühmt gemacht hatten, ließ ein letztes
Mal Ziggy Stardust und die Spiders From Mars vor staunendem Publikum ihr Show
abrollen. Von da an sollte sich jeder die alten Kamellen "gefälligst auf CD
anhören", wie es Bowie einmal etwas unwirsch ausdrückte. Die andere Möglichkeit:
eine exklusive Tour durch kleinere Läden, auf der er einem erleseneren Publikum
die Komplexität seines neuen und zweifellos besten Werks seit den späten
Siebzigern live vorstellen könnte. Niemals! Nicht dass Bowie ein
selbstverliebter Egomane wäre, der nur vor einem Millionenpublikum auftreten
will, und sich demnächst den Titel "King OF Avantgarde" zulegen wird. Aber er
braucht schon ein bisschen Spektakel, ein wenig Kontroverse, damit er richtig
ins Rollen kommt. Und deshalb entschied er sich für die dritte Möglichkeit:
Bowie und sein derzeit angesagter Ziehsohn Reznor kommen gemeinsam, ganz
grandios, eine richtige Horrorshow. Reznor, der mit seiner selbsterfundenen
Theatralik das Publikum der Neunziger ähnlich gefangen hält wie ehemals Ziggy
Stardust, war genau der richtige Kandidat, um die vielzitierte Generation X vor
die Bühne und somit ins Netz der Spinne Bowie zu locken.
Schön gedacht, aber: funktioniert es auch? Die antwort darauf
kann nur der Selbstversuch geben. Ort des Testes: Austin, Texas. Testpersonen:
ungefähr 25.000 Texaner und Euer buckliger Schreiber. Testergebnis: zwiespältig.
Zwar versammelten sich mächtig viele Menschen vor dem Eingang der malerisch
gelegenen Southpark Meadows Freilichtbühne. Doch dass am Ende der Show bereits
die Hälfte gegangen war, zeigte, dass es doch nicht so richtig geklappt hatte.
Erste Zweifel kamen bereits bei der Vorgruppe namens Prick auf. Irgendwie passte
rein gar nichts zusammen: Ein wunderschöner Sonnenuntergang über grasbezogenen
Hügeln, eine bestenfalls mittelmäßige Industrial-Rockband von Trents hauseigenem
Label, und ein beschissener Sound wie aus dem Telefon, der nach mehr als 100
Metern Entfernung von der Bühne weder Höhen noch Tiefen erkennen ließ. Die
Zuhörerschaft schien ähnlich zu denken, und fläzte und fummelte derweil am Rand
der Wiese herum, tankte Bier und/oder klinkte sich mit LSD oder Ecstasy aus -
man glaubt es kaum, aber Austin hat eine der härtesten Acid-Szenen, die ich je
erlebt habe.
Mit dem effektreichen Auftritt von Nine Inch Nails
(Rauchbomben, UFO-ähnliche Lampen) schien der Höhepunkt des Abends erreicht zu
sein. Sexy-Trent (wie Endzeit-Jim Morrison ganz in braunes und schwarzes Leder
gewickelt) ließ sich ab und an auch mal hinfallen, bevor er weitergrunzte und
stöhnte. Das Publikum stürmte von den Hügeln herab, um sich im Antlitz ihres
Gottes so lang in den Hintern treten, oder die Schnauze zu polieren, bis sie zu
Hunderten links und rechts der Bühne von Sanitätern wieder zusammengeflickt
werden mussten. Trent ignorierte das Tohuwabohu. Er hätte die Show genauso gut
vor gar keinem Publikum oder in einem überfüllten Flüchtlingslager in Ruanda
abziehen können, so cool, so programmiert, so distanziert und ganz ohne jeden
Kontakt zur Umwelt. Ich hatte Nine Inch Nails das letzte Mal als Vorgruppe von
Guns N'Roses im Londoner Wembley Stadium gesehen. Damals waren sie eine
Scheißband mit einer Scheißshow. Heute sind sie eine Scheißband mit einer guten
Show - und das reicht dem Gros der Fans, das entweder kein Hirn, oder es durch
Pillen in Aspik eingelegt hat. Der offizielle Höhepunkt der Show, sind die fünf
Songs, die Bowie zusammen mit Reznor aufspielte, war dann für die meisten das
Signal zum Aufbruch. ´Subterraneans' mit Reznor am Saxophon, der übrigens ein
ähnlich lausiger Sax-Bläser ist wie Bowie, brachte die Mosh-Pit endgültig zum
Stillstand.
Und während des von Bowie umarrangierten Nine Inch
Nails-Songs ´Hurt' war Reznor der einzige, der noch schrie. Danach legte sich
eine geradezu unheimliche Stille über das kurz zuvor noch aufgewühlte
Schlachtfeld. Bowie nutzte die Ruhe, um "Good evening, Austin" zu rufen - das
erste Mal an diesem Abend, dass ein Musiker sich direkt ans Publikum wendete,
und für einen altmodischen Sack wie mich auch eine nette Geste. Doch mit netten
Gesten war's nicht getan. Während Bowie die ersten sechs Lieder, allesamt vom
aktuellen Album, in bester Glamour-Manier vortrug, leerte sich das Feld weiter.
Dabei stimmte nun endlich der Sound, und Bowies ausgezeichnete Band (mit Tin
Machine-Gitarrist Reeves Gabrels, Ural-Genosse Carlos Alomar an der
Rhythmusgitarre, Chick Corea-Schüler Mike Garson am Piano und einer
fantastischen, kahlrasierten, farbigen Bassistin names Gail Ann Dorsey)
vollbrachte wahre Wunder, um das weißgott nicht einfache ´Outside'-Material
livegerecht rüberzubringen. Perlen vor die Säue! Die wenigsten kannten die neuen
Songs, und noch weniger scherten sie sich einen Dreck darum. Stattdessen
warteten sie auf die alten Hits. Bowie brachte wider Erwarten doch ein paar
Nummern aus seiner wilden Jugend, aber das waren wirklich obskure Stücke wie
´Teenage Wild-life', ´Andy Warhol' und eine unkenntliche Neuversion von ´The Man
Who Sold The World'. Nichts davon schien geeignet, ihm neue Freunde zu gewinnen,
geschweige denn neue Söhne heranzuziehen. Lediglich bei der alten
Queen/Bowie-Nummer ´Under Pressure', bei der die bereits erwähnte Bassistin auch
noch 1a-Sangesqualitäten bewies, zuckten die versteinerten Reste vor der Bühne
im Takt. Ein Trauerspiel. Bowie gab sich redlich Mühe, aber er hatte mit Trent
und seinem Fan-Gefolge auf's falsche Pferd gesetzt. Vielleicht ging es ja bei
der Chose wirklich nur um die Überwindung eines Ödipus-Komplexes. Vielleicht
hatte Reznor auch niemals einen Ödipus-Komplex. Vielleicht wollte er lieber
seine Mutter töten und mit seinem Vater schlafen. Wie auch immer. Die ganze
blöde Kiste kann man eigentlich nur mit einem blöden Scherz beenden: Ödipus, old
Motherfucker. Hauptsache, Du haste Deine Mutter lieb…