Wenn Eric Draven (Brandon Lee) in dem düsteren
Fantasy-Thriller "The Crow" bei strömendem Regen über den Dächern einer
Großstadt der Krähe folgt, wird der Zuschauer auf die angenehmste Weise an Joy
Division erinnert, denn parallel zur Handlung wird eine brillante Coverversion
von "Dead Souls" gespielt. Diese ist dem Original in seiner Intensität beinahe
überlegen und in den einschlägigen In die-Discos längst zu einem
Tanzflächenfüller avanciert. Verantwortlich für diese gelungene Adaption
zeichnet sich Trent Reznor, Kopf der US-Industrial-Band Nine Inch Nails, die
inzwischen zu einem der angesagtesten Acts in den Staaten geworden
ist.
Geboren 1965 in Mercer, einer winzigen Stadt in der Nähe von
Pittsburgh, wächst Michael Trent Reznor im Anschluss an die Scheidung seiner
Eltern bei seinen Großeltern auf. "Meine Lebenserfahrung zog ich aus Filmen,
Büchern und Magazinen", erzählt er dem ´Rolling Stone Magazine' über das triste
Leben in Mercer. Im Alter von fünf Jahren beginnt er Piano zu lernen und nimmt
später Saxophon- und Tuba-Unterricht. Als der von Science-Fiction begeisterter
Reznor die Gruppe Kiss entdeckt, steigt sein großes Interesse für Rockmusik
weiter an. Im Jahre 1984 entscheidet sich Reznor, nach dem er bereits ein
Studium für Computer/Maschinenbau begonnen hat, für seine Leidenschaft Musik und
zieht nach Cleveland, Ohio. Dort lebt er zusammen mit seinem Freund und späteren
Schlagzeuger von NIN, Chris Vrenna. In den Right Track Recording Studios in
Cleveland findet Reznor einen Job und gewinnt schnell das Vertrauen des Studio
Bosses, der ihm erlaubt, nach der Arbeit zu bleiben und die Möglichkeiten des
Studios zu nutzen.
Hier nimmt Reznor nachts im Alleingang das erste Nails-Album
"Pretty Hate Machine" auf. "Obwohl ich das Album heute noch mag, ist "Pretty
Hate Machine" eine sehr naive Platte, viel offensichtlicher als alles, was ich
danach gemacht habe", resümiert Reznor über das Erstlingswerk, das unter anderem
von so bekannten Größen wie Flood, der bereits Depeche Mode und U2 auf die
Sprünge half, produziert wurde. Im Herbst 1989 veröffentlicht, wurde das Album
eine Million mal verkauft und hielt sich mehr als 90 Wochen in den
amerikanischen Billboard-Verkaufscharts. Als Inspiration für die Ideen und
Sounds gab Reznor damals unter anderem den Horror Regisseur Clive Baker
("Hellraiser"), Janes Addiction und Prince an. Nach der der Veröffentlichung
ihres Debüts waren die Nails dann fortan kontinuierlich auf Tour und zogen das
Publikum mit ihrer brachialen, außergewöhnlichen Live-Show in den Bann. Schon
sehr früh war jedes ihrer Konzerte ausverkauft.
Die langerwartete nächste Veröffentlichung, die EP "Broken",
erschien im September 1992 und markiert die nächste Phase von Nine Inch Nails.
Im Gegensatz zu dem Album "Pretty Hate Machine", das vollständig am Computer
entstand, experimentierte Reznor hier mit Gitarren.
Zunächst fühlten sich seine Fans - nicht zuletzt von der
Aggressivität, die sich durch "Broken" wie ein roter Faden zieht - wie vor den
Kopf geschlagen. Doch schon nach kurzer Zeit hatten sie den Schock vergessen und
einen hohen Begriff von dem neuen Material. Als Bonus-Tracks sind auf "Broken"
die Stücke "Suck", das Reznor zusammen mit der Gruppe "Pigface" aufnahm, und die
Coverversion von "Physical (You're So)", im Original von Adam And The Ants,
enthalten. Reznor erhielt für diese Platte, die er in einer für ihn schlimmen
Zeit seines Lebens aufnahm, einen Grammy in der Sparte "beste Metal-Band". Sie
ist Reznors wütendes Statement gegen die gängigen Marktmechanismen der
Musikindustrie, speziell gegen die damalige Plattenfirma der Nails, TVT
Records.
