Zillo, März 2002, S. 42 – 43
(Teil 2 des Interviews)
Teil 2:
Nine Inch Nails
The Music Is The Drug – Die alte Zeit
und neue Ziele
Im zweiten Teil des großen Trent-Reznor-Interviews gibt der
beängstigende Magier der kranken Sounds viel Persönliches Preis. Offen wie
selten zuvor spricht er über gute und schlechte Orte, das Älterwerden, seine
tiefsten Ängste, Drogen und Wassersport.
Zillo: Du bist vor einigen Jahren von Los Angeles nach New Orleans
umgezogen. Warum der Umzug? Was war falsch an Kalifornien?
Trent: Der Lifestyle. Die meisten Menschen dort sind für mein
Verständnis von den völlig falschen Werten geleitet, sie halten die
unwichtigsten Dinge für das zentrale Element des Lebens. Weißt du, du gehst
dort einen Kaffee trinken und bist der einzige Musiker im Raum, und doch wirst
du das Gefühl nicht los, dass alle um dich herum Musiker und Künstler sind und
du der einzige Normalo. Da stimmt was nicht. Dort zu sein ist wie ständig in
einem Vergnügungspark zu leben. Außerdem bemerkte ich, dass dieser Lifestyle
auf mich überzuspringen begann. Also musste ich dort weg.
Zillo: Und warum dann New Orleans? Ein Ort, der aufgrund von massiv
verbreiteten Alkohol-Problemen, Armut und Arbeitslosigkeit nicht gerade zu den
Attraktivsten in Amerika gehört. Zugleich aber besticht die Stadt durch
wunderschöne, sehr spezielle Seiten. Was also macht den besonderen Reiz für
dich aus?
Trent: Ich bin aufgewachsen in Pennsylvania, genau genommen im
Wald, und meine Familie ist nie viel gereist. Ich kenne nur sehr wenig von
meinem eigenen Land, ich sehe es nur, wenn wir auf Tour sind. Um immer, wenn
wir hierher kamen, hatte ich das Gefühl, mich am seltsamsten Ort der gesamten
USA zu befinden. Diese ganzen unterschiedlichen Mentalitäten, dieses Abgefuckte
des tiefen Südens, diese Langsamkeit und Verrücktheit der Menschen – auf mich
wirkt New Orleans fast wie ein gesetzloser Raum, hier scheint alles möglich. Es
herrscht hier einfach ein anderer Spirit. Die Architektur, die Musik, die
Menschen – hier scheint es sehr viel mehr Kultur und Geschichte zu geben, als
im Rest von Amerika. It’s a place where nobody fucks with me. Und noch etwas:
Hier passiert relativ wenig, so dass ich nicht ständig das Gefühl haben muss,
irgendetwas Superwichtiges zu verpassen.
Zillo: Mit Verlaub: Auch du wirst wohl ruhiger mit den Jahren.
Trent: So ist es.
Zillo: Ich habe gerade in der letzten Zeit viel über das
Älterwerden nachgedacht, darüber, dass ich viel vor ein paar Jahren noch völlig
anders gesehen habe. Ich war über viele Jahre extrem unglücklich und
unzufrieden, und mir ist es gelungen, einen Weg zu finden, diese
Unglücklichkeit in etwas Positives zu verwandeln, indem ich mich musikalisch
ausdrücke und so ein Spiegelbild meiner inneren Zerrissenheit erschaffe. Dieses
Bedürfnis, Dinge über das Leben zu entdecken und mich auszudrücken, wird
sicherlich niemals aufhören, es wird sich wohl nur der Fokus immer weiter
verschieben.
Zillo: Gibt es Momente, in denen du Angst vor dem Laben hast?
Trent: Oh, ich bin ein sehr ängstlicher Typ, früher hatte ich vor
so ziemlich allem Angst. Das ist ein guter Aspekt am Älterwerden: Die Angst
lässt nach. Ich bin schon sehr glücklich über den Umstand, dass ich keine Angst
mehr vor Veränderungen habe – davor hatte ich immer Riesenschiss. Ich habe immer
eingeredet, dass ich Veränderungen begrüßen würde, aber da stimmte nicht. Aber
inzwischen gehe ich gut damit um, glaube ich.
Zillo: Hast du eine Idee, woher diese Angst vor Veränderung kommt?
Trent: wahrscheinlich ist es dieses „früher war alles besser“-Ding.
Aus heutiger Sicht zum Beispiel war die beste Zeit, die ich mit der Band hatte,
eine sehr frühe Tour mit Richard Patrick, wo wir im Bus durch Amerika gefahren
sind und alles selbst machen mussten. Es war manchmal echter Schmerz,
miserabelste Bedingungen, aber aus der heutigen Sicht erscheint mir die
damalige Zeit als romantisch, frisch und besonders. Klar, wir haben schon
häufiger darüber nachgedacht, die alte Zeit wieder aufleben zu lassen, eine
Clubtour unter einfachsten Bedingungen zu machen. Aber das wäre ein
Rückschritt, ein krampfhafter Versuch, etwas Geschehenes wieder aufleben zu
lassen.
Zillo: Bist du jemals wirklich derart selbstzerstörerisch,
depressiv und Suizidgefährdet gewesen, wie uns deine Musik zeitweise weise
machen wollte?
Trent: Zurückblickend kann ich das auf jeden Fall bejahen. Ich habe
Selbstzerstörung und Endzeitstimmung sehr lange geradezu glorifiziert. Der
Erfolg, der Weg der Band, die Drogen dabei, all das hat mich zu einem
schrecklichen Ort gebracht, an dem nichts gut war. Ich wusste nicht, wie ich
mit Trauer umgehen sollte, als ich einige sehr nahe Verwandte und Bekannte
verlor. Ich wusste nicht, wie ich mit mir selbst umgehen sollte, und deshalb
sah ich auch keine andere Chance als das zu tun, was ich getan habe. Denn ich
dachte immer, wenn ich erstmal erfolgreich bin, dann werde ich glücklich sein.