Inzwischen hat TVT den Besitzer gewechselt und Reznor sein
eigenes Plattenlabel namens "Nothing" gegründet. Noch im selben Jahr erschien
die EP "Fixed", die wechselvolle Interpretationen einiger Songs der "Broken"-EP
enthält; so zum Beispiel wurde "Gave Up" von Coil remixt. Einmal mehr in die
öffentliche Diskussion über Kunstverständnis und guten Geschmack brachten Nine
Inch Nails ihre Video-Clips zu "Happiness In Slavery" und "Gave Up", da sie
Gewalt in schonungsloser Form darstellen und in diesem Punkt mit harten
Splatter-Movies konkurrieren könnten. Ersterer wurde von der britischen
Filmzensur-Behörde verboten.
Ein Jahr lang kapselte sich Reznor von der Außenwelt ab und
arbeitete unbeirrt, diesmal wieder am Computer, an einem neuen Album im Studio
"Le Pig" in Los Angeles. Dieses hatte er bereits vor Jahren in dem Haus
eingerichtet, in dem 1969 die Filmschauspielerin Sharon Tate und vier ihrer
Gäste auf bestialische Art und Weise ums Leben gebracht wurden. Was dazu führte,
dass einige Leute dachten, Reznor wäre fasziniert von Serien-Killern, was nicht
der Fall ist, wie er später offen erklärt. Reznor kaufte das Haus, so beteuert
er, ohne etwas von der Vorgeschichte gewusst zu haben. "Er hat kein Schamgefühl,
und er weiß nicht, wann ein Scherz zu weit geht", schimpfte Al Jourgensen von
Ministry erst kürzlich im "Spiegel" über Reznor.
Der jedenfalls strapazierte die Sequenzer und die Gitarren im
"Le Pig" bis aufs äußerste. Das Resultat, das 1994 erschienene Konzeptalbum "The
Downward Spiral", ist dabei mehr als ansehnlich und noch weiter vom Mainstream
entfernt als die bisherigen NIN-Veröffentlichungen. "Ich wollte die Geschichte
einer Person schreiben, die ihre derzeitige Situation analysiert, das, was sie
erreicht hat, ihre Beziehung zu anderen Menschen, Sex, Drogen, Religion. Es war
mir von vorneherein klar, dass es keine fröhliche Platte werden würde",
kommentiert Reznor, die Entstehung des Konzeptalbums. "The Downward Spiral" ist
NINs bisher erfolgreichste Produktion, die in den amerikanischen
Billboard-Charts sogleich auf Platz zwei einstieg und unlängst mit Platin
ausgezeichnet wurde, ein Album das in der Industrial-Rock-Landschaft
seinesgleichen sucht und die Meßlatte für Bands wie Ministry weiter nach oben
verschoben hat.
"I want to break it up" schreit Reznor, der wie man es von
ihm gewohnt ist, Latexhandschuhe und Netzstrümpfe an den Armen trägt, mit
wütendem Gesichtsausdruck. Dabei springt und stolpert er zwischen seinen
Musikern hin und her und reißt dabei beinahe den Gitarristen Robin Finck zu
Boden. In seiner Aggression versunken, wirft er den Mikroständer um und lässt
das Mikro anschließend achtlos auf den Boden fallen. Begleitet von angenehmen
Klavierklängen haucht Reznor "the pigs can sleep soundly" in das Mikro und lässt
den Video-Clip, den die Nails zur Singleauskopplung "March Of The Pigs", in
einer Live-Version aufgenommen haben, mit viel Gefühl ausklingen. Reznor wirkt
dabei am Ende so als hätte sich seine Person in Dr. Jekyll zurück gewandelt, die
noch Sekungen vorher Aggression und Wut so glaubhaft personifizierte, dass sie
Mr. Hyde zu sein schien. Die zweite Singleauskopplung "Closer" entwickelte sich
hierzulande aufgrund ihrer Beliebtheit zu einer Art Aushängeschild für NIN. Auch
in dem Thriller "Seven" mit Brad Pitt ist die Titelzeile "You get me closer to
god" zu hören. Auf ihrer "Downward Spiral"-Tour, die sie monatelang meist quer
durch die Staaten führte, begeisterten Reznor und seine Live-Mannschaft, diesmal
bestehend aus Robin Finck (Gitarre), Danny Lohner (Gitarre), Chris Vrenna
(Schlagzeug) und James Wolley (Keyboards), erneut die Massen. Bei ihrem
spektakulären Auftritt beim Woodstock 2-Festival am 13. August 94 in Saugerties
kamen die fünf vollständig mit Schlamm bedeckt auf die Bühne (Reznor:"I've got
mud in my f***ing eyes") und räumten im wahrsten Sinne des Wortes ab. Bei den
letzten zwei Songs schlug Reznor mit Hilfe eines Mikroständers zwei Keyboards in
kleine Teile, schleuderte am Ende des Gigs seine Gitarre weit von sich und
machte diesen Event nicht zuletzt dadurch unvergessen. Selbst die "Tagesthemen"
waren sich nicht zu schade und zeigten einen kurzen Ausschnitt des Konzerts mit
den schlammbesudelten Nails, von dem inzwischen einige CD-Bootlegs erschienen
sind.