Zillo: Das ist wohl einer der größten Irrglauben der Menschheit.
Trent: Oh ja, und es war hart, das erkennen zu müssen. Ich war also
dabei, mich auf eine sehr feige Weise Stückchen für Stückchen umzubringen.
Nicht, dass es eine tapfere Methode gäbe, sich umzubringen, aber mein Lifestyle
war schon extrem feige mir selbst
gegenüber. Zum Glück habe ich dann irgendwann den Punkt erreicht, an dem ich
einfach nicht sterben wollte. Ich musste einen Ausweg finden, Dinge endlich mal
durchleben, statt ihnen auszuweichen. Das hat mich zwar zu keinem rundum
glücklichen Menschen gemacht, aber zumindest befinde ich mich jetzt wieder an
einem schöneren Ort.
Zillo: Wie fühlst du dich jetzt?
Trent: Ich bin in einer guten Stimmung. Ich fühle, dass ich kreativ
bin, dass etwas getan werden muss. Meine Dämonen sind händelbar im Moment, ich
bin heute nicht mehr mein ärgster Freund, so wie es einmal war.
Zillo: So wie zu den „Downward-Spiral“-Zeiten?
Trent: Ja, zum Beispiel.
Zillo: Es gibt da ein Gerücht, dass du dich für die
Aufnahmesessions zu dem Album mit einem riesigen Berg unterschiedlicher Drogen
für mehrere Monate im Studio eingeschlossen hast und das Album komplett in
einem einzigen großen Rausch entstand.
Trent: Das ist nicht wahr. Es gab
so ein Album – „Antichrist Superstar“ von Marilyn Manson. Das war extrem,
Drogen, Drogen und noch mehr Drogen. Es war eine Erfahrung, aber ich glaube,
ich würde das kein zweites Mal überleben. Ich würde das noch nicht mal erneut
probieren wollen. Nein, bei „Downward Spiral“ saß ich in Los Angeles, hatte ein
klares Konzept vor Augen und habe kontinuierlich an dessen Umsetzung
gearbeitet. Sicher, es gab ein paar Mushrooms, um den Kopf zu erweitern, aber
es ist sicherlich kein Drogen-Album.
Zillo: Könntest du im Vollrausch überhaupt an deiner eigenen Musik
arbeiten?
Trent: Genau das ist der Punkt:
Es geht nicht. Ich brauche Konzentration, Präzision und den Überblick.
Zillo: Trent Reznor: Der totale Kontroll-Freak?
Trent: Absolut. Ich habe hohe Erwartungen, mein Kopf sagt mir ganz
genau, wie etwas klingen soll, und ich brauche Klarheit, um das auch umsetzen
zu können. Ich verlange viel von den Leuten in meiner Umgebung und ganz
besonders von mir selber. Da kann ich diesen Fucked-up-State nicht gebrauchen.
Das ist auch der Grund, warum sich Touren so gut zum Drogen-nehmen eigenen – da
musst du die meiste Zeit nicht konzentriert sein, sondern nur funktionieren,
irgendwie durch den Tag kommen und Abends zwei Stunden Vollgas geben. All das
passiert ununterbrochen mit den gleichen Leuten um dich herum, da hilft es
schon sehr, wenn alle ein bisschen die System runter fahren, denn dann
tolerierst du dich gegenseitig viel besser.
Zillo: Wie steht es mit den ganzen Remixen, die du regelmäßig in
Form von EPs, Singles und ganzen Alben veröffentlichst? Welchen Stellenwert
nehmen sie in deinem Gesamtschaffen ein?
Trent: Auch wenn es viele Remixe von meiner Musik gibt, so sollte
man das nicht überbewerten. Diese Remix-Geschichte ist einfach eine Möglichkeit
für mich oder ein paar befreundete Musiker, einen Song noch mal von einer
anderen Seite anzugehen, anderen Facetten hervor zu heben. So etwas tun wir
andauernd, und manches davon ist es eben wert, veröffentlicht zu werden. Die
Originalversionen der Songs sind die wirklich wichtigen Versionen, denn es sind
die, die ich zuerst im Kopf hatte, als ich den Song schrieb. Der Remix ist nicht mehr
als das, was er ist: Eine Interpretation, eine Neubearbeitung.
Zillo: Was macht Trent Reznor eigentlich in seiner Freizeit? Wohl
kaum Play-Offs schauen?
Trent: Nein, ich interessiere mich für Licht-Design. Ich finde es
unbeschreiblich, was man mit Licht alles kreieren kann. Außerdem schreibe ich
sehr viel.
Zillo: Was?
Trent: Kurzgeschichten, Drehbücher, alles Mögliche.
Zillo: Sonstige Leidenschaften?
Trent: Ich mag jede Form von Wassersport. Wasserski, Jetski,
Kitsurfing. Es ist gut, auf dem Wasser zu sein. Aber erzähl das keinem weiter.
Zillo: Warum nicht? Angst um dein Image?
Trent: Naja, ich fänd’ eine Fotomontage von mir auf dem Surfbrett
irgendwie nicht so passend.
Zillo: Bist du eitel?
Trent: Wie kommst du darauf?
Zillo: Nun, auf manchen Fotos, so wie bei den Fotosessions zu „The
Fragile“, kommst du rüber wie ein männliches Model. Sehr sinnlich und sexy,
wenn ich so sagen darf.
Trent: Zeig mal her. (Er studiert die Fotos) Ja, ich bin eitel.
Keine Frage.
Sascha Krüger.
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