Ähnlich wie schon bei "Fixed" finden sich auch auf dem 1995
erschienenen Album "Further Down The Spiral", das in zwei Versionen erhältlich
ist, neue Bearbeitungen einiger Stücke, wie "Piggy", "Hersey" und "Hurt" von dem
Studioalbum "The Downward Spiral". Diesmal sind für das neue Gewand der Songs
unter anderem Aphex Twin, Drew Mc Dowall von Coil und selbstverständlich Reznor,
der inzwischen in die Playgirls "Sexiest Men of the year"-Top-10 gewählt wurde,
verantwortlich.
Auch David Bowie zeigte sich von den Nails beeindruckt und
äußerte gegenüber dem ´Rolling Stone', dass "Nine Inch Nails eine Ikone der 90er
Jahre sind". Er beauftragte Reznor mit einem Remix für die erste
Single-Auskopplung "The Hearts Filthy Lesson" aus seinem aktuellen Album. Auf
seine 95er "Outside"-Tour in den Staaten nahm Bowie die Nails als Support-Act
mit, wo sie einigen Konzertberichten zufolge wesentlich erfolgreicher gewesen
sind als der Meister selbst.
Neben seiner Beschäftigung als Mastermind von NIN ist Trent
Reznor inzwischen auch ein gefragter und vielbeschäftigter Produzent. So
produzierte er für den bekannten Hollywood-Regisseur Oliver Stone (Platoon) 1994
den Soundtrack zu dessen umstrittenen Film "Natural Born Killers" mit Woody
Harrelson und Juliette Lewis in den Hauptrollen. Reznor fügte zwischen die
einzelnen Songs von u.a. Leonard Cohen, Bob Dylan, L7 und NIN selbst Dialoge aus
dem Film ein und stellte damit eine Verbindung zur Handlung her. Von den Nails
sind auf dem Album die beiden ruhigeren Stücke "Something I Can Never Have", "A
Warm Place" und das explosive "Burn" enthalten, das Reznor exklusiv für den Film
geschrieben hat. Als ausführender Produzent war Reznor auch für die exzentrische
US-Band Marilyn Manson tätig, die hierzulande vor kurzem ihr Remix-Album "Smells
Like Children" veröffentlichte und NIN bereits als Vorgruppe auf ihrer "Downward
Spiral"-Tour begleitete. Mit einem Remix betätigte sich Reznor unlängst auch für
die Kollegen von KMFDM . Seine "Fat Back Dub"-Version von "Light" sucht dabei
aus den verschiedenen Remixes von "Light", die allesamt auf einer gleichnamigen
Single von KMFDM versammelt sind, deutlich hervor und lässt einen NIN-eigen Song
vermuten. In ungewohnte Gefilde begab sich Reznor für Tori Amos und steuerte zu
ihrem wunderschönen Song "Past The Mission" auf dem Album "Under the Pink"
(1994) Gast-Vocals bei.
"I'd rather die than give you control", eine Textzeile aus
"Head Like A Hole", kann wohl stellvertretend für die Lebensphilosophie von
Reznor angewandt werden, der alle Fäden bei NIN fest in der Hand hat und seine
Vorstellungen unbeeinflusst von Mainstream-Tauglichkeit verwirklicht, dabei
Erstaunliches zu Tage fördert und den Erfolg auf seiner Seite hat.
Als Produzent ist Reznor derzeit erneut für Marilyn Manson
tätig gewesen, die gerade ihr drittes Album "Antichrist Superstar" aufgenommen
haben, und komponiert angeblich auch die Musik zum Rekorde brechenden
Computerspiel "Quake", dem Nachfolger des legendären "Doom".
Nach den letzten Informationen arbeitet Trent Reznor zur Zeit
in seinem Haus in New Orleans an neuem Nine-Inch-Nails- Material, das allerdings
wohl erst im nächsten Jahr veröffentlicht wird. Angeblich soll er
zwischenzeitlich auch mit seinem Freund Axl Rose zusammengearbeitet haben?! Man
kann also mit Recht gespannt sein.
Volker Gebhart
Diskografie:
DOWN IN IT, Single, 1989
PRETTY HATE MACHINE, Album, 1989
HEAD LIKE A HOLE, Single, 1990
SIN, Single, 1990
BROKEN, EP, 1992
FIXED, EP 1992
MARCH OF THE PIGS, Single/EP, 1994
THE DOWNWARD SPIRAL, Album, 1994
CLOSER, Single, 1994
CLOSER TO GOD, Single, 1994
PIGGY, US-Single, 1995